Ebel, Friedrich/Thielmann, Georg, Rechtsgeschichte. Von der römischen
Antike bis zur Neuzeit. 3. Aufl. C. F. Müller, Heidelberg 2003. XXV, 519 S.
Der Titel „Rechtsgeschichte“
erfreut sich wachsender Beliebtheit. Nachdem Ende 2002 bereits die Zeitschrift
des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte von „Ius Commune“ auf
„Rechtsgeschichte“ umgestellt hat, wählen nun auch Ebel und Thielmann diesen
Titel für die Neuauflage ihres Werks. „Rechtsgeschichte widmet sich nicht einer
Provinz, sondern der großen Welt des Rechts“ - so die Begründung des
Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte (Rg 1, 2002, S. 5). Ebel
und Thielmann geben sich bescheidener: Der Anspruch, „eine gesamteuropäische
oder gar darüber hinausgehende Rechtsgeschichte zu bieten, wird nicht erhoben“
(S. V). Ob die Wahl des Titels als ein weiteres Anzeichen dafür anzusehen ist,
daß die traditionelle Einteilung des Faches in Romanistik und Germanistik in
Rückbildung begriffen oder gar eine Entdifferenzierung im Bereich der
verschiedenen rechtshistorischen Teildisziplinen zu beklagen ist, haben die
Autoren im Vorwort zur neuen Auflage offen gelassen. Sie heben nur hervor, daß
das Recht der römischen Antike und das deutsche Recht mit seinen Vorläufern
auch weiterhin den Schwerpunkt ihrer Darstellung bilden soll (S. V).
Das Buch richtet sich
an Leser ohne Vorkenntnisse, will aber auch den neuesten Stand der Forschung
berücksichtigen. Daß dieses Ziel nicht immer zu erreichen ist, zeigen bereits
die programmatischen Bemerkungen zur „Aufgabe der Rechtsgeschichte“ in der
Einleitung (Rz. 1). Den übergreifenden Gesichtspunkt soll die juristische
Hermeneutik liefern. Danach bemühe sich der Rechtshistoriker „um kontemplatives
Verstehen eines unwiderruflich vergangenen rechtlichen Gegenstandes“. Seine
Erkenntnisleistung liege schwerpunktmäßig nicht in der „Nützlichkeit der
einzelnen erkannten Fakten für die Gegenwart“ (Rz. 1). Dieser Standpunkt läßt
sich durchaus vertreten und hat in der juristischen Hermeneutik auch immer
wieder Anhänger gefunden (z. B. E. Betti). Doch darf sich Ebel zur Begründung
nicht auf H. G. Gadamer berufen, dessen „Wahrheit und Methode“ im ersten
Abschnitt über „Grundbegriffe“ wiederholt zitiert wird (abwechselnd die zweite
und die vierte Auflage, siehe etwa Rz. 1 und 24). Denn nach Gadamer tut der
Rechtshistoriker „genau dasselbe, was der Richter tut, nämlich den
ursprünglichen Sinngehalt des Gesetzestextes von demjenigen Rechtsgehalt
unterscheiden, in dessen Vorverständnis er als Gegenwärtiger lebt“ (Wahrheit
und Methode, 6. Auflage, S. 332). Nur am Rande sei bemerkt, daß die von Gadamer
zwischen Verstehen, Auslegen und Anwenden gezogenen Verbindungslinien einen
Schlüssel zur Lösung der im Vorspann angesprochenen Frage nach dem Verhältnis
von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik bieten könnten (Rz. 1). Mit Blick auf
eine weitere Überarbeitung des Werks wäre es jedenfalls wünschenswert, die „einführenden“
Darlegungen zum Thema Verstehen und Anwenden des Rechts so zu präzisieren, daß
sie zumindest von einem Leser mit Vorkenntnissen nachvollzogen werden können.
