Duncker, Arne, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700-1914 (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 1). Böhlau, Köln 2003. XCVII, 1189 S.
Bereits die Einführung zu Gegenstand, Methode und Zielsetzung (S. 1-39) lässt in ihrer Präzision die Arbeitsweise des Autors erkennen. Der systematische Aufbau der Kapitel, die exakt getroffenen Abgrenzungen bezüglich Begrifflichkeit sowie Anwendbarkeit der Normen, der Blick für Details sowie die stets klare Sprache werden schon im Einführungskapitel offenkundig. Duncker stellt seinen Ausführungen die Aussage voran, dass er einen „bloßen“ Teilaspekt des Eherechts, die persönlichen Ehewirkungen behandelt, die in den Rechtstexten oft nur geringen Raum einnehmen. Durch die Breite und Dichte seines Werks offenbart er jedoch, dass das Ausmaß der Regelungen kein Bild über die Bedeutung des Themas und den Grad der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bietet. Insbesondere aus der Sicht der Frauen- und Geschlechterforschung öffnet der Autor durch seine komplexe Darstellung des scheinbar Selbstverständlichen einen fundierten Einblick in die Realität der Geschlechterbeziehung schlechthin – der Ehe zwischen Frau und Mann.
Der mit Grundlagen umschriebene zweite Teil (S. 41-371) bietet für sich allein bereits für alle an der Rechtsgeschichte und am Eherecht Interessierten eine Rechtsquelleneinführung, wie sie kompletter nicht sein könnte. Sowohl das römische und kanonische Recht, die deutsche Rechtstradition, das Naturrecht als auch die Kodifikationen, nicht nur der (ehemaligen) reichsdeutschen Länder und Territorien, sondern auch der Code Napoleon und das Schweizer Zivilgesetzbuch werden analysiert. Die wichtigsten behandelten bzw. zur Interpretation herangezogenen, in einem umfassenden Anhang (S. 1115-1171) wiedergegebenen Quellen des persönlichen Eherechts sind: Justinians Institutionen, Digesten, Kodex und Novellen; Altes und Neues Testament; Corpus Iuris Canonici; Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts 1754; Project eines Corporis Juris Fridericiani, Preußen 1749/1751; Codex Maximilianeus Bavaricus 1756; Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 1794; Code Napoleon 1804; Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesamten deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie 1811; Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogtum Hessen 1842; Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch 1861; Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen 1863; Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich 1896; Schweizerisches Zivilgesetzbuch 1907.
Im dritten Teil werden die einzelnen ehelichen Rechte und Pflichten dargestellt und auf ihre unterschiedliche Anwendung auf Mann und Frau und die durch sie evozierten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern analysiert. Der Autor gliedert die Tatbestände in die folgenden 9 Bereiche (Kapitel): Eheherrschaft des Mannes (S. 373-619), Geschlechtsgemeinschaft (S. 620-677), eheliche Treue (S. 677-721), häusliche Gemeinschaft und Wohnortbestimmung (S. 721-767), Einheitlichkeit von Name und Stand (S. 767-787), gegenseitiger Beistand (S. 787-799), Rollenverteilung in Haushalt und Beruf (S. 800-879), Unterhalt (S. 879-896) und Modifizierung von Ehepflichten bei besonderen Verhältnissen (S. 896-906). Unter letztgenannter werden Fragen von Schwangerschaft und Wochenbett, Minderjährigkeit, Entmündigung und Erwerbsunfähigkeit abgehandelt. Zu fast allen Materien erfolgt die Behandlung von Spezialfragen, wie sie wohl erst durch die Geschlechterforschung formuliert wurden und werden. So ist beispielsweise das Züchtigungsrecht des Mannes als Teil seiner Eheherrschaft und die korrespondierende besondere Gehorsamspflicht der Frau zu nennen. Die Vergewaltigung in der Ehe stellt sich weniger als Straftatbestand, denn als ziviles Recht auf Vergewaltigung dar. Grundlegend und mit einer umfassenden Würdigung werden die Fragen der Berufsausübung bzw. selbstständigen Geschäftstätigkeit von Frauen sowie ihrer Mitwirkungspflicht am Erwerb des Mannes dargestellt. Letztere wieder eine Pflicht, für die kein korrespondierendes Pendant des Gemahls zu finden ist. Sollte man Gefahr gelaufen sein, das auf Interpretationsweg etablierte Brieföffnungsrecht des Ehemannes oder die von der Rechtsprechung entwickelte und primär auf Frauen anwendbare Pflicht zum Aufsuchen einer Nervenklinik zur Wiederherstellung des ehelichen Zusammenlebens in den Bereich der Kuriositäten abzutun, so relativiert Duncker dies durch seine systematische Einordnung. Das Muster und System der Ungleichbehandlung der Geschlechter wird hierdurch um ein weiteres Segment vervollständigt.
