Brand, Paul,
Kings, Barons and Justices. The Making and Enforcement of Legislation in
Thirteenth-Century England (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought 4,
56). Cambridge University Press, Cambridge 2003. XIX, 508 S.
Um es vorwegzunehmen, Paul Brand,
senior research fellow am All Souls College in Oxford, hat ein bemerkenswertes
Buch geschrieben. Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß es zum
Standardwerk für die Rechtsentwicklung in England seit der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts wird. Die Entstehungsgeschichte des Buches reicht weit zurück.
Seinen Ursprung hat es in der 1967 begonnenen und 1974 abgeschlossenen Oxforder
Dissertation des Autors, die von dem früh verstorbenen Rechtshistoriker G.
D. G. Hall angeregt und betreut wurde. Gegenstand der Doktorarbeit war der
Beitrag der baronialen Reformbewegung (1258-1267) zur Entwicklung des common
law. In den vergangenen Jahrzehnten, in denen der Autor seine außerordentliche
Kenntnis der Quellen und deren Verständnis noch weiter vertiefen konnte, hat er
dieses Thema nie ganz aus den Augen verloren. Die lange Wartezeit hat dem Werk
sicherlich nicht geschadet.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert.
Der erste Teil befaßt sich mit der Entwicklung von den Provisions of
Westminster (1259) bis zum Statute of Marlborough (1267), während der zweite
Teil der Umsetzung der einzelnen Bestimmungen des Statute in der täglichen
Rechtspraxis bis zum Ende der Regierungszeit Edwards I. († 1307) gewidmet ist.
Welche Bedeutung dem Statute auch noch im Spätmittelalter zukam, zeigt sich an
der prominenten Rolle, die es in den Vorlesungstexten der Anwälte, die in den
Inns of Court mit der Ausbildung betraut waren, einnahm. In drei Anhängen am
Ende des Buches finden sich die für Brands Argumentation zentralen Texte
– die Provisions of Westminster, deren Neufassungen von 1263 und 1264 sowie das
Statute of Marlborough – vorbildlich editiert und erfrischend verständlich
übersetzt. Als zusätzlichen Service für den Leser hat Brand sämtliche
Änderungen (Auslassungen, Hinzufügungen) in den Redaktionen von 1263 und 1264
sowie dem Statute von 1267 gegenüber den ursprünglichen Provisions durch
Fettdruck kenntlich gemacht.
Der Impuls für die gesetzgeberische
Initiative ging keineswegs von der Krone aus. Es waren die Magnaten, die seit
den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts mit den Geldforderungen Henrys III. sowie
dessen Bevorzugung einiger weniger, meist ausländischer Barone in immer
stärkere Konflikt mit der Krone gerieten. Im Parlament von Oxford, im Frühjahr
1258, traten diese Gegensätze offen zutage. Erst das Einlenken des Königs, der der Berufung eines Ausschusses von 24 Magnaten zustimmte, die
Reformvorschläge unterbreiten sollten, entspannte die Situation vorübergehend.
Zwar standen die politischen Forderungen nach weitgehender Mitsprache der
Magnaten an der Regierungstätigkeit auf zentraler und lokaler Ebene an erster
Stelle auf der Agenda der Barone, aber Abhilfe gegenüber Rechtsmißbrauch und
Ungerechtigkeiten folgte kurz danach. Hier setzt Brands
Untersuchung ein. Er ist kaum an den politischen Hintergründen der baronialen
Reformbewegung interessiert; sein Augenmerk gilt in erster Linie den Änderungen
im Recht und in der Rechtsprechung. Im ersten Kapitel verfolgt Brand die
Entwicklung von der Einsetzung des 24er-Ausschußes, über die sogenannte
‚Petition of the Barons’, bis hin zur Formulierung und schließlichen
Veröffentlichung der Provisions of Westminster im Parlament im Oktober 1259,
wobei er sämtliche überlieferten Texte, Entwürfe und Redaktionen detailliert
analysiert. Dieses akribische Vorgehen kennzeichnet auch die weiteren Kapitel
des Buches.
Im zweiten und dritten Kapitel zeichnet
Brand die Genese jeder einzelnen Klausel der Provisions of Westminster
präzise nach und unterzieht die Klauseln einer eingehenden Prüfung ihres
jeweiligen rechtlichen Kontextes. Einen Schwerpunkt bildeten die Beziehungen
zwischen Lehnsherr (lord) und Lehnsmann (tenant). Die Verpflichtung der tenants
zur Anwesenheit bei den Gerichtstagen ihrer Herren (suit of court) und bei
Nichtbefolgung zur Pfändung (distraint) ihres Besitzes hatte in der
Vergangenheit zu zahlreichen Mißbräuchen geführt. Andere Regelungen betrafen die grundherrliche
Kontrolle im Falle von Unterbelehnungen zur toten Hand (alienation in mortmain)
oder den Anspruch eines Grundbesitzers auf einen Rechenschaftsbericht (account)
von einem Verwalter, Vormund, Treuhänder etc. Der zweite Reform-Schwerpunkt
bildete die Rechtsprechung in Kriminalsachen. Neben Klauseln die
sich mit Geldbußen für Abwesenheit bei Verhandlungen der Reiserichter (justices
in eyre) oder den unter Vorsitz des Sheriffs stattfindenden hundred courts
befaßten wurde die Erhebung der murdrum fine
präzisiert. Diese kollektive Buße war immer dann zu entrichten, wenn ein
Mordopfer entdeckt wurde, es sei denn, der Täter konnte vor Gericht gebracht
oder es konnte nachgewiesen werden, daß das Opfer Engländer war (presentment of
Englishry). Diese Bestimmung, deren Ursprung umstritten ist, diente dem Schutz
von Ausländern in einer potentiell feindlichen Umgebung.
