Dewitz, Ralf Michael, Der Vertrag in der Lehre Otto Mayers (= Schriften zur Rechtsgeschichte 107). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 145 S.
Die von Walter Krebs betreute Berliner Dissertation macht sich zur Aufgabe, die Verwaltungsrechtsdogmatik Otto Mayers in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Vertrag, die nach Ansicht des Autors bis heute noch keine ausreichende Untersuchung erfahren hat, zu durchleuchten und ihrer möglichen aktuellen Relevanz nachzugehen. Bekanntlich kumuliert Mayers Lehre in dem Verdikt, zwischen Staat und Untertan sei ein wahrer öffentlich-rechtlichen Vertrag unmöglich. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahre 1966 formulierte, Otto Mayers Ansicht sei insoweit durch die moderne Verwaltungsrechtswissenschaft eindeutig widerlegt (BVerwGE 23, 213, 215f.), und auch in Ansehung der §§ 54ff. VwVfG und weiterer den öffentlich-rechtlichen Vertrag ausdrücklich legitimierender gesetzlicher Bestimmungen, überrascht der Ansatz der Arbeit zunächst ein wenig. Anknüpfend an vereinzelt immer noch existierende Skepsis gegenüber dem Verwaltungsvertrags legitimiert Dewitz seine Untersuchung vornehmlich mit der Aussage seines Betreuers, Otto Mayer habe auch heute „noch irgendwie Recht“. Dies formulierte Krebs in einem Beitrag, in dem er der Systemidee einer erst noch zu schaffenden Dogmatik des Vertrages zwischen Staat und Bürger nachging (Grundfragen des öffentlich-rechtlichen Vertrages, in: Ehlers/Krebs, Grundfragen des Verwaltungsrechts und des Kommunalrechts, 2000, S. 41ff).
Die Dissertation stellt in einem ersten knappen Kapitel vorwiegend Ergebnis bezogen die Aussagen Mayers zu den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten vertraglicher Regelungen des Staates dar. Auf dem Gebiet des Völker- und Staatsrechts hatte der Vertrag danach durchaus einen Platz, zwischen Staat und Untertan konnte es dagegen allein und ausnahmsweise zu zivilrechtlichen Verträgen kommen. Die Grundlagen der mayerschen Dogmatik, die diese Erkenntnisse tragen, werden im zweiten Kapitel zunächst einleitend angesprochen, um sodann im Folgenden eine vertiefende Behandlung zu erfahren. Notwendig muss sich die Dissertation dazu Otto Mayers zentralen Elementen des „Deutschen Verwaltungsrechts“ zuwenden. Dessen „moderne Staatsidee“ (3. Kapitel) sowie seine „juristische Methode“ (4. Kapitel) bilden sonach auch für Dewitz die Basis der Rekonstruktion der mayerschen Vertragsdogmatik (5. Kapitel). Schließlich kündigt die Überschrift des sechsten und letzten Kapitels den Blick auf „Die Bedeutung der Vertragsdogmatik Otto Mayers für die Gegenwart“ an, bevor eine kurze Zusammenfassung die Arbeit abrundet.
Verdienst und die Stärke der Dissertation liegen in der komprimierten und mit zahlreichen Originalzitaten untermauerten Darlegung der Grundlagen des Ideengebäudes Otto Mayers. Wenn insofern spektakuläre neue Erkenntnissen schon aufgrund der zu diesen Thema bereits existierenden Forschung auch nicht zu erwarten waren, können die Kapitel 3–5 doch jedem zur Lektüre empfohlen werden, der sich ein zuverlässiges Bild über Mayers systembildende Idee des modernen Staates und seiner wissenschaftlichen Methode zu deren Umsetzung ins Verwaltungsrecht machen will. Hervorzuheben ist insbesondere das 4. Kapitel, das sich den Besonderheiten Mayers „juristischer Methode“ in Abgrenzung zur überwiegend der Begriffsjurisprudenz verhafteten zeitgenössischen Lehre widmet, die oft zu wenig beachtet werden. Zutreffend wird herausgestellt, dass der „eine Punkt“, von dem aus Mayer das öffentlichen Rechts wissenschaftlich durchdringt und als eigenständiges Rechtsgebiet erst konstruiert, der „neuzeitliche Staat“ in einem deutlich an die Philosophie Hegels angelehnten Sinn ist. Ein Staat also als Inbegriff der obersten Macht, insofern Souverän, vor und über dem Recht stehend, deshalb „die Majestät“, die sich nicht in die Form einer juristischen Person pressen lässt, allenfalls analog zur Anstalt beschrieben werden kann und insbesondere durch ihren besonderen Zweck charakterisiert ist, als Wirklichkeit einer alles überstrahlenden sittlichen Idee, Menschengemeinschaften zu einer „geschichtlichen Größe Volk“, zur Nation zu formen. Die aus solch metaphysischer Quelle der „modernen Staatsidee“ gewonnene, a priori dem Recht voraus liegende, der Staatsgewalt in all ihren Formen an sich immanente, bindende Kraft, dies ist der Leitgedanke, der Mayers Konstruktion des öffentlichen Rechts durchzieht und seine verwaltungsrechtlichen Dogmatik insgesamt durchwirkt. Ausgehend von dieser Systemidee ergibt sich folgerichtig die Forderung, das öffentlichrechtliche Terrain von zivilistischen Konstruktionen zu befreien. Alles, was nicht durch die einseitige staatliche Einwirkung gekennzeichnet ist, fällt dem zum Opfer. Denn das öffentliche Recht ist für Mayer das Recht zwischen Ungleichen, das Zivilrecht dasjenige „zwischen Gleichen unterhalb der Staatsgewalt“. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts hat der Bürger stets die Stellung des Untertanen, dem gegenüber der Staat „von vorneherein alles vermag“, hier geht es um „das große Gewaltverhältnis“.
