Die
Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien, hg. v. Fröhlich,
Michael. Primus, Darmstadt 2002. 432 S.
Dem
Herausgeber – natürlich nicht ihm allein, sondern ebenso den vielen jüngeren
und älteren Experten, auf deren Beiträge er sich stützt – gelingt es in diesem
Buch, ein außerordentlich lebendiges Bild der politischen, gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und militärischen Prozesse vom Zusammenbruch des Kaiserreichs
bis zum Ende der Weimarer Republik zu zeichnen. Im Mittelpunkt stehen Personen.
Roter Faden des Buches ist die Frage nach deren Verhältnis zur Republik.
Bedeutende,
aber auch in Vergessenheit geratene Menschen werden vorgestellt: der „Vater“
der Weimarer Verfassung Hugo Preuß (von Arndt Faatz); der zwiespältige
Walter Simons (von Horst Gründer); der sowohl faszinierende als auch
immer noch rätselhafte und umstrittene Carl Schmitt (von Hans-Christof Kraus,
der nicht der Formel „Theorist of the Reich“ von Joseph W. Bendersky
folgt, sondern zu einer wesentlich positiveren, aber auch differenzierteren
Wertung gelangt); der zu Unrecht „gründlicher Vergessenheit anheim gefallen[e]“
viermalige Reichskanzler Wilhelm Marx (Ulrich von Hehl, S. 51); Philipp
Scheidemann (von Gerd Fesser), Friedrich Ebert (von Walter Mühlhausen)
und Matthias Erzberger (von Peter Grupp), Kurt von Schleicher (von Christoph
Gusy) und Heinrich Brüning (von Udo Wengst). Walther Rathenau wird
von Wolfgang Michalka als „eine der schillerndsten, facettenreichsten
und intellektuell provozierendsten Persönlichkeiten“ der Zeit charakterisiert
(S. 104). Bei Gustav Stresemann hebt Eberhard Kolb „die Dialektik von
Dauer und Wandel in seinem Werden und Wirken“ hervor (S. 208), die es erst
ermöglicht, ihm gerecht zu werden und seinen „markanten politischen Stil“ zu
würdigen (S. 209). Portraitiert werden die beiden Generäle Hans von Seeckt (von
Friedrich-Christian Stahl) und Wilhelm Groener (von Johannes Hürter),
der sich zunächst um die Republik verdient machte, 1932 aber „im entscheidenden
Moment nicht mehr wie zuvor die [notwendige] Kraft“ besaß (S. 116); sodann der
erste Reichswehrminister Gustav Noske (von Wolfram Wette). Im Rahmen der
Biographie von Otto Braun vertritt Wolfgang Wippermann die These, dass
die preußischen Demokraten möglicherweise zu leicht resignierten und der
preußische Ministerpräsident, wäre er so entschieden und standhaft geblieben
wie zuvor, den „Preußenschlag“ von Papens hätte abwehren können. Das DDR-Idol
Ernst Thälmann erfährt durch Annette Leo eine eher kritische Würdigung
als Mensch, dem sein Aufstieg zur Macht „zu Kopfe gestiegen“ ist (S. 310).
Hans-Ulrich
Thamer charakterisiert Adolf Hitler als jemanden, der „keinen
strategischen Plan zur Erringung einer neuen Machtposition [besaß], sondern den
Willen, sich nicht unterordnen zu müssen, und die Fähigkeit zum Abwarten, bis
er in einer Art Flucht nach vorn sich zu einer Aktion oder einer Entscheidung
entschloss.“ (S. 344)
Im
negativen – der „uneinsichtig[e]“ Medienmonopolist Alfred Hugenberg, der aus
Selbstüberschätzung und übersteigertem nationalen Wahn „unmittelbar an der
Auslieferung des Staates an Hitler beteiligt“ war (Oliver Tauke, S. 81f)
– wie im positiven Sinne gesellschaftlich bedeutend gewordene Personen – die
verantwortungsbewusste Unternehmerpersönlichkeit Robert Bosch (von Rolf
Becker) oder der als Berliner „Großstadtapostel“ bekannte katholische
Priester Carl Sonnenschein (von Winfried Pesch), die Gründerin der
Arbeiterwohlfahrt Marie Juchacz, die ihre Partei, die SPD, erst von der
Notwendigkeit überzeugen musste, die Wohlfahrtspflege nicht allein bürgerlichen
Kreisen zu überlassen (von Angela Icken), Helene Weber (von Angelika
Schmidt-Koddenberg), welche die soziale Frauenbildung aufbaute und
erfolgreich für ihre Institutionalisierung arbeitete, oder der Schulreformer
Siegfried Kawerau (von Wolfgang Hasberg) – fehlen nicht. Den Lebenslauf
von Toni Sender, die sich als Wirtschaftsexpertin und Sozialistin im Reichstag
weder linientreu auf eine Ideologie noch auf Frauenthemen festlegen ließ und
durch ihr „unweibliches“ Verhalten irritierte, schildert Jürgen Steen.
Die
Bildhauerin Käthe Kollwitz wird von Michael Basse vorgestellt. Olaf
Peters zeigt anhand der Biographie des Malers Otto Dix, „dass einfache
Urteile über die Lebensbedingungen geächteter Künstler und die
nationalsozialistische Kunstpolitik nicht zu treffen sind“ (S. 387). Stark
vertreten sind Schriftsteller und Intellektuelle (Alfred Döblin von Wolfgang
Düsing, Kurt Tucholsky von Karl Heinz Wagner, Bertold Brecht von Jürgen
Kost, der in Frankreich höher als in Deutschland geachtete Ernst Jünger von
Bernd Sülzer, Erich Kästner von Karl Heinz Wagner und Oswald
Spengler von Hans-Christoph Kraus); der als „pazifistischer Maulheld“
beschimpfte Fritz Küster (von Stefan Appelius) sowie der Arzt Ernst
Ferdinand Sauerbruch (von Wolfgang U. Eckart) runden das Bild ab. Die
Aufnahme der Biographie des Generalsekretärs des Untersuchungsausschusses der
Nationalversammlung zur Aufklärung der Kriegsschuldfrage und späteren Direktors
der Reichstagsbibliothek Eugen Fischer-Baling (von Rolf Forsbach)
leuchtet wenig ein.
Umgekehrt
vermisst man trotz des abgerundeten Gesamteindrucks einige Personen: Warum
wurden Hindenburg und Franz von Papen weggelassen? Auch Hermann Göring oder
Gregor Strasser hätte man sich in dieser Runde vorstellen können. Das schmälert
natürlich nicht die eingangs erwähnten Qualitäten des Buches.
Anschau Eva
Lacour