Beneduce, Pasquale, Il corpo
eloquente. Identificazione del giurista nell’Italia liberale (= Annali
dell’Istituto storico italo-germanico Monografia 27). Società editrice il
Mulino, Bologna 1996. 404
S.
Mit der in der Forschungstradition Mazzacanes und Schieras stehenden Abhandlung möchte Beneduce das Profil des von ihm sogenannten „neuen Juristen“ nach der Unifikation der verschiedenen italienischen Staaten untersuchen. Die Herkunft der Juristen sowie ihre kulturelle Identität bilden einen wichtigen Gegenstand des vorliegenden Buches. Die Arbeit geht der Frage nach der Gerichtstätigkeit der Juristen, der dort verwandten Rhetorik und einem nach seiner Ansicht damit verbundenen inneren Abschluß dieser Gruppe nach, was der Verfasser „corpo eloquente“ nennt. Beneduce sieht als Ursache dafür die im Laufe des 19. Jahrhunderts veränderte juristische Ausbildung, die Verwissenschaftlichung der juristischen Tätigkeit und die Schaffung eines Idealbildes eines guten Juristen an.
Die Arbeit wird aus zwei Teilen gebildet, die etwa gleichgewichtet sind und jeweils vier Kapitel haben Im ersten Teil werden Praxis und Wissenschaft im Beruf des Juristen in den Blickpunkt genommen, während der zweite Abschnitt sich dem „eloquenten Juristen“ und dessen Grundlage widmet.
Nach dem Verständnis Beneduces handelt es sich um eine weithin geschlossene Gemeinschaft. In einer an sich vom Liberalismus durchdrungenen Gesellschaft, die – so der Verfasser – neben einer sehr freien Ökonomie teilweise auch die individuelle Freiheit propagierte, scheint diese Art eines berufsständischen Abschließens nicht mehr zeitgemäß. Dennoch kommt es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geradezu zu einem berufsständischen Abschluß und einer Reduzierung der Advokatenzahl. Damit geht jedoch die Integration der Juristen aus den verschiedenen italienischen Ländern, vor allem derjenigen, die aus dem Süden stammen und nunmehr in der Administration oder im Rahmen der Gerichtsbarkeit tätig sind, einher. Beneduce vertritt deshalb die Auffassung, daß durch die Nationalisierung der juristischen Tätigkeit die universitäre Ausbildung immer wichtiger wurde und die dort agierenden Juristen alle anderen Bereiche als untergeordnet ansahen. Um seine These zu belegen, geht der Autor auf einen längeren Streit im Hinblick auf Praktikerzeitschriften und Akademien ein, wobei das später von Serafini übernommene „Archivio Giuridico“ im Vordergrund steht. Die Auseinandersetzung ging um eine übergeordnete Bedeutung der Wissenschaft im Hinblick auf die Praxis.
Im ersten
Kapitel geht der Verfasser auf das für das 19. Jahrhundert spezifische Phänomen
ein, daß Professoren, um materiell überleben zu können, sehr oft als Anwälte[1] tätig
waren, und manchmal sogar ganz zur Advokatur überwechselten. Der fließende
Übergang zwischen Theorie und Praxis wurde auch bestimmend für die juristische
Tätigkeit und Professionionalisierung in Italien.
Das zweite
Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung italienischer juristischer
Zeitschriften, die für das Selbstverständnis der juristischen Praxis und den
Austausch mit den Universitäten beitragen. Gerade die juristischen
Zeitschriften, die spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle
für die rechtswissenschaftliche Entwicklung spielten, wurden in der Forschung
lange Zeit kaum beleuchtet. Dieses Forschungsdesiderat wird einerseits
hinsichtlich italienischer juristischer Periodika seitens von Beneduce,
andererseits aber auch durch eine in Frankfurt stattgefundene Tagung[2], die
sich vornehmlich mit deutschsprachigen Rechtszeitschriften beschäftigte,
ansatzweise behoben. Während sich das Frankfurter Symposium vor allem Gedanken
über juristische Zeitschriften als Stätte fachlicher Auseinandersetzungen und
Weiterentwicklungen machte, geht Beneduce einen anderen Weg: Er beschreibt
anhand des Archivio Giuridico die Entwicklung und Bedeutung des juristischen
Zeitschriftenwesens unter anderem für die Praxis, was in der Auseinandersetzung
mit Serafini hinsichtlich der übergeordneten Bedeutung der Wissenschaft an sich
gipfelte. Mit letzterem ging, so der Verfasser, auch die Professionalisierung
nach Vereinigung der italienischen Länder einher.
Beneduce geht
im vierten Kapitel den Voraussetzungen des modernen Anwalts nach. Zunächst
charakterisiert er die Advokatur in Frankreich im Hinblick auf seine
Fragestellung. Der Autor erläuter die französischen Einflüsse auf die
italienische Anwaltschaft bis zur Reaktionsperiode in der Zeit ab 1814, in der
die Elemente, die die französische Advokatur ausmachten, zurückgedrängt und
nicht mehr angewandt wurden.
Der Verfasser
ermittelt Eloquenz in verschiedenen Ausformungen, die als Leitbilder für den
italienischen Advokaten dienen sollen, wobei er keine spezifisch juristische
Produktion heranzieht, sondern sich vor allem auf die Beschreibungen von
Advokaten in der Literatur stützt, die in erster Linie auch wieder durch
Juristen verfaßt worden sind. Dabei spielt vor allem die Entwicklung der
juristischen Rhetorik und der Eloquenz in ihren verschiedenen Ausformungen eine
Rolle. Der Verfasser geht in diesem Zusammenhang auch auf die neapolitanischen
Einflüsse auf die juristische Kultur in der postunitären Phase Italiens ein, da
sehr viele Juristen aus dem Mezzogiorno in nördlichere Provinzen versetzt worden
waren. Er behandelt ebenso die Bedeutung der Sprache vor Gericht und in der
Justiz, um dort überzeugen zu können (221ff.). Die wissenschaftliche Literatur
weist immer wieder auf die Notwendigkeit einer guten Sprache und Rede in der
forensischen Praxis hin.
