Elpers, Bettina, Regieren, Erziehen, Bewahren. Mütterliche Regentschaften im Hochmittelalter (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 166). Klostermann, Frankfurt am Main 2003. VIII, 413 S.

 

Welche Wege kann ein Historiker respektive eine Historikerin einschlagen, wenn die Quellenlage für die gewählte Fragestellung dürftig und der allgemeine Forschungsstand beinahe ausschließlich von Ableitungen aus ganz wenigen normativen Quellen, die nur im Ausnahmefall dem in Betracht gezogenen Zeitraum bzw. dem betrachteten Untersuchungsgebiet entstammen, geprägt ist? Es bleibt die Erweiterung der Quellenbasis entweder durch eine Ausweitung des Untersuchungsraums oder durch eine Vergrößerung der zu Grunde gelegten Zeitspanne. Eine weitere Möglichkeit liegt in der Veränderung der Fragestellung, welche eine Berücksichtigung der „Mitüberlieferung“ für das ins Auge gefasste Forschungsproblem gestattet. Regina Elpers wählt in ihrer bei Johannes Fried in Frankfurt entstandenen Dissertation den zuletzt genannten Weg, indem sie bewährte Methoden der Genealogie und Landesgeschichte mit Vorgehensweisen der älteren Rechtsgeschichte sowie der neueren Adelsforschung verknüpft. Das Bindeglied zwischen diesen vier Gebieten ergibt sich für die Autorin aus den mütterlichen Regentschaften als Untersuchungsgegenstand. Die von ihr eingenommene Perspektive der Geschlechtergeschichte erlaubt es ihr nämlich, die wenigen Quellenstellen, die direkte Aussagen zur gewählten Frage ermöglichen, durch eine Einordnung in ihre jeweiligen sozialhistorischen bzw. quellenkundlichen Kontexte ausgiebiger zum Sprechen zu bringen, als es bei einer Einzelinterpretation der jeweiligen Zitate möglich gewesen wäre.

 

Der Leser sieht sich daher nach einer ausgiebigen Einordnung der gewählten Methode in den allgemeinen Forschungskontext und äußerst knappen Hinweisen auf den Forschungsstand zum Thema der mittelalterlichen Regentschaften im ersten Teil der vorgestellten Studie (S. 1-34: Einleitung) mit acht Biogrammen von Fürstinnen konfrontiert, die im 12. und frühen 13. Jahrhundert als Regentinnen im sächsischen Rechtskreis des Deutschen Reiches tätig waren. Diese werden dabei erzählend in ihre jeweiligen genealogischen und landesgeschichtlichen Bezüge eingeordnet, um die Handlungsspielräume einer hochmittelalterlichen Fürstin aufzuzeigen (S. 35-57: Gertrud von Braunschweig; S. 58-78: Sophia von Bayern; S. 79-97: Gertrud von Supplinburg und Richenza von Northeim; S. 98-111: Kunigunde von Vohburg; S. 112-127: Agnes von Loon und Rieneck; S. 128-147: Helena von Dänemark; S. 148-163: Mechthild von Niederlausitz; S. 164-186: Jutta von Thüringen).

 

Die Autorin unternimmt dann im neunten Kapitel den Versuch, die gesammelten Quellenaussagen (insgesamt rund einhundert annalistische, chronikalische oder aus Nekrologien stammende Belege sowie etwa sechzig urkundliche Nachrichten) zum Bild einer idealtypischen hochmittelalterlichen Fürstin zu verdichten. Das aus dem 11. und frühen 12. Jahrhundert belegte Handlungsschema der Markgräfin Mathilde von Tuszien dient ihr dabei als Vergleichsraster. Handlungsspielräume ergaben sich demzufolge für hochmittelalterliche Fürstinnen vor allem aus ihrer Herkunft. Diese bot ihren Ehemännern die Chance zur sozialen Verbesserung, wenn die Ehefrauen nämlich gesellschaftlich höher standen oder zumindest als gleichrangig erachtet wurden. Eigene Handlungsspielräume ergaben sich für Fürstinnen außerdem aus der Verantwortung der Frauen für die Memoria desjenigen Adelshauses, das durch die Ehe neu gegründet wurde, sowie aus der Hoffnung auf Friedensstiftung und Bündniswahrung, die bei einer Verheiratung mit der Vertreterin eines konkurrierenden Adelsverbandes bestand. Die Befähigung der Fürstinnen zur politischen Identitätsstiftung und zur Vermittlung von Traditionen kam vor allem bei Verfügungen für das Gedenken und das Seelenheil verstorbener Fürsten zum Tragen. Die Fürstinnen besaßen überdies die Aufgabe, durch die Erziehung ihrer Kinder kulturelle Werte an die nächste Generation weiter zu vermitteln. Sie konnten immer wieder Einfluss und Rat auf die Regierung ihrer Söhne nehmen. Manchmal mussten sie diese sogar bewaffnet unterstützen. Noch schwerer in den Quellen greifbar als die häufiger zu Tage tretende Sorge für die Memoria und die äußerst selten nachweisbaren Kriegszüge sind richterliche Tätigkeiten, Lehnsvergabungen und kirchenpolitische Maßnahmen mittelalterlicher Fürstinnen. Beispiele für eine stellvertretende Herrschaftsausübung während der Abwesenheit eines Fürsten sind ebenfalls nur sporadisch belegt (S. 187-209: Die kollektive Biographie einer idealtypischen Fürstin).

