Die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon 879-871, hg. v. Schieffer, Rudolf (= Monumenta Germaniae Historica. Concilia Band 4, Supplement II). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2003. XV, 583 S.

 

Mehrere Hoftage und Synoden im Reich Karls des Kahlen befassten sich mit dem Streit zwischen Erzbischof Hinkmar von Reims und seinem Neffen Hinkmar von Laon. Die entsprechenden synodalen Dokumente sind 1998 von Wilfried Hartmann in: Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 860-874 (Monumenta Germaniae Historica Concilia 4) veröffentlicht worden. Dem stellt Rudolf Schieffer fünf weitere Texte als Ergänzung zur Seite.

 

Dabei handelt es sich als erstes um die zeitlich nur ungefähr (bis Ende 869) einzugrenzende formlose, fünf lückenhaft überkommene Textfolgen umfassende, in der Berliner Phillipps-Handschrift 1764 überlieferte, bisher ungedruckte Materialsammlung kirchenrechtlicher Quellenstudien, mit denen sich Hinkmar von Laon auf befürchtete Auseinandersetzungen um seine Stellung vorbereitet haben dürfte. Der zweite Text ist der aus drei Handschriften konstituierte, von Sirmond entstellend und von Migne verkürzt wiedergegebene, hinsichtlich einer Erweiterung um sieben Exzerpte bisher ungedruckte, von Hinkmar von Laon in Gondreville im November 869 Hinkmar von Reims zugemittelte, mit (vorwiegend pseudoisidorischen) Dekretalen die Ohnmacht der Erzbischöfe gegenüber der unmittelbaren Rechtsbeziehung der Bischöfe zum Papst zu belegen versuchende sog. Pittaciolus. Der dritte Text enthält unter besonderer Berücksichtigung des im Pariser Codex 2865 überlieferten Arbeitsexemplares mit rund tausend bestimmten und nach Möglichkeit hergeleiteten Zitaten das in Attigny im Juni/Juli 870 als ausdrückliche Gegenschrift Hinkmars von Reims vorgelegte Opusculum LV capitulorum. Der vierte Text ist die am 13. November 870 zugestellte Antwort Hinkmars von Laon (Rotula prolixa), der fünfte Text eine weitere Äußerung des Neffen vom 16. Juni 871 (Collectio ex epistolis Romanorum pontificum). Beide in derselben, von Sirmond bereits verwerteten Handschrift überlieferten Texte sind wörtlich in dem Libellus expostulationum aufgegriffen, mit dem Hinkmar von Reims in Douzy im August 871 die Absetzung seines Neffen erreichte.

 

Alle Texte vermehren nicht nur das Verständnis für die seinerzeitigen synodalen Entscheidungen, sondern erweisen zugleich die Zugriffsmöglichkeiten beider Kontrahenten auf die nur wenige Jahrzehnte zuvor entstandenen falschen Dekretalen und die Capitula Angilramni. Bischof Hinkmars Versuch der praktischen Umsetzung der pseudoisidorischen Vorstellungen tritt dabei Erzbischof Hinkmar bemerkenswerterweise nicht mit einer Entlarvung von Fälschungen sondern mit gegenteiligen Deutungen entgegen. Hinkmar von Reims’ letztlich auf überlegenem Argumentationsniveau überzeugendes Werk der 55 Kapitel soll davon losgelöst im Übrigen auch in der geplanten Gesamtausgabe seiner Briefe wiederkehren.

 

Alle Texte sind vorbildlich eingeleitet, ediert und durch umfassende Register erschlossen. Damit ist nach 20 Jahren ein interessantes Editionsvorhaben einem glücklichen Ende zugeführt. Möge weitere Planung gleichwertige Erfüllung finden.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler