Gergen, Thomas, Pratique juridique de la paix et trêve de Dieu à partir du concile de Charroux (989-1250). Juristische Praxis der Pax und Treuga Dei ausgehend vom Konzil von Charroux (989-1250) (= Rechtshistorische Reihe 285). Lang, Frankfurt am Main 2004. 284 S.

 

Im Jahre 2003 war sie der Rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes in Saarbrücken als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doctor iuris vorgelegt worden. Sie ist in französischer Sprache abgefasst, weil der Verfasser sie vornehmlich im Rahmen seines Promotionsstudiums am Centre d’Etudes Supérieres de Civilisation Médiévale à Poitiers (C.E.S.C.M) erstellt hat. Daher gliedert sich ihr Aufbau auch nach französischer Tradition in „Introduction-Première Partie-Deuxième partie-Conclusion“. Die eigentliche Arbeit umfasst 211 Seiten; es schließt sich ein Fazit in deutscher Sprache an, es folgen 28 Seiten Quellen und Literaturverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis, ein kurzer Annex mit der Übersetzung der einschlägigen Kanones des Konzils von Charroux ins Deutsche, eine kurze Übersetzung der Regeln des Sachsenspiegels über den Gottesfrieden ins Französische, ein ganz knappes Résumé in französischer und eines in englischer Sprache.

 

Inhaltlich geht es um die pax und treuga Dei, d. h. um die frühe Gottesfriedensbewegung in Westeuropa, vor allen im westlichen Frankreich und im spanischen Katalonien. Dass der Verfasser dabei als Ausgangspunkt das Konzil in Charroux (989) nimmt, hat seinen Grund darin, dass dessen Beschlüsse sowohl an Alter wie an Genauigkeit die besten Quellen für diese Materie darstellen. In ihnen finden sich bereits die wichtigsten Elemente der westeuropäischen Friedensbewegung. Diese finden sich danach immer wieder, wenn auch in Variationen, in späteren Friedensstatuten und Normen ähnlicher Art bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts. Ihren theologischen Ursprung haben diese wie die ganze pax et treuga Dei im alttestamentlichen Buch der Psalmen, hier in Psalm 85/84, 11.

 

Unter zwei Aspekten behandelt der Verfasser dann den Prozess der Fortwirkung der Kanones des Konzils von Charroux: einmal die Entwicklung vom Personalitätsprinzip zu einem für jedermann anwendbaren Recht, einhergehend mit einer „Harmonisation“ der Normen, zum anderen die Einflussnahme dieser Normen auf die gerichtliche Spruchpraxis, also ihre praktische Anwendung bei Gericht.

 

Im ersten Teil der Arbeit geht es um die genaue Analyse der Normen des Konzils von Charroux und ihre rechtliche Fortwirkung. Im zweiten Teil geht es dann um die Anwendung dieser Normen in der Gerichtspraxis, die der Verfasser differenziert darstellt und exemplarisch diskutiert.

 

Das Ergebnis seiner Überlegungen legt der Verfasser in seiner abschließenden Conclusion générale dar, wo es auf S. 220 heißt:

„Les canons de la paix et de la trêve contiennent une part de droit qui possède une tradition juridique antérieure et postérieure. La pax romana et la paix carolingienne des capitulaires prouvent l’existence des normes dans le passé, des précurseurs de la paix de Dieu. La répétition des canons dans toute l’Europe occidentale fait en sorte que ce droit se rediffuse et se reconfirme. Les moyens sont les serments des croyants et les reliques, objets de droit nécessaires pour la mise en vigueur des canons. Les diocèses et les comtés servent d’unités juridiques et administratives, présidées par les évêques et les archevêques ainsi que par les seigneurs séculiers“.

 

Dabei gab eine intellektuelle Elite diesem Vorgang über lange Zeit hinweg ihre Unterstützung, darunter Persönlichkeiten wie Hinkmar von Reims, Odilo von Cluny, Adhemar von Chabannes und Yvo von Chartres, deren Namen heute noch einen besonderen Klang aufweisen.

 

Die Gottesfriedensbewegung, die zutiefst dem Wesen der christlichen Botschaft entspricht und alle Menschen anspricht, wird also in praxi angewandt und in praktikable Rechtsnormen umgesetzt, die in immer größer werdenden Rechtskreisen Anwendung finden und letztlich im hohen Mittelalter als zumindest im Inhalt einheitliche Friedensregeln im westlichen Europa sich wiederfinden.

 

Der Verfasser beweist seinen souveränen Umgang mit fremdsprachlichen Quellen, und stellt in der Gesamtschau von kirchlichem und weltlichem Denken der in ihm behandelten Zeit sein interdisziplinäres eigenes Denken unter Beweis. Man merkt der Arbeit an, dass hier keine Engführung im Denken erfolgt, sondern eine breite und gekonnte Darlegung von Ursache, Verlauf und Wirkung eines geschichtlichen Prozesses, der die Propagierung und – wenigstens zum Teil – erfolgreiche Durchsetzung der pax et treuga Dei in seiner Zeit beweist.

 

In seinem Vorwort dankt der Verfasser besonders seinem Doktorvater Elmar Wadle, dem Ordinarius für Deutsche Rechtsgeschichte und kirchliches Recht an der Universität des Saarlandes Saarbrücken, der ihm für sein Thema und die einschlägigen Forschungen Richtung und Hilfe gegeben hat, zu dessen eigenem Forschungsgebiet auch die Gottesfriedensbewegung zählt, wobei hier die Arbeit eine Lücke schließt. Das S. 6 vorgestellte zeitgenössische Kirchenlied mag den Leser vielleicht anfangs verwundern; es ist aber Ausdruck für die Denkweise des Verfassers, in der er sich wohltuend von vielen Rechtswissenschaftlern abhebt und sich über eine bloße juristische Betrachtung und Bewertung von Normen erhebt. Insofern muss der Titel seiner Arbeit: „pratique juridique de la paix et trêve de Dieu“, mit Akzent auf „paix et trêve de Dieu“ gelesen werden, weil nicht nur die juristische Praxis, sondern wesentlich die Pax et treuga Dei als Desiderat einer menschlichen Gesellschaft, die Gemeinschaft sein will, im Blick ist.

 

Trier                                                                                                   Maximilian Joh. Hommens