 

Der zweite Teil der vorgestellten Studie bietet eine Analyse der mütterlichen Regentschaften aus der Perspektive der Quellen. Hierzu zählt zum einen die historiographische Überlieferung, die im Wesentlichen durch den „Annalista Saxo“, die „Cronica Reinhardsbrunnensis“, das „Chronicon Montis Sereni“, die „Historia Welforum“, die Chroniken Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck sowie die „Genealogia Wettinensis“ repräsentiert wird (S. 213-234: Kapitel 1: Die mütterlichen Regentschaften in der Geschichtsschreibung; S. 254-273: Kapitel 3: Herzogin Gertrud und Kaiserin Richenza anhand ihrer Urkunden und der sächsischen Geschichtsschreibung). Zum anderen zählen hierzu Urkunden und Traditionsnotizen, die vor allem in Sachsen, Bayern und der Steiermark zu finden sind (S. 235-253: Kapitel 2: Die Regentschaften des 12. Jahrhunderts in Urkunden und Traditionsbucheinträgen; Kapitel 3 wie angegeben; S. 274-278: Kapitel 4: Die sächsischen Regentschaften in den Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts; S. 279-324: Kapitel 5: Die Mitwirkung der tutores). Für die normative Überlieferung stehen drei Quellenzitate aus dem „Sachsenspiegel“ des Eike von Repgow (Kapitel 5 wie angegeben). Der Erkenntnisgewinn des zweiten Teils, der durch manche Wiederholung geprägt ist, erwächst in erster Linie aus der genaueren Unterscheidung zwischen den Herrschaftsformen und Rechtsnormen der Lehnsvormundschaft, der Vormundschaft und der Regentschaft. Hierbei kommt stellenweise auch die in der Einleitung vernachlässigte ältere rechtshistorische Forschung zu Wort.

 

Das Fazit steht schließlich unter dem Titel „Mütterliche Regentinnen als Herrschaftsträgerinnen“ (S. 325-336). Es beruht auf der These, „dass die Fürstin durch die Ehe eine vertragliche Bindung zum Herrschaftsträger einging, aus der sie innerhalb der Konzeption des Hauses Herrschaftsrechte ableiten konnte. Verwitwete sie, bestand diese Bindung fort, solange legitime Söhne vorhanden waren, die den Fortbestand des Hauses sicherten. Hieraus leitete sie ihre Stellung als Regentin ab.“ (S. 325) Vorstellungen der tutela hätten demgegenüber für die Rechtsstellung der Regentinnen des 12. Jahrhunderts keine Bedeutung besessen. Die Vormundschaft sei als Handlungsnorm erst mit der allmählichen Rezeption des römischen Rechts im 13. Jahrhundert in der Gestalt männlicher Vormünder neben den Rechtskreis der verwitweten Fürstin getreten (S. 325f.). Die Herrschaftspraxis der Regentinnen sei auf eine Bewahrung der vorhandenen Rechte, die Erlangung von Zustimmung zur eigenen Herrschaft und die Verteilung von Herrschaftsaufgaben im näheren persönlichen Umfeld ausgerichtet gewesen. Nicht nur die Tradierung bestehender Wertvorstellungen, sondern auch die Erziehung der Fürstensöhne durch ihre Mütter habe einen hohen Stellenwert für die Regentschaft besessen (S. 327-330). Die Weigerung der heiligen Elisabeth, während der Abwesenheit ihres Mannes die Herrschaft in Thüringen und damit auch die Verantwortung für ihren jungen Sohn zu übernehmen, zeige ex negativo, wie selbstverständlich mütterliche Regentschaften im frühen 13. Jahrhundert für die Zeitgenossen gewesen seien (S. 330-335).