Der vierte Teil der Arbeit widmet sich den individuell eingeräumten Möglichkeiten einer Abweichung von den gesetzlich vorgeschriebenen Eherechten und Ehepflichten sowie der Störungsabwehr bei Eingriffen Dritter (S. 907-984). Die Wechselbeziehung mit verwandten Rechtsgebieten behandelt Teil 5 (S. 985-1045). Hier wird nochmals eine kurze Abgrenzung des persönlichen Eherechts zum Verlobungs-, Scheidungs- und Ehegüterrecht unter Einbeziehung der Frage der Geschlechtsvormundschaft im Allgemeinen versucht. Insbesondere das Scheidungsrecht steht in engem Zusammenhang mit den persönlichen Ehewirkungen, bilden doch die Scheidungsgründe das „negative Abbild der Ehepflichten“. Zu Recht verweist der Autor hier zusammenfassend noch einmal darauf, dass gerade erst scheidungsrechtliche Regelungen scheinbar gleiche Ehepflichten zu Ungunsten von Frauen wirken ließen. Teil 6 (S. 1047-1114) schließt mit einer Würdigung der Gesetze und Rechtsquellen sowie einer Gesamtwürdigung unter Darlegung der Entwicklungstendenzen auf das moderne Recht der Geschlechterbeziehungen.
Durch die Fülle der behandelten Quellen und ihre komplexe Analyse zeigt sich ein facettenreiches, umfassendes Bild des Ehelebens über mehr als 2 Jahrhunderte. In den einzelnen Kapiteln werden über die genannten Gesetze hinaus regelmäßig Entwürfe, Motivenberichte, aber auch Judikatur sowie Kommentierungen und Lehrmeinungen einbezogen. Immer wieder eingestreut finden sich historische Anmerkungen kritischer, frauenbewegter Männer aus Politik und Philosophie. Zumindest für das späte 19. Jahrhundert versucht der Autor eine umfassende Wiedergabe zeitgenössischer Frauenschriften zu Fragen des Ehelebens und dessen rechtlicher Beurteilung; die Verweise auf moderne feministische Literatur scheinen hingegen eher beliebig. Duncker selbst erhebt den Anspruch, „Quellen nicht nur schlicht referiert“ zu haben, sondern sie „gewissermaßen gegen den Strich zu lesen“ (S. 4), was ihm in größten Teilen überzeugend gelungen ist. Er bezieht dabei eindeutig die Position der Frauen, brandmarkt rechtliche Ungleichheit und Schlechterstellung sowie die interpretatorische Umkehrung von Gleichheitsideen durch Detailauslegungen. Fraglich scheint allerdings seine Lesart kirchenrechtlicher Quellen, insbesondere betreffend Fragen der sexuellen Pflichten der Ehe, zu Gunsten von Frauen (S. 78ff. sowie S. 623f.). Hervorgehoben werden soll der Exkurs (S. 253ff.) zur Geschlechtsdefinition im Recht und zur Problematik des binaren Systems der Geschlechtlichkeit. Weiters geht er der Frage der sprachlichen Erfassung von Frauen und Männern in den Rechtsquellen nach.
Die fast 1200 Seiten umfassende Arbeit übertrifft wohl die Erwartungen an eine rechtshistorische Dissertation dermaßen, dass die „summa cum laude“-Beurteilung geradezu selbstverständlich erscheint. Sie ist sicherlich kein leichter Einstieg in historische Fragen der Geschlechterforschung; für mit dem Thema Vertraute hingegen stellt das Werk ein vorzügliches Kompendium dar. Duncker legt allen zukünftigen Autorinnen und Autoren der neuen Reihe zur Geschlechterforschung in der Rechtsgeschichte die Latte hoch; er hat einen (ge-)wichtigen Eröffnungsband vorgelegt.
Linz Karin Neuwirth