Der Verfasser
beschreibt vor allem anhand literarischer Zeugnisse den „corpo eloquente“, das
Selbstverständnis desselben und das Idealbild eines „buon giurista“. Der Anwalt
sollte unter anderem durch eine gute Sprache vor Gericht überzeugen, wobei für
das Erlernen bestimmte Voraussetzungen notwendig seien, worauf unter anderem
auch der Rechtshistoriker Gaudenzi hinwies. Die literarische Kreation eines
„buon giurista“ sowie die Verwissenschaftlichung und die damit einhergehende
Professionalisierung des Anwaltsberufs waren unter anderem Ursachen dafür, daß
innerhalb von hundert Jahren die Zahl der Advokaten beispielsweise im
ehemaligen Königreich Neapel extrem zurückging. Die Abkehr vom sogenannten
Winkeladvokaten (Beneduce nennt sie die falsi avvocati, 246ff.) hin zu einem
wissenschaftlich ausgebildeten und redegewandten Juristen ist eine Grundlage
für die Abgeschlossenheit des Juristenstandes. Damit sollte unter anderem eine
bestimmte Lebensweise verbunden sein.
In der kurzen
Besprechung konnten nur bestimmte Aspekte dieses vielschichtigen Buches
aufzeigt werden. Hervorzuheben ist unter anderem die Charakterisierung eines
guten Juristen anhand literarischer Ausführungen von Justizjuristen. Die
Hervorhebung bestimmter Eigenschaften, wie die Redegewandtheit vor Gericht als
ein bestimmendes Element, die Verwissenschaftlichung der Ausbildung und eine in
sich bestehende Abgeschlossenheit, die noch vertiefender Untersuchungen
hinsichtlich der Durchlässigkeit zum Beruf des Juristen in Italien nach der
Vereinigung bedürfte, waren Garanten für eine Zusammenführung verschiedener
Justizsysteme, Ausbildungsformen und diverser anderer juristischer
Gegebenheiten, die seit Jahrhunderten in den diversen Territorien sich
unterschiedlich herausgebildet hatten. Weniger ist hier an unterschiedliche
Kodifikationen des beginnenden 19. Jahrhunderts zu denken oder an das
vorhergehende ius proprium, sondern mehr an verschiedene Justizsysteme,
Zulassungen zur Anwaltschaft und Ausbildungsvoraussetzungen.
Der Autor hat
in seinen Ausführungen einen interessanten Zugang zum Verständnis italienischer
Juristen des 19. Jahrhunderts gewählt: Durch seine literarhistorischen
Untersuchungen gelingt es ihm eindrucksvoll das Bild des Idealjuristen
nachzuzeichnen. Wichtig sind die Ausführungen hinsichtlich des Einflusses der
literarischen Betätigung seitens der Praxis auf ihre (angehenden) Kollegen,
wodurch Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung des Juristen geschaffen
wurden.
Interessant
wäre es nun, Vergleiche zum Juristenbild in Deutschland vor und nach 1871 sowie
zu der Juristenausbildung zu ziehen, um dadurch möglicherweise Parallelen
hinsichtlich des Selbstverständnisses von Juristen in den sogenannten „verspäteten
Nationen“ herauszufinden.
Resümierend
ist festzuhalten, daß Beneduce ein eindrucksvolles Buch vorgelegt hat, das
anhand eines literarhistorischen Ansatzes hervorhebt, was einerseits im postunitären
Italien für einen „buon giurista“ erforderlich ist, andererseits aber auch die
Grundlagen dieser Entwicklung, besonders das Heranziehen französischer
Vorbilder und das Ausarbeiten derselben auf die zeitgenössischen Verhältnisse,
darlegt . Diese Zugangsweise ermöglicht es, die Entwicklung eines bestimmten
Selbstverständisses von Juristen in Italien nachzuvollziehen. Auf der Grundlage
dieser Arbeit müßte beispielsweise der Einfluß des in Italien relativ starken
Liberalismus auf den „corpo eloquente“ weiter analysiert werden. So stellt sich
die Frage, inwiefern der Liberalismus und die politische Tätigkeit der
Advokaten und anderer Justizjuristen vor und nach der Unifikation als
Abgeordnete auf deren Verständnis einwirkte und ob sich dies mit der literarischen
Vorstellung eines „guten Juristen“ vertrug. Dem Autor gebührt der Verdienst,
vor allem aufgrund der literarischen Betätigung von Juristen eine Vorstellung
eines idealen italienischen Juristen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
gezeichnet zu haben.
Leider fehlen
dem voluminösen Band Zusammenfassungen und ausführlichere Indizes, mit denen
ein leichterer Zugriff gewährleistet wäre.
Leipzig Frank
Theisen
[1] Siehe zur italienischen Anwaltschaft unter einer vergleichenden Perspektive Siegrist, Advokat, Bürger und Staat. Sozialgeschichte der Rechtsanwälte in Deutschland, Italien und der Schweiz (18.–20. Jh.), 1996.
[2] Tagung am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main am 22. und 23. September 1997, siehe auch den Band mit den Tagungsbeiträgen Stolleis (Hrsg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18. und 20. Jahrhunderts, 1999.