Bergman,
Martin, Dödsstraffet, kyrkan och staten i Sverige från 1700-tal till 1900-tal
(= Skrifter utgivna av Institutet för Rättshistorisk Forskning, Serien I
Rättshistoriskt Bibliotek 53), Nerenius & Santérus Förlag i distribution, Stockholm/Lund
1996, XII, 261 S.
Bergmans Arbeit ist eine theologische
Dissertation, die er am 28. Mai 1996 vor der Theologischen Fakultät der
Universität Lund verteidigt hat. Sie enthält zwei große Teile, einen weitgehend
rechtshistorischen, der sich mit der Diskussion befaßt, die in Schweden über
Strafgesetzgebung, vornehmlich die Todesstrafe, und ihre Anwendung zwischen
1778 und 1921 geführt wurde, wo Schweden die Todesstrafe für Friedenszeiten
abschaffte. Der zweite Teil behandelt eher theologische Fragen: Soll die Kirche
zur Todesstrafe verurteilte Delinquenten auf ihre Hinrichtung geistlich
vorbereiten und sie auf ihrem letzten Gang begleiten und wie soll der letzte
Gottesdienst für den Hinzurichtenden gestaltet werden?.
Der
Verfasser setzt mit den Beratungen des Reichstages von 1778 ein. Es war noch
die Zeit König Gustavs III. (1771–1792), der dem Reichstag vorschlug, die
Todesstrafe für Kapitalverbrechen einzuschränken. Am schwerwiegendsten war sein
diesbezüglicher Vorschlag beim Kindsmord. Es war das größte kriminalpolitische
Problem des ausgehenden 18. Jahrhunderts, weil man diese Tat nicht nur als
gegen das einzelne Kind, sondern gegen die ganze Nation gerichtet ansah. Der
schwedische Reichstag bestand damals aus vier Ständen: der Ritterschaft, dem
Adel, den Geistlichen und den Bauern. Den größten Widerstand erwartete und
erhielt Gustv III. von den Geistlichen, aber auch der Adel meinte, Gottes
Gesetz in 1. Mose 9,6 („Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch
durch Menschen vergossen werden“) müsse auch im staatlichen Recht beachtet
werden. Dagegen war der Bauernstand der Meinung, göttliches und weltliches
Gesetz enthielten eine Zielsetzung, die besser durch andere Strafen als durch
Hinrichtung erfüllt werde. Die mit weiteren theologischen Argumenten geführte
Debatte endete damit, daß die Todesstrafe nur in 8 der 21 Paragraphen, in denen
sie angedroht war, tatsächlich abgeschafft wurde. Beim Kindsmord wurde
lediglich die Vermutung gestrichen, die Mutter sei die Täterin. Immerhin
diskutierte man auch den sozialen Hintergrund solcher Mordtaten. Da die
Täterinnen häufig unverheiratete Frauen waren, die sich in einer sozialen
Zwangslage sahen und sich nicht anders zu helfen wußten, versuchte man nicht
nur mit Abschreckung, sondern mit sozialer Förderung (öffentliche
Unterstützung, Schaffung von Entbindungs- und Kinderheimen) zu helfen. Die
Geistlichen hoben in der Debatte vor allem den Wert der Ehe für die
Gesellschaft hervor; nur ihr Schutz und ihre Förderung könne die Folgen von Unzucht
eindämmen.
Nach
der Revolution von 1809 wandelte sich in Schweden – wie überall in Europa – der
bisher konservative Geist in eine Reformgesinnung. Vorbild war Frankreich, wo
der Code pénal in seiner revidierten
Fassung von 1832 die mit Todesstrafe bedrohten Delikte einschränkte, aber auch
die Vereinigten Staaten von Amerika, die das gleiche taten und statt dessen die
Gefängnisstrafe ausweiteten. In Schweden gab es auf den Reichstagen 1809/10,
1815 und 1817/18 Bestrebungen, die Strafe für Diebstahl wieder – wie im
Reichsgesetz von 1734 – bis zum Hängen des Diebes zu verschärfen und es war vor
allem Christopher Jacob Boström, der sich für die Beibehaltung der
Todesstrafe aussprach, weil der Mörder die Vernichtung des einzelnen oder des Staates
beabsichtigt habe und die Hinrichtung dazu diene, seinen bösen Willen zu
reinigen und ihm im nächsten Leben zur Vollkommenheit zu verhelfen. Immerhin
folgte dem ein 1824 mit Großbritannien abgeschlossenen Vertrag, der den
Sklavenhandel verbot und ein besonderes Strafgesetz von 1830, das ihn fortan
mit Todesstrafe bedrohte. Gegen die Vertreter der Todesstrafe, die glaubten,
der Tod des Delinquenten versöhne ihn mit Gott, wandte sich eine anonyme
Schrift von 1828, die dagegen behauptete, eine solche Versöhnung sei nur
möglich, wenn er nicht hingerichtet werde, sein Leben ändere und dadurch die
Versöhnung erlange. In die gleiche Richtung zielte das 1840/41 anonym
erschienene „Gelbbuch“ (Gula Boken),
dessen Verfasser, König Oscar I.,
für den Ausbau des Gefängniswesens warb, da die Gefängnisstrafe die Hauptstrafe
sei. Gleichwohl setzte er der Gesetzeskommission von 1844 keinen Widerstand
entgegen, als sie im zukünftigen neuen Strafgesetzbuch die Todesstrafe
beibehalten wollte, weil sie ein Notwehrrecht des Staates sei. Die folgenden
Jahre sahen immer neue Diskussionen in der Gesetzeskommission und im Reichstag
über die Todesstrafe im zukünftigen Strafgesetzbuch. Das Gefängnis als
Hauptstrafe wurde zum wichtigsten Diskussionspunkt. Das theologische Denken wandte
sich vom Vergeltungsgedanken ab und hob die Begriffe Gerechtigkeit, Versöhnung
und Besserung in den Vordergrund, ersetzte also die bisher herrschende
alttestamentliche Vergeltung durch den christlichen Gedanken der Versöhnung.
