Conflict in Medieval
Dass unter „conflict“ die ganze Bannbreite von Konfliktbewältigungsstrategien verstanden wird, die interdisziplinär untersucht werden, erläutern Warren C. Brown und Piotr Górecki (What Conflict Means: The Making of Medieval Conflict Studies in the United States, 1970-2000, S. 1-35) in der Einleitung zu diesem Band. Sie geben einen Überblick über die Arbeiten seit 1970. Stephen D. White (Tenth-Century Courts at Mâcon and the Perils of Structuralist History: Re-reading Burgundian Judicial Institutions, S. 37-68) referiert die Thesen Dubys und gibt einen Forschungsüberblick, bevor er sich kritisch mit Duby auseinandersetzt. White spricht sich für geographisch eng begrenzte Studien aus und kommt zu dem Schluss, dass eher von einer Kontinuität (broad continuity) auszugehen ist als von einem abrupten Strukturwandel (structural change) à la Duby. Hans Hummer (Reform and Lordship in Alsace at the Turn of the Millennium, S. 69-84) beschäftigt sich mit der Geschichte der Familie Papst Leos IX. vom 7. bis zum 13. Jahrhundert anhand ihrer Beziehung zu Klöstern. Die Etichonen bzw. Grafen von Eguisheim förderten oder gründeten 11 Klöster in drei Generationen. Die Namensänderung kam zustande, weil die Etichonen am Ende des 10. Jahrhunderts „had had to readjust their relationship to monasteries and bases of their lordship so radically that, in essence, the family died and was reborn as the lords of Eguisheim.“ (S. 77). Die späteren Klostergründungen waren denn auch keine „seats of lordship“ mehr und daher „devoted more exclusively to religious life“ (S. 81). Barbara H. Rosenwein (Visualizing a Dispute Resolution: Peter of Albano´s Protected Zone, S. 85-108) will in Clunys erster Schutzzone „a tool in framing and waging disputes“ (S. 107) erkennen, da die angegebenen Zonenbegrenzungen nicht nur reale topographische Punkte waren, sondern auch symbolische Bedeutung hatten (ein Fluss zum Beispiel steht für heiliges Wasser, eine Mühle für die mystische Mühle, „that grinds the old law into the new to produce the host of salvation“ (S. 97)). Zudem lagen alle topographischen Punkte entlang einer Route, die zu den Burgen führten, durch die Cluny sich bedroht sah. Diese Schutzzone sei daher „best interpreted not as the conclusion of a dispute but rather as one of a number of striking public moments in a set of negotiations with the lords of Berzé over churches, land, and power“ (S. 98). William North (The Fragmentation and Redemption of a Medieval Cathedral: Property, Conflict, and Public Piety in Eleventh-Century Arezzo, S. 109-130) beschäftigt sich mit den Auswirkungen, die der Besitz von Land auf eine mittelalterliche italienische Kirche hatte. Seine Quelle ist die „History of the Custodians of Arezzo“ (um 1100), die die negativen wie positiven Folgen beschreibt, die „diverse forms of property-holding had had upon the expression of individual and collective piety in Arezzo´s churches“ (S. 112) und Ansichten wiedergibt, die bereits bei Peter Damian zu finden sind. Die „History“ bietet ein „exceptionally well-documented and compelling argument for the transfer of ecclesiastical property-holding into corporate hands“ (S. 128). Emily Zack Tabuteau (Punishment in Eleventh-Century Normandy, S. 131-149) demonstriert, dass gelegentlich tatsächlich echte Urteile gefällt und nicht nur Vergleiche geschlossen wurden, doch die Strafen in der Praxis nicht nur milder ausfielen als vorgesehen (zum Beispiel bei Hochverrat Exil statt lebenslanger Haft), sondern oftmals sogar nach einer gewissen Frist erlassen wurden. Geoffrey Koziol (Baldwin VII of Flanders and the Toll of Saint-Vaast (1111): Judgment as Ritual, S. 151-161) versteht