Fasel, Urs, Repetitorium zur Rechtsgeschichte, insbesondere zur Geschichte des Privatrechts (= UTB 2535). Haupt, Bern 2004. XX, 313 S.

 

Urs Fasel ist in jüngster Zeit mit einer Reihe von Arbeiten über die historischen Grundlagen des Schweizer Privatrechts hervorgetreten. Im Jahre 2000 hat er die wichtigsten gedruckten und ungedruckten Materialien zum schweizerischen Handels- und Obligationenrecht erstmals in einer zusammenhängenden Edition zugänglich gemacht.[1] Eine Edition der sachenrechtlichen Materialien ist im Erscheinen. Zudem hat er eine Monographie über den Redaktor des Schweizer Obligationenrechts verfaßt, die 2003 unter dem Titel „Bahnbrecher Munzinger“ veröffentlicht wurde.[2] Das vorliegende, in zwölf Hauptabschnitte gegliederte Werk des als Rechtsanwalt und Notar in Bern tätigen Autors enthält 600 Fragen und Antworten, die „zum Verständnis, aber auch zur Fortentwicklung des heutigen Rechts“ beitragen sollen, das „ohne den Vektor der Historizität weder richtig verstanden noch richtig eingeordnet und letztlich auch nicht richtig angewendet werden kann“ (S. VII). Darüber hinaus soll das „zur Hauptsache auf den gängigen Lehrbüchern“ basierende Repetitorium, wie René Pahud de Mortanges im begleitenden Vorwort hervorhebt, „den Studierenden an deutschsprachigen Universitäten als wertvolles Hilfsmittel zur Prüfungsvorbereitung dienen“ (S. IX).

 

Die ersten beiden - auf ein knapp gehaltenes Einleitungskapitel folgenden - Abschnitte (§§ 2,3) sind den vorstaatlichen und antiken Rechtsordnungen gewidmet - den Sammlern, Jägern, segmentären Gesellschaften, Protostaaten, dann Babyloniern, Ägyptern, Juden, Griechen und Römern sowie Ptolemäern und Byzantinern. Einen Schwerpunkt bilden dabei Fragen und Antworten zu Konfliktlösung, Strafe, Ehe, Delikt und Vertrag, die in Anlehnung an U. Wesels „Geschichte des Rechts“ (2. Auflage 2001) formuliert werden. Das römische Privatrecht bleibt weitgehend ausgeklammert, da Fasel insoweit auf die 263 Fragen und Antworten seines bereits 2002 veröffentlichten „Repetitoriums zum römischen Privatrecht“ verweisen kann (S. 27).

 

Die anschließenden Fragen und Antworten zu Germanen, Franken und deutschem Mittelalter fußen im wesentlichen auf der von H. Mitteis und H. Lieberich verfaßten „Deutschen Rechtsgeschichte“ (16. Auflage 1981), die 1949 in erster Auflage erschienen war. So konnte nicht hinreichend berücksichtigt werden, daß sich das Selbstverständnis germanistischer Forschung in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert hat. Verwiesen sei hier nur auf die kritische Auseinandersetzung von K. Kroeschell mit den überkommenen, auch von Mitteis und Lieberich noch weitgehend geteilten Grundvorstellungen der germanistischen Rechtsgeschichte z. B. über Sippe und Treue, Herrschaft, Haus oder Gefolgschaft.[3] Ähnliches gilt für das umstrittene „Vulgarrecht“ (S. 25), welches Fasel - im Einklang mit der älteren Lehre - als „cha­rakteristischen Zug“ der nachklassischen Periode des römischen Rechts vorstellt.[4] Anzukreiden sind zudem eine Reihe von Schreibfehlern, von denen das „Wehrgeld“ (z. B. S. 52, 75, 81) statt „Wergeld“ (lat. vir) besonders deutlich ins Auge sticht.[5] Positiv hervorzuheben ist, daß der Verfasser wirtschafts-, verfassungs-, prozeß- und strafrechtsgeschichtliche Gesichtspunkte gleichermaßen zu berücksichtigen sucht. Dies gilt auch für das Kapitel über die „Grundlagen der frühen Neuzeit“ (§ 6), welches dem Abschnitt über „Kirche und kanonisches Recht“ folgt.