1865/66
wandelte sich die politische Repräsentation in Schweden: Das Zweikammersystem,
dessen Mitglieder durch Wahl in ihr Amt gelangten, löste den bisherigen
Reichstag mit seinen vier Ständen ab. Fortan gab es keinen Priesterstand mehr,
der sich in der Frage der Todesstrafe auf theologische Argumente stützen
konnte. Diese verloren zwar an Bedeutung, doch nahmen sie andere
Reichstagsmitglieder auf. Vor allem berief man sich jetzt zunehmend auf das
Neue Testament, die Befürworter der Todesstrafe auf Matth. 26,52 und Röm. 13,4,
ihre Gegner dagegen auf Matth. 5,38. Für die Beibehaltung der Todesstrafe
stritten vornehmlich die Anhänger Boströms, dessen Schriften erst nach seinem
Tode (1866) ihre größte Wirkung entfalteten. Auf der Gegenseite fanden sich
neben dem Kreisgerichtsvorsitzenden Johan Gabriel Richert, der bereits
gegen den Entwurf von 1844 opponiert hatte, vor allem Knut Olivecrona,
dessen Buch „Om dödsstraffet“ (Über
die Todesstrafe, 1866) sich wesentlich auf Ideen Carl Joseph Anton
Mittermaiers in „Die Todesstrafe“ (1862)
stützte. Zwischen 1865 und 1921 wurden in Schweden nur 15 Personen hingerichtet
(ebensoviel wie zwischen 1860 und 1864); wegen vieler mißglückter Hinrichtungen
führte zudem die Königliche Verordnung vom 29. Juni 1906 die Guillotine ein.
Gleichwohl belebten die spektakulären Hinrichtungen der folgenden Jahre immer
wieder die Debatte. Neu war, daß Stimmen laut wurden, welche die Todesstrafe
zwar beibehalten, aber durch Gnadenakte in lebenslängliches Gefängnis umwandeln
wollten. Schließlich beschloß der schwedische Reichstag 1921, die Todesstrafe
in Friedenszeiten abzuschaffen.
Der
zweite Teil des Buches befaßt sich mit der kirchlichen Betreuung von
Todeskandidaten. Die damit zusammenhängenden Fragen haben für den Verfasser als
Theologen größeres Gewicht, als die Todesstrafe selbst: In der Zusammenfassung
füllen sie doppelt so viele Seiten wie die Todesstrafe. Zugrunde liegt das
Kirchenhandbuch von 1693, das – beruhend auf dem Kirchengesetz von 1686 – für
die geistliche Betreuung der Todeskandidaten genaue Vorschriften enthielt. Dessen
Bestimmungen sind im 18. Jahrhundert nach dem Inkrafttreten des Reichsgesetzes
von 1734 durch königliche Verordnung von 1741 und Erlaß von 1754 vor allem
hinsichtlich der prunkvollen Kleider des Delinquenten und dann wieder im Handbuch
von 1811 geändert worden. Erstaunlicherweise zeigt sich hier noch deutlicher
als bei der Diskussion um die Todesstrafe der Einfluß deutscher Gesetzgebung
und wissenschaftlicher Diskussion auf die Verhältnisse in Schweden.
