Dannhorn, Wolfgang, Römische Emphyteuse und deutsche Erbleihe. Ein Beitrag zur Entstehung der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 21). Böhlau, Köln 2003. XLIII, 328 S.

 

Thema der vorliegenden Abhandlung ist die Entstehung der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht – so der Autor in seinem ersten Satz. Dissertationen, die solche Maximalprogramme ankündigen, verdienen Beachtung allein wegen ihrer Themenstellung. Selbstverständlich folgt die Einschränkung auf dem Fuße: Wolfgang Dannhorn hat es sich vorgenommen, das Thema anhand der Emphyteuse/Erbpacht und ihrer Dogmatik in der gelehrten Jurisprudenz von 1500 bis 1800 zu exemplifizieren und kann das gut erläutern. Die These ist die folgende: Seit dem Mittelalter seien die römischen Regeln der Emphyteuse auf die in Deutschland gebräuchlichen Bauerngüter (willkürlich herausgegriffene Beispiele sind etwa Herrngnad, Curmede, Landsiedelleihe, Leibgeding, Zins- und Erbzinsgüter) angewendet worden, schließlich mit dem mancherorts anzutreffenden Ergebnis, dass alle diese Güter sich in Emphyteusen verwandelt hätten. Genau das habe die germanistische Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts herausfordern müssen, einen Versuch zu unternehmen, der römischen Emphyteuse eine deutsche Erbleihe entgegenzusetzen. (Unter anderem) dieser Versuch sei die Geburtsstunde der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht.

 

Und – um das Ergebnis vorwegzunehmen – dieser Versuch scheitert (vgl. S. 316) und zwar aus vielerlei Gründen. Dannhorn nennt die Vielgestaltigkeit der Territorialrechte und deren zunehmenden Geltungsanspruch, Unsicherheiten im Hinblick auf eine geschichtliche Grundlegung des „deutschen“ Rechts, die terminologische Uneinheitlichkeit der vielen in Deutschland beobachtbaren Pachtrechte und das Auseinanderfallen von ökonomischen Bedürfnissen und hergebrachten Rechten. Was lässt sich daraus schließen? Die Geburt war eine Fehlgeburt, das deutsche Privatrecht ist und bleibt tot, die Wissenschaft desselben ein germanistisches Glasperlenspiel. Dieser Schluss freilich stammt nicht von Dannhorn, er ist eine mögliche Konsequenz des Lesers.

 

Methodisch verfolgt Dannhorn die Geschichte der Emphyteuse in Deutschland nach einer Schilderung der römischen Ausgangslage über das mit den Glossatoren beginnende Mittelalter, den Humanismus, den usus modernus hinweg bis zur Germanistik des 17. und 18. Jahrhunderts. Er stützt sich auf das gelehrte juristische Schrifttum, auf die Konsilienliteratur, einzelne Rechtsprechungsergebnisse und auf ausgewählte Rechtsbücher und Kodifikationen.

 

Im Einzelnen ist das alles sehr gründlich gearbeitet und eingängig geschrieben. Jeder einer rechtshistorischen Epoche gewidmete Abschnitt beginnt mit einer Einleitung, in der die wesentlichen Ergebnisse des folgenden Textes leitsatzartig vorgestellt werden und schließt mit einer längeren Zusammenfassung. Auf diese Weise entstehen im Text immer wieder Merk- und Haltepunkte, die das Verständnis der komplexen Materie sehr fördern.

 

Jeder Abschnitt wendet sich den gleichen Problemen zu. Die Emphyteuse bei den mittelalterlichen Juristen wird untersucht auf das Schriftformerfordernis, die Aufspaltung des Eigentums (dominium directum und dominium utile), die Dauer, den Zins, die Verfügung und Veränderung, den Erwerb und den Verlust und auf die Nähe zu anderen Verträgen (jedes dieser Probleme ist wieder weiter unterteilt). Dieses systematische, Lehrbuchqualitäten erreichende Muster dekliniert Dannhorn konsequent in den Abschnitten „humanistische Jurisprudenz und Erfassung der Bauerngüter im 16. Jahrhundert“, „usus modernus“ durch und kommt in der Zwischenzusammenfassung zu dem Ergebnis, dass die mittelalterliche Dogmatik bis zum Ende des 17. Jahrhunderts im Recht der Emphyteuse fast durchgängig beibehalten wurde und dass die humanistische Jurisprudenz sich fast überhaupt nicht niedergeschlagen habe. Fast in allen länger dauernden bäuerlichen Pachtrechten seien Emphyteusen erblickt worden. Daneben hätten die deutschen Benennungen für die Erbpacht deutlich zugenommen. Selbstverständlich ist, dass die Territorialgesetze und -verordnungen[1] eine immer größere Rolle gespielt hätten. Hiermit sei es zu erklären, dass es zu ersten Versuchen gekommen sei, einzelne bäuerliche Rechte vom Recht der Emphyteuse zu emanzipieren. Einen nennenswerten Einfluss Conrings kann Dannhorn dabei nicht konstatieren.