 

Was die anschließenden Abschnitte über Rezeption und neuere Privatrechtsgeschichte anbelangt, so vermögen z. B. die Antworten auf Fragen nach den Unterschieden von Glossatoren und Konsiliatoren nicht in jeder Hinsicht zu überzeugen. Unstimmigkeiten zeigen sich etwa darin, daß der Glossator Azo (S. 133f., 155) auch als Konsiliator vorgestellt wird (S. 142). Ferner ist zu bezweifeln, ob die - schon von den Glossatoren geübte - Gutachterpraxis der Konsiliatoren mit der heutigen höchstrichterlichen Entscheidungsfindung auf eine Stufe gestellt werden darf (S. 140). Vom Aufbau her wäre anzuregen, den erst in § 8 erörterten Begriff der Rezeption (S. 157ff.) und die Relevanz der Universitäten bereits in § 7 zu behandeln, da die Aufnahme des antiken römischen Rechts mit der Wiederentdeckung der Digesten und dem Aufkommen der Glossatorenschule ihren Anfang genommen hat. Anzukreiden sind abermals eine Reihe von Fehlern in Ausdruck und Schreibweise.[6]

 

Einen weiteren Kritikpunkt bildet die Darstellung der Zusammenhänge von Naturrecht und Historischer Schule (z. B. S. 207f., 217, 221f., 259f., 269f.), wobei hervorzuheben ist, daß der Verfasser lediglich wiedergibt, was in Deutschland wohl immer noch der „herrschenden Auffassung“ entspricht. Die folgenreiche These vom Bestehen einer direkten Verbindung zwischen Wolffs demonstrativer Methode und Savignys Rechtsfindungslehre geht auf einen Artikel F. Beyerles aus dem Jahre 1939 zurück[7] und ist von K. Larenz und F. Wieacker nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen und verbreitet worden:[8] Sie hat Auswirkungen nicht nur auf die Einschätzung der Pandektistik oder pandektistischer Normsetzungsvorstellungen, sondern auch auf die Bewertung bestimmter methodologischer Bestrebungen, die man unter dem Stichwort der „Begriffsjurisprudenz“ zu diskutieren pflegt. Zwar soll nicht geleugnet werden, daß - etwa in Bezug auf die Anordnung des Stoffes oder die Neigung zu allgemeinen Lehren - auch ein Einfluß des Naturrechts auf die Historische Schule festzustellen ist. In Bezug auf Methode oder juristische Entscheidungsfindung bestehen jedoch sehr grundsätzliche Differenzen, die hier freilich nicht im einzelnen ausgebreitet werden können.[9]

 

Zum Teil widersprüchlich sind auch die Aussagen über den Spielraum, der nach den Lehren des Naturrechts dem Richter bei der Auslegung zu gewähren ist (S. 217, 227 einerseits und S. 224, 235 andererseits). Zwar trifft es zu, von „spätpandektischer Normierungskunst“ zu sprechen (S. 284), doch wird nicht klar, worin diese Kunst eigentlich bestehen soll. In Bezug auf seine Regelungstechnik und Methodologie hätte z. B. das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von den naturrechtlichen Gesetzgebungswerken stärker abgegrenzt werden müssen.[10] Die vom Verfasser zitierte Auffassung M. Rümelins, das BGB habe „mit seinen Paragraphen die Wissenschaft ein für alle Mal“ ausgeschlossen (S. 282), harmoniert zwar gut mit gängigen Auffassungen über enge Verbindungen von Naturrecht und Pandektistik. Diese Auffassungen sind aber - wie schon angedeutet - zum Teil unzutreffend, was sich auch darin zeigt, daß die BGB-Verfasser von der Regelung bestimmter Tatbestände häufig abgesehen haben, um der Wissenschaft den für die Entscheidung notwendigen Spielraum zu überlassen.[11]

 