Kennzeichnend
ist, daß zunächst die Gemeindepfarrer für die Seelsorge und die Begleitung der
Todeskandidaten zum Schafott zuständig waren. Seit der Instruktion von 1846 für
Gefängnisprediger gehörte es aber zu deren Aufgaben, den Verurteilten auf seinem
letzten Gang zu begleiten. Doch suchten die Pastoren sich häufig dieser Aufgabe
zu entziehen, so daß die Gemeinden die Hinrichtung in Gegenwart von Zeugen vornahmen.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert nahm die Zahl der Laienzeugen ab, die
Begleitung der Verurteilten verschwand aus den Vorschriften des Handbuchs, und
die Geistlichen erhielten mehr Freiheit in der Todesvorbereitung des
Verurteilten, auch wurde die Vorbereitungszeit von zwei Wochen im 18.
Jahrhundert auf sechs Wochen im 19. Jahrhundert verlängert. Ausführlich diskutierte
man in Schweden själavådan, die
Gefahr für die Seele des zum Tode Verurteilten, die dann eintrat, wenn er sich
hartnäckig weigerte, das Unrechte seiner Tat einzusehen und unbußfertig blieb.
Dies war nicht nur ein geistliches Problem, auch die Juristen behandelten es in
ihren Lehrbüchern – freilich ohne eine praktikable Lösung anzubieten. Während
im 18. Jahrhundert die Geistlichen sich weigerten, den Verurteilten zu
begleiten, wenn Seelengefahr bestand, versuchten sie später Aufschub für die Hinrichtung
zu erwirken. Der Verfasser hat in 12 Fällen die Entscheidungen untersucht, die
seit 1778 in solchen Fällen der Krone oblagen. Die fortschreitende
Säkularisation des Lebens ließ die Krone allerdings auf diese geistlichen Bedenken
immer weniger Rücksicht nehmen.
Weitere
geistliche Fragen waren die Schlußpredigt für den Gefangenen, sein letztes Abendmahl
und die Vorgänge bei der Hinrichtung. Während der Staat die Hinrichtungen in
der Öffentlichkeit vollzog, um sie als warnendes Beispiel zu nutzen und sie
erst im 20. Jahrhundert in die Gefängnisse verlegte, war es der Kirche um die
individuelle Seelsorge zu tun. Wichtigen Aufschluß darüber gewinnt der
Verfasser aus dem theologischen Schrifttum, das sich – um der ewigen Seligkeit
des Verurteilten wegen – mit dem Verhältnis von Gott und Strafe, der kirchliche
Verkündigung und Erbauung befaßte.
Für
Rechtshistoriker ist das Buch weitgehend unbefriedigend. Der vornehmlich theologisch
denkende und argumentierende Verfasser hat leider versäumt, der juristischen Dogmatik
und der Darstellung von Recht und Gesetz den nötigen Raum zu gewähren. Statt
dessen listet er aus den Diskussionen in den vier Ständen und im Reichstag die
Ausführungen einzelner Sprecher in aller Breite auf, ohne jedoch eine größere
Linie aufzuzeigen und ohne über die schließlich gefaßten Beschlüsse zu informieren.
Um die einzelnen Schritte der allmählichen Entwicklung zur Abschaffung der
Todesstrafe deutlich zu machen, wäre auch eine Zeittafel nützlich gewesen. Der
zweite Teil des Buches bietet wichtige theologische Informationen, zeigt auch
an zwölf Beispielen auf, wie sich staatliche und kirchliche Interessen haben ausgleichen
lassen, doch geht es dabei nur insoweit um Rechtsfragen, als in einigen Fällen
von hartnäckig leugnenden Verurteilten die Hinrichtung als ungerechtfertigt
unterlassen wurde.
Der
Verfasser hat umfangreiche ungedruckte Materialien aus Archiven benutzt und ein
reichhaltiges Literaturverzeichnis zusammengetragen, doch befriedigt es an
vielen Stellen nicht, weil die bibliographischen Angabe lückenhaft sind oder
ganz fehlen. So gibt er bei den Forschungen zur brandenburgischen und preußischen
Geschichte von 1891 weder den Herausgeber noch den Verfasser; was er aus
„Gotlands allehanda 1876“ entnommen hat, bleibt unklar, ebenso beim Juridiskt Arkif
1837/38, beim Morgenbladet, Christiania 1876 und bei Stockholmsposten 1786 etc.
Bei den königlichen Verordnungen (S. 233) ist die Fundstelle nicht angegeben.
Für die Hauptakteure in der Frage der Abschaffung der Todesstrafe fehlen biographische
Hinweise. Immerhin hat der Verfasser seinem Werk ein Personenverzeichnis
angefügt. Obwohl er die zeitgenössische deutsche Literatur in großem Umfang,
englische dagegen kaum berücksichtigt, hat er ein englisches Summary angefügt. Eine deutsche
Zusammenfassung würde seinem Werk in Deutschland wahrscheinlich mehr
Aufmerksamkeit eintragen.
Köln am Rhein Dieter
Strauch