Die von Thielmann
verfaßten Abschnitte über das römische Recht sind gegenüber der Vorauflage kaum
verändert worden. Positiv hervorzuheben ist die Beibehaltung der
quellenorientierten Darstellung des Stoffes, die es dem Leser gestattet, sich
ein eigenes Urteil zu bilden. Bezüge zu den übrigen Teilen kommen leider kaum
vor, so daß das Gesamtwerk einen aggregatartigen Eindruck hinterläßt. Ein
Beispiel bildet der Komplex „Spätantike“, der unter dem Stichwort „Vulgarrecht“
sowohl von Thielmann (Rz. 119) als auch von Ebel (Rz. 236) erörtert wird.
Thielmann faßt den Begriff - im Einklang mit der älteren Lehre - sehr weit, so
daß sogar die Kaisergesetze als Quellen für Vulgarrecht erscheinen (Rz. 119).
Dabei glaubt Thielmann sich auf die 2003 erschienene Studie von H. Weßel „Das
Recht der Tablettes Albertini“ stützen zu können (bei Note 519). Diese steht
jedoch für eine neue Richtung, die - wenn überhaupt - nur noch einen engen
Begriff des Vulgarrechts anerkennt. Die Andeutungen bei Ebel (Rz. 236) lassen
dagegen vermuten, daß er der überkommenen Vulgarrechtsthese - zu Recht -
kritisch gegenübersteht.
Was den
deutschrechtlichen Teil des Werkes anbelangt, so wären hervorzuheben: die
Abschnitte über die mittelalterliche Stadt (Rz. 163ff.), über die
mittelalterliche (Rz. 206ff.) und evangelische Kirche im frühneuzeitlichen
Staat (Rz. (318ff.) sowie das im Längsschnitt dargestellte Judenrecht vom
Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Rz. 393ff.) - alles Themen, die in
Lehrbüchern sonst häufig stiefmütterlich behandelt werden. Besondere
Hervorhebung verdient zudem, daß sich die privatrechts-, strafrechts- und
verfassungsgeschichtlichen Elemente der Darstellung ungefähr die Waage halten.
Nicht zu überzeugen
vermögen die Ausführungen zur Frage nach den Veränderungen, welche die
Historische Schule gegenüber den Ideen von Naturrecht und Aufklärung gebracht
hat. Ihre „Methode der Begriffsbildung“ wird unter Stichworten wie „logische
Deduktion“ und „Begriffsjurisprudenz“ abgehandelt, was z. B. dem komplexen
Ansatz von Savigny nicht gerecht wird (Rz. 494). Zwar mag es richtig sein,
einzelne Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts als „lehrbuchhaft“
zu charakterisieren (Rz. 355). Es ist aber nicht zutreffend, auch das
Bürgerliche Gesetzbuch „von der Konzeption her“ als ein „Lehrbuch des
Zivilrechts“ zu qualifizieren (Rz. 23). Dabei wird verkannt, daß gerade die
maßgeblichen Repräsentanten der Historischen Schule in Opposition zu den
naturrechtlichen Vorstellungen über Vollständigkeit von Definitionen und
Lückenlosigkeit der Gesetze getreten sind. So steht etwa Savignys Methodologie
unter der Prämisse, daß ein Gesetzgeber nicht oder nur in bescheidenem Maße
imstande ist, zuverlässige Prognosen über die Entscheidung künftiger Fälle zu
geben. Nicht zuletzt aus diesem Grund waren auch die Verfasser des BGB
bestrebt, die „Hereinziehung der Jurisprudenz in das Gesetzbuch“ (Bethmann-Hollweg)
möglichst zu vermeiden. In Bezug auf die dem BGB zu Grunde liegende
Regelungstechnik hat gerade die jüngste Forschung eine Reihe von Erkenntnissen
erzielt, die hätten berücksichtigt werden müssen.
Positiv hervorzuheben
ist schließlich auch für den deutschrechtlichen Teil die umfängliche Darbietung
ausgewählter Quellen, an die sich zum Teil sehr knapp gehaltene, aber treffende
Bemerkungen anknüpfen (z. B. Rz. 152). In der fundierten Quellenkenntnis, die
das Werk vermittelt, dürfte seine eigentliche Stärke liegen, die auch der 3.
Auflage ihren Platz am Markt der rechtshistorischen Lehrbücher sichern wird.
Hannover Stephan
Meder