Franz, Monika Ruth, Die Landesordnung von 1516/1520.
Landesherrliche Gesetzgebung im Herzogtum Bayern in der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts (= Bayerische Rechtsquellen 5). Beck, München 2003. XIX, 183*, 132
S.
Nach der
Wiedervereinigung der altbayerischen Landesteile in den Jahren 1504 und 1505
kam es in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zu einer Reihe von
grundlegenden, umfassenden Kompilationen, die Bayern zu einem Vorreiter im
Bereich der Gesetzgebung werden ließen (vgl. S. 1* u. S. 19*). Im Jahre 1516
erging die Landesfreiheitserklärung, 1516 bzw. 1520 die Landesordnung; 1518 kam
es zur Landrechtsreformation[1]
und 1520 zur Gerichtsordnung für Ober- und Niederbayern[2].
Die
vorliegende Arbeit, eine geschichtliche Dissertation, verfasst an der
Universität München, hat die Landesordnung von 1516 bzw. 1520 zum Gegenstand.
Der erste Teil des Buches behandelt nach einer Einleitung (S. 1*-8*) die
Gesetzgebung in Bayern um 1500 (S. 9*-38*), die Landesordnung von 1516/1520 und
ihre Vorgänger (S. 39*-59*) und gibt den Inhalt der Einzelbestimmungen der
Landesordnung, verbunden mit einer Analyse, wieder (S. 60*-178*). Der V.
Abschnitt (S. 179*-183*) bietet eine Zusammenfassung und einen Ausblick auf die
Landesordnung von 1553[3].
Die Bezeichnung „Kodifikationen“ für diese Rechtsquellen, welche die
Verfasserin (S. 1*, 181*) verwendet, sollte vermieden werden.
Es handelt
sich um eine landeshistorische Arbeit; eine spezielle juristische Bewertung der
einzelnen Rechtsvorschriften konnte, wie die Verfasserin ausführt (S. 7*),
nicht erfolgen. Der zweite Teil des Buches enthält eine Edition der
Landesordnung.
Wilhelm
Brauneder[4] hat den
inhaltlichen Unterschied von Landrechten und Landesordnungen herausgestrichen.
Während sich Landrechte und Landrechtsreformationen regelmäßig auf Zivil- und
Zivilprozessrecht beschränken, sind Landesordnungen im eigentlichen Sinne
„Gesetzeswerke, die das Recht des neuzeitlichen Territorialstaates in einer
möglichst alle Rechtsgebiete umfassenden Kompilation festhalten wollen, wobei
aber keine vollständige Regelung der einzelnen Teilgebiete angestrebt wird,
sondern eher nur die Klarstellung besonders wichtiger oder aktueller Fragen“[5].
Dieser Abgrenzung ist grundsätzlich zuzustimmen, wenn auch die zeitgenössischen
Bezeichnungen keineswegs einheitlich sind[6].
Sehr deutlich zeigt sich der Gegensatz bei der bayerischen Gesetzgebung. Die
Landesordnung von 1516/1520 trägt die Bezeichnung „Das buech der gemeinen
Landpot, Landsordnung, Satzung und Gebreuch des Fürstenthumbs in Obern und
Nidern Bairn“. Hier zeigt sich die Verwandtschaft zwischen den alten
Landgeboten und der Landesordnung (Verf. S. 21*). Die „Reformacion der
Bayrischen Landrecht“ von 1518 der Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. stellte
hingegen eine Erneuerung und Erweiterung des bis dahin in Oberbayern geltenden
Oberbayerischen Landrechts von 1346[7]
dar und enthält im wesentlichen Zivil- und Zivilprozessrecht. Die
Landrechtsreformation galt nur für Oberbayern; sie wurde allerdings auch den
Gerichten in Niederbayern als Hilfsmittel für die Rechtsfindung empfohlen[8],
konnte sich aber trotz starker Anstrengungen über Oberbayern hinaus nicht
durchsetzen (vgl. Verf. S. 180*).
Die
Landesordnungen weisen eine starke Verwandtschaft zu den Polizeiordnungen auf[9];
gehen aber vielfach über diese hinaus (vgl. Verf. S. 21*). Die Bestimmungen
dienten im Sinne der „guten Polizey“ der Erhaltung des „gemeinen Nutzens“. Die
Polizeymaterien in den jeweiligen Landesordnungen waren vielfach unmittelbar beeinflusst
von entsprechenden Bestimmungen in Reichsabschieden (etwa von 1495, 1498 und
1512) bzw. in der Reichspolizeiordnung von 1530 (Verf. 13*)[10].
Die
Verfasserin (S. 13*ff.) behandelt zunächst Landesordnungen in anderen
Territorien, insbesondere die Württemberger Landesordnungen von 1495 und 1525
und die Salzburger Landesordnung von 1525. Im Gegensatz zu Salzburg bestand in
Bayern ein grundsätzlicher Konsens zwischen Landesherrn und Ständen (S. 19*).
