Buschmann, Arno, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933-1945. Bd. 2 Dokumentation einer Entwicklung. Springer, Wien 2000. LXXI, 799 S.
Die
Dokumentensammlung bildet den zweiten Band eines
Werkes, dessen erster, dar-stellender Band noch aussteht. Sie bietet die bisher
umfassendste und repräsentativste Sammlung von Gesetzen des NS-Regimes - bzw.
dessen, was in diesem Regime so alles Gesetz hieß, also nicht nur vom Reichstag
verabschiedete generell-abstrakte Regelungen, sondern auch Regierungsgesetze,
gesetzesvertretende Verordnungen unterschiedlicher Provenienz,
Ausführungsverordnungen und Führererlasse. Insgesamt umfaßt die Sammlung 186
solche Gesetze, denen durchweg noch die Fundstellen zahlreicher
Durchführungsbestimmungen beigegeben sind.
Die
Sammlung bietet nicht bloß eine chronologische Reihung, sondern ist nach
Sachgruppen geordnet: Verfassungsgesetzgebung (dort vor allem das
Ermächtigungsgesetz, die Eingliederung von Territorien in das deutsche Reich,
die Gleichschaltung der Länder), Verwaltungsgesetzgebung (dort vor allem das
Beamtenrecht und die Deutsche Gemeindeordnung), Justizgesetzgebung (dort vor
allem die Eingriffe in die Gerichtsverfassung), Wehrgesetzgebung (dort vor
allem Wiederaufbau der Wehrmacht und die Ausrichtung der Wehrmacht auf die
Person Hitlers, sowie die Kriegsgesetzgebung zum Schtuze der Wehrkraft), Wirtschaftsgesetzgebung
(aufgeteilt in die Komplexe „Gesetzgebung für Industrie , Gewerbe und Arbeit“ und
„Gesetzgebung für die Landwirtschaft“; hierher gehören das Gesetz zur Ordnung
der nationalen Arbeit, die Arbeiterschutzgesetzgebung, aber auch die
gesetzlichen Maßnahmen gegen jüdische Vermögen und zur Verdrängung der Juden
aus dem Wirtschaftsleben), Sozial- und Wohlfahrtsgesetzgebung (dort vor allem die
Versorgungsgesetzgebung, z. B. Winterhilfswerk, Mutterschutz, Kriegsopfer- und
Hinterbliebenen-Versorgung, sowie die Naturschutz-Gesetzgebung), Erziehungsgesetzgebung
(Hochschulen, Jugendorganisationen, Arbeitseinsatz der Jugend), Kulturgesetzgebung
(dort vor allem die Errichtung des Propagandaministeriums und gesetzliche
Regelung der einzelnen Kulturbereiche, vor allem durch die Einrichtung von
Kammern, ferner die Regelungen über die Akademie für Deutsches Recht), Kirchengesetzgebung
(Reichskonkordat mit dem Heiligen Stuhl, gesetzliche Regulierung der
Verhältnisse der Evangelischen Kirche), bürgerlichrechtliche Gesetzgebung (in
diesem verhältnismäßig zurückhaltend gesetzlich erfaßten Bereich vor allem das
Ehegesetz und das Testamentsgesetz, aber auch judendiskriminierende Bestimmungen
im Mietrecht) und schließlich die Strafgesetzgebung (eine sich über die gesamte
Zeit der NS-Herrschaft gleichmäßig hinziehende und sich verdichtende
Gesetzgebung).
Diese
plastische und praktisch brauchbare Gliederung wird den interessierten Leser in
der Regel rasch zu dem gesuchten Gesetz führen. Gelangt er auf diesem Wege
nicht zum Ziele, so kann er sich von dem chronologischen Verzeichnis aller 186
Gesetze oder von dem ausführlichen Sachverzeichnis leiten lassen. Daß das
gesuchte Gesetz nicht in dem Band enthalten ist, ist jedenfalls dann
unwahrscheinlich, wenn sich es um ein grundlegendes Gesetzeswerk handelt; der
Rezensent hat kein strukturtypisches oder –prägendes Gesetz jener Zeit in
dieser Sammlung vermißt. Wer freilich in speziellere Tiefenschichten vordringen
möchte, muß entweder den weiterführenden Hinweisen dieser Sammlung nachgehen
oder zu einer jener Sammlungen greifen, die sich beispielsweise dem Strafrecht
der NS-Zeit oder dem Sonderrecht für (besser: gegen) die Juden widmen. Eine
gewisse Besonderheit besteht für das Wirtschaftsrecht; hier weist der
Herausgeber selber in der Einleitung darauf hin, daß es kaum möglich sein
dürfte, eine Sammlung zu präsentieren, die das Ausmaß der normativen
Durchdringung dieses Bereiches auch nur annähernd anschaulich machen könnte.
Dies dürfte wohl auch einer der Gründe sein, weshalb die rechtsgeschichtliche
Erforschung der NS-Zeit sich erst allmählich diesem Bereich zuwendet (ein anderer
Grund liegt natürlich darin, daß die spezielle Pathologie des NS-Regimes, vor
allem seine Gewaltverbrechen, seine Rassenideologie und seine kriegstreibende
Politik, verständlicherweise zunächst im Vordergrund des Interesses stand). Für
die Beantwortung der Frage nach der strukturellen Bedeutung des NS-Regimes für
die historische Entwicklung, insbesondere auch für die Rechtsentwicklung, sind
die bisher wenig erforschten Bereiche freilich von besonderer Be-deutung. Zu
recht weist der Herausgeber in der Einleitung darauf hin, daß gerade hier die
Gesetzgebung des NS-Regimes besonders deutlich eine Entwicklung fortsetzte, die
bereits vor 1933, letztlich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auszumachen
ist. Überhaupt bietet die Dokumentation Anschauungsmaterial genug dafür, daß
die zwölf Jahre des NS-Regimes sich nicht einfach aus der deutschen Geschichte
und Rechts-geschichte „ausgeklinkt“ haben. Denn ebenso wie es Wurzeln der
NS-Gesetzgebung gegeben hat, die weit vor 1933 liegen, haben auch zahlreiche
Gesetze jener Zeit die Jahresmarke von 1945, teilweise bis heute, überlebt.
Schematische Bewertungen dieses Phänomens verbieten sich. Einerseits gibt es
unter den genannten Gesetzen gewiß solche, in denen zum Ausdruck kommt, daß es
Problemstellungen gibt, welche politische Systembrüche zumindest mittelfristig
überlagern; andererseits aber bietet das anscheinend problemlose Fortbestehen
problematischer Regelungen (beispielsweise im Strafrecht) Ansatzpunkte für eine
Kritik gegenwärtigen Rechts. Anders ausgedrückt: Die vielzitierte und
vieldiskutierte Kontinuitätsproblematik hat eine beschreibende und eine
kritische Komponente; wer sie angemessen diskutieren will, sollte beide
Elemente sauber unterscheiden.
Der Herausgaber hält sich in seiner Einleitung und in
seinen wenigen Anmerkungen klugerweise aus diesen Diskussionen heraus. Umso
erwartungsvoller blickt man allerdings dem beschreibenden ersten Teil seines
Werks entgegen. Mit dem zweiten Band hat er jedenfalls der Erforschung der
Rechtsgeschichte der NS-Zeit einen wertvollen Dienst erwiesen.
Hagen/Westfalen Thomas
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