Dewitz beschreibt knapp, aber durchaus anschaulich, wie Otto Mayer diese Grundidee des modernen Staates methodisch in sein Verwaltungsrecht umsetzt. Schafft im Bereich des Verwaltungsrechts allein die einseitige Entscheidung des Staates rechtliche Bindung, so ist es im System Mayers schlüssig, den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Bürger als denkunmöglich zu verwerfen. Seine Mitwirkung bei einer Regelung der Verwaltung wird deshalb einzig mit dem Institut des „Verwaltungsaktes auf Unterwerfung“ erfasst. Dabei kommt der Zustimmung des Untertanen allein die Funktion zu, die fehlende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in seine Rechte zu substituieren; die Willenserklärung ist mithin nicht Bedingung für die Rechtsbindungswirkung der Regelung, sondern allein für deren Rechtmäßigkeit.
Wiewohl die Darstellung der Lehre Mayers durch Dewitz bis hierher in den Kernpunkten durchaus zutreffend ist, bedarf die These am Ende des fünften Kapitels, Mayers Staatsbegriff und seine Methode bedingten sich gegenseitig, einer ersten kritischen Anmerkung. „Ideen“ bilden für Otto Mayer die grundlegenden Prämissen der Rechtswissenschaft, Funktion der Rechtstheorie ist es für ihn demnach, das bestehende Recht durch Nachweis der es beherrschenden Ideen zu verdeutlichen. Die das Recht beherrschenden Ideen zeigen sich ihm – über die Systematisierungsfunktion hinaus – als historischer Beweggrund, als Erzeugerinnen und Erzeugnisse der Entwicklung. Einmal erkannt, bilden sie für Otto Mayer mithin zugleich einen Ableitungsgrund mit normativer Kraft. Dieses Methodenverständnis, das u. a. bereits durch die Arbeiten von Heyen (Otto Mayer - Studien zu den geistigen Grundlagen seiner Verwaltungsrechtswissenschaft, 1981) und Hueber (Otto Mayer - Die „juristische Methode“ im Verwaltungsrecht, 1982) herausgearbeitet worden ist, ist nicht per se auf die Idee des modernen Staates begrenzt; Mayer selbst entdeckt ja die Methode an sich gerade auch im Zivilrecht. Zutreffend ist jedoch, dass Otto Mayer seine „juristische Methode“ weitgehend anhand seines Bildes vom modernen Staates ausgefeilt hat.
Etwas unterbelichtet bleibt, dass Mayer die Ideen des Rechtsstaats und der Verfassung ebenfalls als epochale Ideen im skizzierten Sinne begreift. Dewitz behandelt sie am Rande, da sie seiner Ansicht nach für die Vertragsdogmatik keine zentrale Rolle spielen. Bei unmittelbarer Betrachtung mag dies zutreffen, denn die nach Mayer einem Vertrag entgegenstehende Überordnung der Verwaltung fußt allein in der Staatsidee. Dennoch sollte beachtet werden, dass für Otto Mayer die Idee des Staates der nachnapoleonischen Zeit zwingend mit den Ideen der Verfassung und des Rechtsstaats zu verbinden sind. Der Rechtsstaat, begriffen als „der Staat des wohlgeordneten Verwaltungsrechts“, bedurfte der Verfassung als Grundlage der Gewaltenteilung, die eine Bindung der Exekutive an das Gesetz für ihn konstruktiv erst ermöglicht. Gerade an der strikten Ablehnung des Vertrages zwischen Staat und Bürger lässt sich, entgegen Dewitz, aber zugleich Mayers zeit- und theoriebedingt obrigkeitsstaatlich begrenztes Verständnis der Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit erkennen. Warum, so fragt sich, ist dem Staat der Verwaltungsvertrag auch dann unmöglich und muss zum Zivilvertrag bzw. Verwaltungsakt auf Unterwerfung uminterpretiert werden, wenn er durch den nach Mayer mit Souveränität ausgestatteten Gesetzgeber legitimiert ist? Dewitz antwortet darauf mit Otto Mayer: Dieser sei eben „der Auffassung, dass auf dem Gebiet öffentlichen Rechts die einseitig bindende Kraft des staatlichen Willens das Rechtsverhältnis begründet“. Ein „einfaches“ Gesetz kann der Verwaltung zwar Bindungen auferlegen, indes keineswegs dem Willen „des“ Staates einen anderen Charakter verleihen. Ein Gesetz könnte somit die Einwilligung des einzelnen allenfalls „zu einer förmlichen Mitwirkung an der Erzeugung des Rechtsverhältnisses im Sinne des Vertrages“ steigern, wäre damit indes eine „leere juristische Liebhaberei“ (S. 120). Hier zeigt sich, dass auch bei Otto Mayer der Staat eben nicht alles kann. Er ist