Eingehend
erörtert wird das Verhältnis von Landesordnung, Landgebot[11]
und Mandaten (S. 20*ff.). Wie die Verfasserin zeigt, besteht eine enge
Kontinuität und Verbindung zwischen diesen drei Arten von Rechtsquellen (S.
22*). Ausführlich behandelt werden die Entstehungsgeschichte der Landesordnung
von 1516/1520 und deren Vorgänger, die Landshuter Landesordnungen von 1474 und
von 1501 sowie das Landgebot für das Herzogtum Bayern-München vom 20. Januar
1500 (S. 45*ff.). Die Verfasserin (S. 45*) kommt zum Ergebnis, dass die
Landesordnung von 1516 die wesentlichen Punkte des oberbayerischen Landgebots
von 1500 sowie vor allem der niederbayerischen Landesordnungen von 1474 und
1501 übernommen und ergänzt hat (vgl. auch S. 60*).
Weiters
gibt die Verfasserin einen Überblick und eine Beschreibung der überlieferten
bzw. verwendeten Exemplare der Landesordnung (S. 53*ff.). Als Verfasser der
Landesordnung von 1516 ist nicht, wie von der Literatur vielfach vertreten, der
herzogliche Kanzler Johann Neuhauser anzusehen, sondern man sollte wohl von
einem Verfasserteam, bestehend aus herzoglichen Räten und einigen Landständen,
sprechen. Am ehesten könnte man anhand der Korrekturen den Sekretär und
herzoglichen Rat Augustin Köllner als Endredaktor bezeichnen (so Verf. S. 55*).
Köllner war auch für die Endredaktion der bayerischen Landrechtsreformation von
1518 verantwortlich[12].
Die Fassung
der Landesordnung 1520 ist gegenüber der Fassung 1516 um zwanzig Textseiten
gekürzt. „Nachbesserungen“ erfolgten zugunsten des Handels der Städte und
Märkte (S. 179*). Die Gründe für die rasche Überarbeitung sind kaum
dokumentiert. Eine erneute Beratung wird nur einmal erwähnt und zwar während
des zweiten Landtages des Jahres 1519, der in Landshut stattfand. Die Herzöge
ließen der Landschaft mitteilen, dass „die Landsordnung in etlichen Artikeln beschwerlich
und unverständlich sei und mancherorts, besonders an den Landesgrenzen, nicht
eingehalten werden könne“ (Verf. S. 56*). Als Grundlage für die Textedition der
Landesordnung in der Fassung von 1520 diente ein Exemplar, das eine der
landesherrlichen Ausfertigungen sein dürfte (Bayerisches Hauptstaatsarchiv,
Signatur „Staatsverwaltung 1966“; vgl. Verf. S. 57* u. S. 1). Die nur in der
Fassung der Landesordnung 1516 enthaltenen Textabschnitte sind als Anhang zur
Edition abgedruckt (S. 105-115).
Im vierten
Abschnitt („Inhalt und Analyse“) geht die Verfasserin auf die
Einzelbestimmungen in den vier Teilen der Landesordnung ein sowie auf
Unterschiede der beiden Fassungen (S. 60*ff.). Teil I (28 Artikel) enthält
Bestimmungen über Landfrieden und Landgebote zur inneren Sicherheit, Teil II
(38 Artikel) über Gerichtsgebühren und verfahrensrechtliche Einzelfragen, aber
auch privatrechtliche Normen (S. 79*ff.); Teil III (14 Artikel) gibt
„sittliche“ Landgebote gegen persönliches Fehlverhalten und Verschwendung
(S.96*ff.) und der umfangreiche Teil IV (92 Artikel) enthält Bestimmungen in
Polizeysachen wie Handel, Fürkauf, Gewerbe, Mühlordnung, Dienstboten und
Bauhandwerker (S. 104*ff.).
Privatrechtsgeschichtlich
interessant sind die Bestimmungen im zweiten Teil über Vormundschaft (Art.
14-17), „Gewerschaft“, „nütz und gwer“ (Art. 18) und das Einstandsrecht der
Erben und Verwandten (Art. 19); dieser Artikel ist erst in der Fassung von 1520
enthalten (vgl. Verf. S. 86*f.). Weitgehend entsprechende Bestimmungen finden
sich in der Landrechtsreformation von 1518 (LI. Tit. „Von Vormündern, Gerhaben,
Versorgern und Treusträgern“; XXIII 5 „Wie lang umb Keuf Gewerschaft beschehen
sol, und in welcher Zeyt der Keufer Nütz und Gewer mag ersytzen“; XXIII 6 „Von
Gewerschaft des Verkaufers“; XXIII 2 „Wie der Verkaufer den Erben das Guet sol
anpieten, und in welcher Zeyt die Erben an den Kauf stehen mögen“)[13]
und in der Landesordnung von 1553 (III. Buch, I.-III. Tit.)[14].