Die vorstehenden, keineswegs Vollständigkeit beanspruchenden kritischen Anmerkungen dürfen über die positiven Seiten des vorliegenden Werkes freilich nicht hinwegtäuschen. Diese zeigen sich z. B. in der Art und Weise wie Fasel bestimmte Sachfragen quer durch die Jahrhunderte verfolgt: Hierzu gehören etwa das Notariat (z. B. S. 93, 135, 169) oder das - im Sachregister leider nicht erwähnte - Grundbuch (z. B. S. 31, 235), die Ausführungen zum Verhältnis von Personal- und Territorialprinzip (S. 30, 48, 63, 97) und zu Aspekten der Rechtsquellenlehre (S. 64, 78, 79, 191, 192, 293) und nicht zuletzt auch die Darlegungen zur in den gängigen deutsch­sprachigen Lehrbüchern oftmals vernachlässigten Schweizer Rechtsgeschichte (z. B. S. 169ff., 285ff.), wo Fasel sich zum Teil auch auf seine eingangs erwähnten Arbeiten über die historischen Grundlagen des Schweizer Privatrechts beziehen kann. Daß bei der Darstellung des Stoffs ausgewählt werden muß und sich der Autor hierbei von seinen Interessen leiten läßt, ist sein gutes Recht. Für das Fach der Rechtsgeschichte ist es gerade im Hinblick auf die aktuell geführten Legitimationsdebatten von nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß hier ein in der Rechtspraxis tätiger Jurist eine Auswahl trifft und Fragen formuliert, die an Studierende gerichtet sind, von denen die meisten ebenfalls eine Tätigkeit in dieser Praxis anstreben. Nach erneuter Durchsicht und Überarbeitung könnte Fasels Repetitorium, das nach dem ersten Anlauf noch der Korrektur bedarf, zu einer wertvollen Bereicherung des - im deutschsprachigen Bereich an einer Hand ablesbaren - Bestands aktueller rechtshistorischer Ausbildungsliteratur werden.

 

Hannover                                                                                                       Stephan Meder



[1] Dazu W. Schubert, ZRG Germ. Abt. 121 (2004), S. 857ff.

[2] Dazu E. Bucher, ZEuP 2003, S. 353 ff.; M. Senn, ZRG Germ. Abt. 121 (2004), S. 812ff.

[3] Vgl. etwa die in dem Band „Studien zum frühen und mittelalterlichen deutschen Recht“ (1995) versammelten Beiträge. Das aktuelle Lehrbuch von K. Kroeschell, "Deutsche Rechtsgeschichte" (3 Bände), ist offenbar nicht benutzt worden; im Literaturverzeichnis ist es jedenfalls nicht erwähnt. Zur Frage, wie sich z.B. das Wort „Sippe“ heute noch verwenden ließe, siehe etwa auch H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 3. Auflage, 1999, Rdnr. 127.

[4] Dazu zuletzt H. Weßel „Das Recht der Tablettes Albertini“, 2003, S. 279ff.

[5] In der rechtshistorischen Literatur des 19. Jahrhunderts begegnet man freilich häufig auch der Schreibweise "Wehrgeld" - z. B. bei J. Voigt, Geschichte Preußens von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des deutschen Ordens, 1827; G. Phillips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte, 1827/28, oder im „Asega-Buch“ von T. D. Wiarda, 1805.

[6] S. 26, 84, 90, 128: nicht „der“, sondern das corpus iuris; S. 97, 132: Tuszien oder Tuscien; S. 136: quidquid; S. 146: Petrarca; S. 151: Amerbach, S. 189: Derogation; S. 238: Thibaut; S. 247: Immanuel Kant; S. 261: Interpolationen - um nur einige Beispiele zu nennen.

[7] „Der andere Zugang zum Naturrecht“, in: Deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 4 (1939), S. 3-24.

[8] Vgl. Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Auflage 1967, S. 374 - bei Note 89.

[9] Dazu näher St. Meder, Mißverstehen und Verstehen. Savignys Grundlegung der juristischen Hermeneutik, 2004, z. B. S. 146f. (mit weiteren Nachweisen).

[10] Nur am Rande sei bemerkt, daß in den Ausführungen zur Vorgeschichte von BGB und Schweizer Obligationenrecht auf S. 277 und 281 die Daten des Dresdener Entwurfs (1866) nicht richtig wiedergegeben werden, zutreffend dagegen die Angaben auf S. 275.

[11] Vgl. nur H. H. Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, 1983, S. 136ff.