offensichtlich nicht imstande, gegen die ihm eingeordnete Systemidee zu verstoßen, er kann sich nicht selbst verleugnen. Denn nichts anderes wäre es in den Augen Mayers, wenn eine Regelung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts gleichberechtigt von einer Willenserklärung des Untertanen abhinge. Damit wäre die für das System denknotwendige rechtliche Überordnung dahin. Verallgemeinert betrachtet lässt sich folgern, dass die konstituierende und unabänderbare normative Grundlage Mayers Staats- und Verwaltungsrechtslehre die Idee des modernen Staates ist. Verfassung und Rechtsstaat sollen hinzukommen, können aber nur soweit wirken – und werden von Mayer im übrigen auch nur derart begrenzt begriffen – als sie mit der Staatsidee harmonieren. Deshalb ist es wenig überzeugend, wenn Dewitz im sechsten Kapitel der nicht nur vom Rezensenten vertretenen Ansicht, Mayers Verwaltungsrechtslehre sei eine solche des Obrigkeitsstaates, unter Hinweis auf Mayers Rechtsstaatsverständnis entgegentreten will. Die von Otto Mayer, entgegen der Auffassung von Dewitz, tatsächlich aus dem absolutistischen Polizeistaat übernommene Staatsidee mit der ihr immanenten, metaphysisch begründeten, allumfassenden Staatsgewalt wird zwar mit rechtlichen Formen umhegt, sie bildet aber dennoch weiterhin den alles bestimmenden Fixpunkt des öffentlichen Rechts, die das gesamte Rechtsgebiet prägt. Nicht von ungefähr spricht Mayer in seinem Beitrag „Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage“ (AöR 3 [1888] 1, 33) von der „wiedergefundenen römischen Staatsidee für das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan“.
Im Übrigen erscheint die Vehemenz, mit der Dewitz Otto Mayers Lehre gegen eine Kennzeichnung „obrigkeitsstaatlich“ schützen will, weder der Sache nach noch im thematischen Bezug, ganz nachvollziehbar. Denn in ihr zeigt sich zunächst allein eine kaum zu leugnende historische Zuordnung (vgl. Schmidt-De Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, 1999, S. 22f); auch Rupp, den Dewitz für seine Position öfter heranziehen will, formuliert insoweit ausdrücklich: „Der alte Obrigkeitsstaat lebt in den neuen Formen des bürgerlichen Rechtsstaates weiter“ (DVBl. 1971, 669, 670). Und zum anderen wird dem Leser nicht ganz klar, welche Relevanz die Auseinandersetzung mit der Kritik an Mayers Grundpositionen im Kapitel zur aktuellen Relevanz seiner Vertragsdogmatik letztendlich für den Ertrag der Dissertation hat. Denn schließlich geht ja auch Dewitz am Ende zutreffend davon aus, dass Mayers vorrechtliche Staatsidee unter dem Grundgesetz nicht mehr die das Verwaltungsrecht bestimmende Systemidee sein kann.
Erst auf den letzten beiden Seiten kommt die Dissertation wieder auf den Ausgangspunkt zurück, also zur Frage, ob Otto Mayer nicht auch heute noch irgendwie Recht hat. Allerdings bleibt es insoweit bei der Wiedergabe der Ansicht von Walter Krebs in dem bereits eingangs zitierten Beitrag. Dieser hatte die Frage mit „umgekehrter Prämisse“ bejaht. Aufgrund der umfassenden (grund)rechtlichen Bindung des Staates komme diesem keine (Privat)Autonomie zu, so dass seine Willenserklärungen auf eine andere Grundlage gestützt werden müssten als diejenigen des Bürgers, der damit seine grundrechtliche Freiheit realisiere. Dem ist zweifelsohne zuzustimmen. Angemerkt sei aber kurz, dass es dazu kaum überzeugen kann, Otto Mayer irgendwie Recht zu geben, wenn seine Prämissen, insbesondere die tragende Systemidee seiner Lehre auf den Kopf gestellt werden.
Die Dissertation von Dewitz hat ihre Stärken in ihrem historisch darstellenden Teil. Der Schrift ist anzumerken, dass der Autor vom Werk Otto Mayers fasziniert ist. Dies ist angesichts der zu bewundernden Wortgewalt des „Meisters des deutschen Verwaltungsrechts“ sowie der Schlüssigkeit seines Lehrgebäudes nur allzu verständlich. Dennoch wäre m. E. hier und dort ein wenig mehr wissenschaftliche Distanz bei der Betrachtung wünschenswert. Ein Blick in die Schriften Hans Kelsens, einem wichtigen Antipoden Mayers, die Dewitz überhaupt nicht würdigt, hätte hier hilfreich sein können.
Halle-Wittenberg Reimund Schmidt-De
Caluwe