Faußner, Hans Constantin, Wibald von
Stablo. Seine
Königsurkunden und ihre Eschatokollvorlagen aus rechtshistorischer Sicht (=
Quellen und Erörterungen zu Wibald von Stablo). Bd. 1, Teil 1 Einführung in die
Problematik, Teil 2 Die Urkunden für französische, burgundische und deutsche
Empfänger nach ihren Ausstellern, Teil 3 Die Urkunden für Empfänger in
Frankreich, Burgund und im Deutschen Reich, Teil 4 Die Urkunden für
italienische Empfänger. Olms-Weidmann, Hildesheim 2003. 196, 355, 268, 238 S.
Wenn der Präsident der MGH eine wissenschaftliche, oder
besser gesagt eine sich wissenschaftlich gebende vierbändige Monographie als
„Schelmenroman“ bezeichnet (Deutsches Archiv 59, 2003, S. 646), während die
einschlägig bekannte Zeitschrift „Zeitensprünge“ das Werk unter der
Überschrift: "Mutiger Forscher entlarvt genialen Fälscher" feiert
(2003), so kann es sich hier nur um einen neuen Beitrag in der leidigen, von
Heribert Illig ausgelösten Diskussion um „das gefälschte Mittelalter“ handeln,
die erfreulicherweise wieder weitgehend aus den Medien verschwunden ist.
Faußner, der 1989 erstmals und dann in weiteren Beiträgen seine These
publiziert hatte, daß zahlreiche Königsurkunden vom frühstaufischen Abt Wibald
von Stablo und Corvey (1130-1157) gefälscht worden seien, hat von zahlreichen
Rezensenten dafür ablehnende bis vernichtende Kritik geerntet, aber dies
scheint ihn nur beflügelt zu haben, seine Theorie nun auf die Spitze zu
treiben: in dem hier zu besprechenden Werk behauptet er allen Ernstes, Wibald
habe über 6000 Königsurkunden, deren Originale in den Archiven von ganz Europa
liegen, gefälscht und außerdem auch eine Reihe erzählender Quellen „gedichtet“
wie beispielsweise Einhards Vita Karoli, Widukinds Sachsengeschichte, Ruotgers
Vita Brunonis und nicht zuletzt das gesamte Werk Hrotsviths von Gandersheim.
Diese Theorie ist so absurd, daß sie keiner ausführlichen Erörterung bedarf,
zumal dies, wie gesagt, in den Besprechungen früherer Auslassungen Faußners zu
diesem Thema bereits geschehen ist, und so kann es hier nur darum gehen,
Faussners Art der Argumentation und seine „Arbeitsweise“ kritisch darzulegen,
um diejenigen, die seine Methode noch nicht kennen, wie etwa auch
Studienanfänger, davor zu warnen: Daß bereits in Faussners erstem Satz des
Buches Wibald genannt wird, aber ohne jeden Titel oder eine Erläuterung bzw.
Literaturangaben - so als müßte ihn inzwischen nun wirklich jeder kennen - wie
auch das ganze Buch mühelos ohne ein Literaturverzeichnis auskommt, ist schon
befremdlich, aber ärgerlich, um nicht zu sagen, wissenschaftlich unseriös und
überheblich ist die Art und Weise, wie hier gegen alle diplomatischen
Forschungsergebnisse Behauptungen aufgestellt werden, die ohne Beleg bleiben
(z. B. es habe grundsätzlich bei den Königsurkunden nur Empfängerausfertigung
gegeben, die Königsurkunde habe nur geringe rechtliche Bedeutung gehabt und sei
von der Forschung „heillos“ überbewertet worden, Teil 1 S. 58ff.) und
Wissenschaftler mit ihren Äußerungen gegeneinander ausgespielt werden bzw.
Äußerungen in Zusammenhänge gerückt werden, die so in der besagten Literatur
nicht stehen, dafür ein Beispiel: in Teil 2 S. 321 nennt Faußner zunächst
Walter Kochs grundlegende Monographie über die Schrift der Reichskanzlei im 12.
Jahrhundert von 1979 im Zusammenhang mit den Schreiberhänden, fährt im darauf
folgenden Satz fort mit den Worten „Diese Schreiber Wibalds, die nach seinem
Diktat und seinen vorgegebenen Vorlagen die Urkunden mundierten ..“ und erweckt
so den Anschein als stünde dies in der Form bei Koch, was natürlich mitnichten
der Fall ist.
Wer wie Faußner die frühe Stauferzeit als „Filzokratie“
begreift, „die sich als eine zeitlose politische Erscheinung immer dann
breitmacht, wenn ein Gemeinwesen seine Würde und seine führenden
Persönlichkeiten mit Selbstachtung verloren hat und an deren Stelle die Macher,
Beschaffer, Trickser, und Vor- und Fürsprecher getreten sind“ (Teil 1 S. 173),
wer Wibald als „Konsulent und Lobbyist“ charakterisiert (1 S. 172) mit einem
„Atelier für kreative Diplomatik“ (2 S. 349) und schreibt „im Hochmittelalter“
seien „Karrieren ... noch nicht bestimmt worden von der sozial-demokratischen
Gleichheitsmaxime: Jeder kann Minister werden - wirklich jeder“ (1 S. 74), hat
als ernstzunehmender Historiker jeden Kredit verspielt.
Faußner tritt außerdem die diplomatische Forschung seit
Theodor Sickel in großer Arroganz mit Füßen; dafür nur ein Beispiel: ein Zitat
aus Klewitz’ Cancellaria-Beitrag von 1937 über die Bedeutung der Hofkapelle für
die Herstellung der Königsurkunden, kommentiert er mit den höhnischen Worten:
„Wäre solches (also die Herstellung der Königsurkunden in der Hofkapelle) der
Fall gewesen, so wäre die Hofkapelle zu einem kontemplativen Gralsorden
geworden, der im durchschnittlichen Fünf-Jahres-Ritual die Herstellung einer
Königsurkunde als sein Kultsymbol zelebrierte“ (Teil 1 S. 72).
Mit dem gleichen Hochmut bzw. der gleichen Verachtung wird
aber nicht nur die mediävistische Forschung gesehen, sondern vor allem Wibald,
den nach seinem „Zerwürfnis mit Suger von Saint-Denis“ eine „förmlich
alttestamentarische haßerfüllte Wut und Rachsucht“ erfüllte gegenüber seinem
„nunmehrigen Todfeind“ (Teil 1 S. 125) und der sich auch von Erzbischof Albero
von Trier „beiseite gestellt, mißachtet und verraten, und damit unterschätzt“
sieht, so daß er sich „schwört, dies Albero heimzuzahlen“ (Teil 1 S. 137f.). -
Arroganz und Bösartigkeit aber sind eigentlich nicht die Merkmale eines
„Schelmenromans“!
Daß dieses Opus in vier gebundenen Teilbänden mit jeweils
überschaubarer Seitenzahl erscheint, erklärt sich daraus, daß Faußner
Mitinhaber des Olms-Verlages ist, und tut besonders weh, wenn man bedenkt, wie
schwierig es heutzutage mitunter ist, für wissenschaftliche Werke Druckkosten
bzw. Druckkostenzuschüsse zu bekommen. Andererseits ist es kein Nachteil, daß
der Kaufpreis von 298 Euro für den Absatz des Werkes prohibitiv sein dürfte.
Die Tatsache aber, daß es auch noch als Band 1 der „Quellen und Erörterungen zu
Wibald von Stablo“ deklariert wird, klingt geradezu wie eine Drohung!
Heidelberg Martina
Hartmann