Gewisse Überschneidungen in der Landesordnung 1516/1520, der Landrechtsreformation
1518 und der Gerichtsordnung 1520 erklärt die Verfasserin (S. 21*, vgl. S.
181*) „aus der früheren Fertigstellung der Landesordnung und/oder der
besonderen Bedeutung einzelner Artikel sowie der dem zeitgenössischen
Rechtsverständnis entsprechenden mangelnden Differenzierung nach den heutigen
Begriffen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts“.
Der
Landesordnung von 1516/1520 kam bei der Rechtsvereinheitlichung in dem
wiedervereinigten Herzogtum Bayern eine zentrale Rolle zu (Verf. S. 180*f.). An
der Auswahl der Themen waren die Landstände durch ihre Gravamina wesentlich
beteiligt (S. 179*). Es ist überaus erfreulich, dass nun neben der Bayerischen
Landrechtsreformation von 1518 und der Landesordnung von 1553 auch die frühe
Landesordnung von 1516/1520 in einer mustergültigen Edition vorliegt. Ein
eingehendes Register (S. 117-132) erschließt die Arbeit.
Graz Gunter
Wesener
[1] In: Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands I/2, eingeleitet und erläutert von W. Kunkel (1938) 1ff.
[2] Dazu G. Wesener, Römisches-kanonisches Prozeßrecht in der Bayerischen Landrechtsreformation von 1518 und in der Gerichtsordnung von 1520, in: Arbeiten zur Rechtsgeschichte. FS G. K. Schmelzeisen (Stuttgart 1980) 360ff.; ders., Wandlungen des Gerichtswesens in bayerischen und österreichischen Territorien in der Rezeptionszeit, in: FS B. Sutter (Graz 1983) 459ff., bes. 476ff.
[3] In: Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands II/1, bearbeitet von G. K. Schmelzeisen (1968) 161ff.
[4] Art. Landesordnung, in: HRG II (1978) Sp. 1405ff.
[5] Brauneder, Art. Landesordnung (o. Anm. 2) Sp. 1406. Vgl. Verf. 20*.
[6] Vgl. für die österreichischen Länder G. Wesener, Einflüsse und Geltung des römisch-gemeinen Rechts in den altösterreichischen Ländern in der Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert), Wien 1989, 16ff. Zu den Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 ebd. 28ff.
[7] H. Schlosser/I. Schwab, Oberbayerisches Landrecht Ludwigs des Bayern von 1346. Edition, Übersetzung und juristischer Kommentar (Köln - Weimar - Wien 2000). Vgl. auch I. Schwab, Das Landrecht von 1346 für Oberbayern und seine Gerichte Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg. Kritische Edition der Georgenberger Handschrift Ms. 201 (= FRA III, Fontes Iuris 17, Wien - Köln - Weimar 2002); dazu R. Lieberwirth, ZRG Germ. Abt. 120 (2003) 600f.
[8] W. Kunkel, in: Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands I/2 (1938) p. XVII.
[9] Vgl. etwa H. Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit im Territorialstaat der frühen Neuzeit. Am Beispiel des Landesfürstentumr Bayern (16./17. Jahrhundert), in: Diritto e potere nella storia europea. Atti in onore di B. Paradisi, I (Firenze 1982) 525ff., bes. 532ff.; W. Brauneder, Der soziale und rechtliche Gehalt der österreichischen Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Brauneder, Studien I: Entwicklung des öffentlichen Rechts (Frankfurt am Main 1994) 473ff.
[10] Vgl. M. Weber, Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Historische Einführung und Edition (= Ius Commune Sonderheft 146, Frankfurt am Main 2002); dazu A. Laufs, ZRG Germ. Abt. 120 (2003) 660f.
[11] Zu den Landgeboten eingehend H. Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung im ausgehenden Mittelalter, ZRG Germ. Abt. 100 (1983) 9ff.
[12] W. Kunkel, in: Quellen (o. Anm. 8) p. XVII.
[13] Dazu Kunkel, in: Quellen (o. Anm. 8) S. 332 Anm. Bay 130-135; S. 319f. Anm. Bay 6 u. 7; S. 319 Anm. Bay 3. Zur Frage der „Gewerschaft“ vgl. E. Rabel, Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte I (Leipzig 1902) 203, 301ff.; zum Einstandsrecht der Erben G. Wesener, Vorkaufs- und Einstandsrecht der „gesippten Freunde“ (ius retractus consanguinitatis) im Recht der altöstereichischen Länder, in: Aktuelle Fragen aus modernem Recht und Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt (Berlin 1966) 535ff.
[14] Dazu G. K. Schmelzeisen, in: Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands II/1 (1968) S. 304ff. Anm. 7-23.