Brezinka, Wolfgang, Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des
Faches an den Universitäten vom 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Bd. 1
Wien, Bd. 2 Prag, Graz, Innsbruck. Verlag der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, Wien 2000, 1060 S., 2003 1023 S.
Ein grandioses
Monument von einem Alterswerk! Es ist keineswegs übertrieben, zu sagen, dass
diese – am Ende, nach Erscheinen des dritten Bandes – mehr als 3000 Seiten eine
einmalige Leistung darstellen; so etwas gibt es nicht noch einmal auf der Welt:
Die gesamte Institutionengeschichte der universitären Pädagogik eines Staates
von den Anfängen (1806 in Wien) bis zur Gegenwart, alle Lehrkanzeln, die es je
in Österreich gab und alle, die sich je für das Fach habilitierten, sind
berücksichtigt. Eine Quellenarbeit von zehn Jahren und vielen tausenden
Stunden. Dies ist die Analyse von Aufstieg und Zerfall (jedenfalls: Krise) eine
„weichen“ Faches, von Einrichtung, Besetzung, (viel zu schneller und großer)
Vermehrung der Lehrstühle bis hin zu den Lebenswegen, der Vorbildung und den
Leistungen der je auf pädagogische und erziehungswissenschaftliche Lehrstühle
und Extraordinate Berufenen (auch alle Besetzungsvorschläge sind
berücksichtigt). So dass wir sehr bald für einen Teil des deutschsprachigen
Kulturraumes, der repräsentativ ist, die
Wissenschaftsgeschichte der Pädagogik haben werden, für die es kein zweites
Beispiel auf der Welt gibt. Band 1 bietet eine Einleitung (fast ein eigenes
Buch von 230 Seiten) und behandelt die Universität Wien, Band 2 Graz, Innsbruck
und die Deutsche Universität Prag bis zu ihrem Ende. Band 3 wird die
Universitäten Salzburg, Linz, Klagenfurt, die Wiener Wirtschaftsuniversität und
die Universität von Czernowitz/Bukowina bearbeiten.
Schlicht, wie
er ist, nennt Brezinka sein Ziel: „künftig alte Irrwege weniger häufig zu
begehen!“ Auch Katechetik, Religionspädagogik, Heil-, Sport- und
Wirtschaftspädagogik fehlen nicht. Eine herausragende Leistung!
Der Emeritus
der Universität Konstanz, der nun 75jährige Wolfgang Brezinka, Mitglied der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften, besticht durch seine analytische
Kraft, Stoffbeherrschung, logische Schärfe und seinen elegant-präzisen Stil,
die breite und tiefe Bildung und Ausbildung als Pädagoge, die Unerschrockenheit
im Kampf gegen Jargon und Geschwätz wie gegen die 68er Kulturrevoluzzer, die
ihn jahrelang verfolgt und boykottiert haben („Marx rein – Brezinka raus!“).
„Da hatte ich Zeit, Bücher zu schreiben“, sagt er lächelnd zu den Angriffen
gegen ihn in der Kulturrevolutionszeit. 18 Bücher sind es an der Zahl, 600
Vorträge weltweit, 133 Aufsätze. Eigentlich hätte es einen Aufschrei der
modernen Schwatzpädagogen geben müssen, denen Brezinka die Leviten liest
(„Zeugnisse für gedankliche Verworrenheit und schlechtes Deutsch“, Band 1,
Seite 671, oder: „geschraubte Reflexionen … täuschen interdisziplinäre
Weitsicht und Tiefsinn vor“, ebenda, Seite 676, oder: „bestenfalls postmoderne
Belletristik“), aber nichts tat sich. Still ruht der See. Die ertappten
Lockendreher auf den Glatzen der Pädagogik schweigen. Schwammigkeit und
Indoktrination ducken sich unter dem Seziermesser Brezinkas, des meist
übersetzten lebenden Pädagogen deutscher Zunge und Wahlösterreichers („Ich konnte
mir ein glückliches Leben nur in Österreich vorstellen.“).
Seit seiner
„Pädagogik der Neuen Linken“ (6 Auflagen) hat Brezinka nie einen sachlichen
Streit gescheut, der 1928 in Berlin geborene Katholik hat früh gelernt, seinen
Überzeugungen in fremder Umgebung treu zu bleiben. Verwirrung, Verwirrtheit und
Verworrenheit hat er stets bekämpft in der Haltung der areté („Tüchtigkeit“)
und Euphrosyne („Wohlgemutheit“), die ihm stets eigen waren.
Diese
Pionierarbeit beschreibt die Malaise im Fach Erziehungswissenschaft wie kein
zweites „mit noch nie da gewesener Gründlichkeit“ (Magyar Pedagógia/Budapest).
Das Buch wird für Dezennien des 21. Jahrhunderts richtungweisend sein; ein
Klassiker ohne Gipskopf, ein Pädagoge des aufgeklärten Konservatismus hat es
geschrieben. Der moluskelhafte Bluff, an dem die Pädagogik so „reich“ ist, war
lebenslang Gegenstand seiner Entlarvungen.
Gratwein Peter
Meier-Bergfeld