Die
Durchsetzung der Bestimmungen und die überarbeiteten Fassungen (1263, 1264) der
Provisions of Westminster in der turbulenten Zeit von 1259 bis 1267 sind
Gegenstand der Kapitel 4 bis 6. Nun ist der Erlaß von
Rechtsverordnungen eine Sache, deren Umsetzung in die tägliche Praxis natürlich
eine andere. So mußten die Chancery (Kanzlei) und der Exchequer (Schatzamt)
neue Gerichtsbefehle (writs) entwickeln, die von Klägern dann zur
Prozeßeröffnung genutzt werden konnten. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel das
writ contra formam feoffamenti, das
Abhilfe bei ungerechtfertigter Beschlagnahme bei Nichtbefolgung des suit of
court bot. Andere Hinweise auf die Umsetzungen der Verordnung finden sich in
den Prozeßakten von bereits vor 1259 existierender Klageformen, wenn darin
beispielsweise einzelne Klauseln der Provisions zitiert werden bzw. Anwendung
finden. Es kann hier nicht im Einzelnen auf die Änderungen eingegangen werden
kann, die die Provisions insbesondere in der Phase des Barons’ War (1264-1265)
und der kurzen Regentschaft Simon de Montforts erlebten. Im letzten Kapitel des
ersten Teils widmet der Verfasser sich der endgültigen Neuausgabe der
Provisions of Westminster in Form des Statute of Marlborough. Eingehend
analysiert er, welche Ergänzungen, Änderungen und Auslassungen der Gesetzestext
gegenüber den früheren Verordnungen aufweist, wobei er insbesondere den Kontext
und Gegenstand der acht neuen Klauseln zu Beginn des Statuts erläutert.
Der zweite Teil untersucht in weiteren
acht Kapiteln die zeitgenössische Interpretation und die Durchsetzung des
Statute of Marlborough in der Rechtspraxis. Brand ist der erste, der
dazu systematisch die ungedruckten plea rolls und law reports sowie die bereits
gedruckten Year Books aus der Zeit Edwards I. auswertet. Dieser zweite Teil ist
zutreffend mit „Beyond politics“ überschrieben; der politische Kontext, der
noch im ersten Teil in die Darstellung mit einbezogen wurde, ist hier
ausgeblendet. Dennoch erfährt der Leser viel und vor allem viel Neues. Wie im
ersten Teil unterzieht er die einzelnen Klauseln einer eingehenden Untersuchung
ihrer Auswirkungen auf den Rechtsgang. Auch wenn der Befund über die Bedeutung
des Statute of Marlborough auf die Abstellung von rechtlichen Mißständen nicht
eindeutig ausfällt – so muß Brand beispielsweise einräumen, daß das writ
contra formam feoffamenti nach 1267 zwar „regular but not in common use“ (8, cf.
207-249) war –, ist der innovative gesetzgeberische Impetus, der von der
baronialen Reformbewegung ausging, nicht zu bestreiten.
Brands Stil ist klar, sein Text sehr
gut lesbar. Der Autor versteht es, seinen Lesern auch komplizierte
Rechtstermini verständlich zu machen – sei es ein writ of quare impedit, ein writ of entry in the post oder writs of aiel
and cosinage. Präzise zeigt er den
feinen aber entscheidenden Unterschied zwischen einem finis pro pulchre placitando (beaupleader fine) und der älteren miskenning fine auf. Allerdings sollte
der Leser eine gewisse Begeisterung mitbringen für solche Verfahrensweisen zur
Prozeßeinleitung oder Bußzahlung. Ein Glossar, in dem die zahlreichen
Rechtstermini kurz erläutert werden, wäre vielleicht hilfreich gewesen, zumal
der Index leider nicht alle Sachstichworte adäquat abdeckt.
Zudem finden im Text genannte Personen nur sporadisch oder gar keinen Eingang
ins Register. Allerdings war es sicherlich auch nicht Brands Absicht,
ein Handbuch zu verfassen. Er ist kaum an einem Diskurs mit der einschlägigen
Sekundärlitertur gelegen. Es sind Provisions, Statutes, writs, king’s bench und
common bench files, eyre rolls, Year Books, law reports und Rechtstraktate mit
denen er einen beständigen
Dialog führt. Dies äußert sich nicht nur in den zahlreichen Fußnoten – und in
der Masse der Belege erinnert das Buch eher an eine kontinentaleuropäische
Monographie –, die insbesondere im zweiten Teil fast ausschließlich
Quellenbelegen und –zitate beinhalten, sondern spiegelt sich auch deutlich in
seiner Bibliographie: Über neun Seiten zitiert er gedruckte und ungedruckte
Quellen, während die Angaben zur Sekundärliteratur nur etwas mehr als zwei
Seiten umfassen. Dies mag der Historiker, der stärker an den politischen,
sozialen und ökonomischen Hintergründen interessiert ist, zwar bedauern, aber
er sollte zusammen mit dem Rechtshistoriker einer solch kenntnisreichen
Aufarbeitung und Ausbreitung der rechtsrelevanten Quellen seine Bewunderung
zollen.
University of Essex Herbert
Eiden