 

In den folgenden, der Germanistik des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich vor allem gegen diese Übertragung der römischen Emphyteuse auf die deutschen Pachtrechte wandte[2], gewidmeten Abschnitten wird die bisherige Systematik zunächst zugunsten einer stärker Einzelwerken und Einzelpersonen zugewendeten Darstellungsweise aufgegeben. Schwerpunkte liegen vor allem auf der Dogmatik Schilters zur deutschen Erbleihe, welcher als erster die bisher römisch geprägte Dogmatik der Emphyteuse aufgebrochen und unter Berufung auf den Sachsenspiegel ein deutsches System der Erbleihe konstruiert habe, indem er das deutsche Zinsgut des Sachsenspiegels als allgemeines, im Zweifelsfall anzunehmendes Institut der bäuerlichen Erbleihe etabliert habe, das dem Lehen ähnlich sei. Dem Inhaber der Erbleihe komme ein dominium utile zu, wobei Schilter hier genauer von einem ususfructus germanicus spreche (S. 178)[3]. Die germanistische Nachfolgeliteratur (Heineccius, Thomasius, Kopp, Buri u. a.) habe in diesen Gleisen dann die deutsche Emphyteuse im Unterschied zur römischen konstruiert.

 

Die deutsche Emphyteuse sollte, so die Dogmatik des 18. Jahrhunderts, dasjenige Recht sein, das alle (deutschrechtlichen) Erbleihen erfassen sollte (S. 195), wobei der Oberbegriff recht bald wieder hinter die Darstellung der Einzelformen zurückgetreten sei (ebenfalls S. 195f.) – die Regeln über die deutsche Emphyteuse seien keine feststehenden, da die örtlichen Gewohnheiten zu beachten seien. Dannhorn versucht, sein oben für die römische Emphyteuse ausgearbeitetes System nun auch der sogenannten deutschen Emphyteuse zugrundezulegen und die Einzelprobleme derselben herauszuarbeiten. Das gelingt, wie Dannhorn erkennt, nicht: wiederholt wird festgehalten, dass der Versuch der Germanistik, für eine bestimmte Rechtsfrage eine einheitliche deutschrechtliche Lösung zu finden, wegen der Unterschiedlichkeit der territorialen Verhältnisse kaum möglich gewesen sei (z. B. S. 248f.). Dannhorn kann aber konstatieren, dass die Privatrechtswissenschaft bei der Erfassung der einzelnen Formen bäuerlicher Leihe erfolgreich gewesen sei. Das Scheitern der allgemeinen deutschrechtlichen Systematik habe nun wiederum dazu geführt, dass sich die einzelnen Gutsarten etabliert hätten, freilich nicht rein deutschrechtlich, sondern mit römischem Recht durchsetzt (S. 281).

 

Ein letzter Abschnitt widmet sich der Emphyteuse und deutschen Bauerngütern in ausgewählten Kodifikationen. Betrachtet werden der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (alle Pachtrechte werden traditionell als Emphyteusen betrachtet), das Allgemeine Landrecht (in der Würdigung germanistischer Entwicklungen moderner als der CMBC) und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (fast nur römisch). Grundlegend neue Ergebnisse sind hier offenbar nicht mehr zu finden gewesen.

 

Zurück zur schon angesprochenen Fehlgeburt der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht. Die Gründe, die Dannhorn bei seinem Beispiel der Emphyteuse dafür anführt, dass eine dogmatische Begründung einer deutschen Erbpacht gescheitert sei, sind allesamt Charakteristika des – nennen wir es der Einfachheit halber so – deutschen Privatrechts. Jeder, der sich mit einzelnen Instituten des im Mittelalter und der Neuzeit im Gebiet des späteren Deutschland vorhandenen Rechts auseinandersetzt, erkennt schnell, dass die Territorialrechte extrem vielgestaltig sind, dass eine geschichtliche Grundlegung des „deutschen“ Rechts nur schwer möglich ist, dass die einzelnen Institute die mannigfaltigsten Namen tragen und dass ökonomische Bedürfnisse und hergebrachte Rechte zuweilen auseinanderfallen. Manche mögen im deutschen Privatrecht deshalb einen Steinbruch sehen, in dem sich jeder Bearbeiter nach Belieben bedienen könne und dessen Schuttberge von den Germanisten im 18. und 19. Jahrhundert nach eigenen Plänen ab-, auf- und durcheinandergeschaufelt worden sind. Wer, wie Dannhorn daraufhin das Scheitern einer deutschen Privatrechtswissenschaft – und sei dieses Scheitern nur bezogen auf ein bestimmtes untersuchtes Exempel – erklärt, der erklärt, dass die deutsche Privatrechtswissenschaft an ihrem eigenen Gegenstand, eben dem deutschen Privatrecht, gescheitert sei.

 

Es muss deswegen jedoch nicht gefordert werden, die Suche nach beidem, dem deutschen Privatrecht so gut wie der Wissenschaft davon, aus diesen (und anderen) Gründen aufzugeben. Schon der Blick weg vom „deutschen“ Privatrecht hin zu beispielsweise „fränkischem“ oder „sächsischem“ Privatrecht vermag eine ganze Reihe von Problemen zu beseitigen und gleichzeitig neue Forschungsperspektiven zu eröffnen. Darüber hinaus könnten auch Dannhorns Ergebnisse zu Normativität und Dogmatik der Emphyteuse/Erbpacht empirisch hinterfragt werden. Empirie, also Rechtstatsachenforschung kann hier aber nicht heißen, einzelne, in der Konsilienliteratur überlieferte Entscheidungen auszuwerten. Vielmehr wären die Stadt- und Schöffenbücher und die Schöffenspruchsammlungen des Mittelalters und der Neuzeit durchzuarbeiten. In den sächsischen beispielsweise finden sich nicht nur massenhaft Begründungen von Zinsgutrechten, sondern auch thematisch relevante Entscheidungen der streitigen Gerichtsbarkeit. Dannhorn hat aber (S. 4) die sogenannte niedere Praxis „notwendigerweise“ außer Acht gelassen und zugestanden, dass deren Methoden und Ergebnisse von denen divergieren könnten, die er – bezogen auf den gelehrten und universitär agierenden Juristenstand – findet. Es wäre freilich ein billiges Kritisieren, dem Autor vorzuwerfen, er hätte mehr oder andere Umstände und Methoden berücksichtigen müssen. Dannhorn seinerseits stellt schlüssig und erschöpfend dar, wie die deutsche gelehrte Jurisprudenz zwischen 1500 und 1800 die Erbleihe dogmatisch beurteilte. In seinen Schlussbemerkungen (S. 318) ist er sich der offen bleibenden Fragen vor allem nach der Rechtspraxis bewusst. Darüber hinaus lautet die von Dannhorn nicht gestellte, wichtigste Frage: wann folgt die Fortsetzung aus wessen Feder?

 

Ein Personenregister erschließt das Werk, ein Sachregister fehlt. Das aber kann bei Arbeiten wie der vorliegenden, die Wissenschaftsgeschichte enthalten, hingenommen werden. Ein systematischer Zugang muss und kann über das Inhaltsverzeichnis erfolgen. Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Umgang Dannhorns mit der Literatur. Die Schrift ist beinahe vollständig allein aus den Primärquellen[4] geschrieben – ein gewaltiges und beeindruckendes Unterfangen schon angesichts der Schwierigkeiten nicht nur der Beschaffung, sondern auch der Erfassung. Die Abhandlung kommt mit ganz wenigen Sekundärquellen aus – und die werden wiederum fast ausschließlich in der Einleitung und den Zusammenfassungen herangezogen. Das immunisiert die Arbeit gleichsam gegen Fehlschlüsse, die nur zu oft entstehen, wenn theoretische Setzungen übernommen werden. Allein aus diesem Grunde wird die unbedingt lesenswerte Arbeit Dannhorns Bestand haben.

 

Leipzig                                                                                    Adrian Schmidt-Recla



[1] Nicht ganz deutlich ist, weshalb der Autor sich hierbei so stark auf den Sachsenspiegel und die Kursächsischen Konstitutionen bezieht. Hier hätte eine kurze Erläuterung gut getan.

[2] Dannhorn zitiert Johann Georg Estor: „Die irrungen wegen der vermischung des teutschen, und römischen rechtes hat das Abenteuer verursachet, daß man den bauerngütern im Reiche eine wächserne nase aufsetzet.“

[3] Dannhorn meint (S. 314), hierin liege bereits eine Vorbildung für Eduard Wilhelm Albrechts in dessen „Gewere“ unternommenen Versuch, das dominium utile als deutschrechtliche Ausprägung des Eigentums zu begreifen.

[4] Quellen sind hier literarische Quellen, keine archivalischen.