das Verfahren über die Marktsteuer von Arras (tax on goods sold in the market of Arras) als Ritual „designed to show the abbot and cellarer of Saint-Vaast victorious in a matter where their lordship had been evaded“ und „designed to be part of an accession ceremony, through which a young count of Flanders could show himself acting fully as count“. (S. 161). Belle Stoddard Tuten (Women and Ordeals, S. 163-174) untersucht 4 Fälle aus Kopialbüchern von 4 westfranzösischen Klöstern aus dem 11./12. Jahrhundert, an denen Frauen beteiligt waren und bei denen ein uni- oder bilaterales Gottesurteil als Beweismittel angeboten wurde, kommt jedoch aufgrund der dürftigen Quellenbasis zu keinen gesicherten Erkenntnissen, sondern beschränkt sich auf Vermutungen und regt an, dass „gender should be one factor used in exploring ordeals of all kinds.“ (S. 174). Henry Ansgar Kelly (Law and Nonmarital Sex in the Middle Ages, S. 175-193) gibt einen Überblick über die Behandlung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs im kanonischen Recht sowie den weltlichen und kirchlichen Gerichten in Italien (unter Einbeziehung von Sodomie und Prostitution), Frankreich, Deutschland, Spanien und England und will zu weiteren Forschungen auf diesem Gebiet anregen. Paul R. Hyams (Nastiness and Wrong, Rancor and Reconciliation, S. 195-218) verfolgt den Wandel dessen, was als ungerecht empfunden wurde, von der Mitte des 10. Jahrhunderts bis ca. 1300, einem Thema, mit dem er sich in seinem soeben erschienenen Buch „Rancor and Reconciliation in Medieval England“ ausführlich beschäftigt. Das Gerechtigkeitsempfinden war für die Beendigung von Streitigkeiten und für die Aufrechterhaltung eines allgemein akzeptierten Maßes an Ordnung entscheidend. Hyams streicht zudem die Bedeutung der Assize of Clarendon von 1166 für die (späte und langsam einsetzende) Differenzierung zwischen Verbrechen und Rechtswidrigkeiten (crime and tort) heraus, deren Ursprünge er im römischen Recht sieht. Charles Donahue, Jr. (The Emergence of the Crime-Tort Distinction in England, S. 219-228) zieht zwar den Einfluss des römischen Rechts auf die Differenzierung von crime und tort in Zweifel, doch misst auch er der Assize of Clarendon zentrale Bedeutung bei. Diese Assize hat eine Entwicklung in Gang gebracht, die (allerdings nicht zwangsläufig) in der Crime-Tort Distinction endete. Jesse L. Byock (Feuding in Viking-Age Iceland´s Great Village, S. 229-241) argumentiert, dass die negativen Folgen eines Ausschlusses aus der Gemeinschaft, die starke Vermittlerrolle der chieftains und nicht zuletzt wirtschaftliche Zwänge dazu führten, dass in Island Auseinandersetzungen in der Regel durch Kompromisse geschlichtet wurden. Frederic L. Cheyette (Some Reflections on Violence, Reconciliation and the „Feudal Revolution“, S. 243-264) spricht sich für die Abwendung von Konzepten wie „Feudalismus“ und „feudale Revolution“ und die Hinwendung zu Verhaltensweisen (social habits, practices, processes) aus, die variieren und sich ändern können. Er zeigt dies am Beispiel der Treueeide (oaths of fidelity), die er nicht als Verträge versteht, sondern als Rituale, die „created, repaired and remade communities“ (S. 262). Es folgt der gelungene Essay von Warren C. Brown und Piotr Górecki (Where Conflict Leads: On the Present and Future of Medieval Conflict Studies in the United States, S. 265-285), der die thematisch und von der Fragestellung her so unterschiedlichen Beiträge dieses Sammelbandes zusammenbringt und im Hinblick auf Forschungskontinuitäten und neue Ansätze auswertet. Der Band endet mit einer Literaturliste (S. 287-319) und ist durch einen Index erschlossen.
Fürth Susanne Jenks