 

Die vorgelegte Studie zeichnet sich durch einen eigenständigen methodischen Ansatz, eine konsequente Durchführung, gedankliche Klarheit, einen soliden Umgang mit den Quellen und eine grundlegende These aus. Der flüssige Schreibstil der Verfasserin wird leider durch zahlreiche Zeichensetzungsfehler beeinträchtigt. Das Personenregister hätte zumindest um die nachweisbaren Sterbedaten ergänzt werden sollen. Die Tatsache, dass einige dieser Daten in den beigefügten Stammtafeln zu finden sind, kann diesen Mangel nur partiell ausgleichen. Der Forschungsstand zum Thema „Regentschaft“ hätte vielleicht noch schärfer prononciert werden können. Das Übergewicht der älteren rechtshistorischen Forschung und die damit verbundene Problematik, Rechtsregeln aus nur wenigen normativen Quellen abzuleiten und diese dabei oft überproportional zu verallgemeinern, wären dann deutlicher zu Tage getreten. Einige Hinweise auf diese Tendenzen in der älteren Fachliteratur hätten den hohen Stellenwert der vorliegenden Studie für die weitere Forschung noch unterstrichen. Die Beiträge Armin Wolfs, Theo Kölzers und Amalie Fössels werden immerhin behandelt, die Ergebnisse Félix Olivier-Martins und Johannes Laudages in zwei Fußnoten erwähnt. Völlig unberücksichtigt bleiben hingegen Studien, die für die Abgrenzung der Herrschaftsformen und Rechtsnormen Regentschaft und Vormundschaft von zentraler Bedeutung sind (Hans Fricke; Gertrud Wendehorst; Peter von Rassow; Harriet Lightman; Brigitte Kasten).

 

Die Autorin hätte auf diese Weise vielleicht sogar die Beobachtung gemacht, dass der Forschungsbegriff der „mütterlichen Regentschaften“, den sie einer neueren Überblicksstudie von Maria Teresa Guerra Medici entnimmt, in der Sache schon 1644 bei Charles Combault d’Auteuil zu finden ist und 1895 von Élie Berger wieder aufgegriffen wurde. Die Protagonistin beider Autoren, Blanka von Kastilien, war die Gemahlin König Ludwigs VIII. von Frankreich. Ihr Name weist in die Richtung, aus der eine weitere Überprüfung der These von Bettina Elpers, wonach mütterliche Regentschaften bis ins frühe 13. Jahrhundert eine übliche, wenn auch nicht häufig belegte Herrschaftsform und Rechtsnorm waren, möglich wäre. Gemeint sind die spanischen Königreiche und Frankreich.

 

Die von Bettina Elpers herausgestellte Leitungs- und Erziehungsfunktion mittelalterlicher Regentinnen wird durch diese Hinweise auf die Begriffsgeschichte des Wortes regere indirekt bestätigt. Dieser Begriff wurde im 13. Jahrhundert erstmals in der Bedeutung von profiteri, docere, regentis officium exercere in scholis gebraucht. In dem Fürstenspiegel „De regimine principum“ des Ägidius Romanus steht er für die Anleitung und Unterweisung eines jungen Königs. Er konnte im Mittelalter auch mit alere oder sustentare umschrieben werden. Als Fachausdruck für einen Träger stellvertretender Herrschaft findet sich der Ausdruck regens, regent zunächst in erzählenden, spätestens seit 1311 auch in urkundlichen Quellen. Regentschaften, die von Männern ausgeübt wurden, gingen seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts meistens auf Usurpationen zurück, die erst im Nachhinein eine Rechtfertigung erfuhren. Die Konkurrenz zwischen den Regentschaften von Männern und denen von Frauen blieb in Frankreich sogar bis zum Ende der Ancien Régime erhalten. Diese Beobachtungen können unter der von Bettina Elpers herausgestellten doppelten Voraussetzung, dass Regentschaften zur Erhaltung des Hauses dienten und dass sie eigentlich eine Domäne der Frauen waren, die Forschung nicht weiter verwundern.

 

Hamburg                                                                                            Marie-Luise Heckmann