Bachrach, David S.,
Religion and the Conduct of War c. 300-1215 (= Warfare in History 16). Boydell
& Brewer, Woodbridge/Suffolk 2003. X, 216 S.
Das vorliegende Buch befasst sich
gleicherweise mit Militär- und Religionsgeschichte. Doch handelt es nicht in
erster Linie von solch erhabenen Gegenständen wie etwa die theologische
Rechtfertigung von Krieg oder die Entstehung von Kirchenrecht in Bezug auf
Krieg, obwohl der Verfasser die Literatur über diesen Themenkreis
mitberücksichtigt. Hauptsächlich untersucht die Studie die Einstellung
gewöhnlicher Soldaten zum Krieg, insofern sie sich in Predigten, Ritualen und
Zeremonien manifestiert, die sich nicht nur an die geistliche und weltliche
Elite richten, sondern das gesamte gesellschaftliche Spektrum mittelalterlicher
Armeen ansprechen. Im weiteren beschäftigt sich die Arbeit mit der Auswirkung
religiöser Kriegsbräuche auf die Zivilbevölkerung, deren Unterstützung für die
erfolgreiche Ausführung militärischer Unternehmungen benötigt wurde. Der
Verfasser verfolgt das genannte Thema über eine Zeitperiode von fast tausend
Jahren, von Konstantins Sieg in der Schlacht an der milvischen Brücke im Jahre
312 bis zum Vierten Laterankonzil, 1215, zur Zeit von Innozenz III. Auch der
geografische Gesichtskreis ist weit gespannt, indem er von der Levante bis nach
England reicht. Dabei unterlässt es der Verfasser jedoch absichtlich, wichtige
militärische Auseinandersetzungen religiöser Art einzubeziehen, die sich in
Randgebieten des mittelalterlichen Europa vollzogen, wie etwa in Spanien, in
den keltischen Marken und fast dem gesamten Baltikum und Ostmitteleuropa. Auch
religiöse Ritterorden werden wegen der speziellen Umstände ihrer Entstehung
nicht behandelt. Trotz der genannten Einschränkungen böte die angesprochene
Problematik auch einem erfahrenen Historiker ein riesiges Forschungsspektrum,
wie viel größer muss die Herausforderung für einen jungen Gelehrten, der sein
erstes Buch schreibt, gewesen sein. Und doch analysiert David Bachrach,
dessen Dissertation hier besprochen werden soll, diese Themen mit großer Reife
und großem Geschick..
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit
der Spätantike und den römisch-germanischen Königreichen im Westen bis zum
Aufstieg der Karolinger. Die Ausbreitung des Christentums über das gesamte
römische Reich brachte es mit sich, dass sich Christen, die Militärdienst
leisteten, neu mit der Beschaffenheit der Buße und der Lehre von der Sündhaftigkeit des Tötens
auseinandersetzen mussten. In diese Zeitperiode fällt denn auch die Ausbildung
von wiederholten, bußfertigen Übungen.
Das zweite Kapitel behandelt die
karolingische Epoche mit der aggressiven Erweiterung des fränkischen
Königreiches. In diesem Zusammenhang betont Bachrach die Rolle der Priester,
welche die Truppe begleiteten, öffentliche Litaneien anführten, die heiligen
Reliquien betreuten und fürsprechende Messen lasen. Diese Kapläne, die sich an
den Verwesungsgestank gewöhnt hatten, versprachen den Soldaten göttliche
Intervention, solange sie einer gerechten Sache dienten und ihre Lebensführung
himmlischen Beistand verdiente. Der Nachdruck, mit dem das Verdienen des
göttlichen Beistands propagiert wurde, erwies sich als wirksames Mittel zur
Unterhaltung der Disziplin während eines Feldzuges, wo die Versuchung, sich
durch Plünderung zu bereichern groß war, sogar in befreundeten Gebieten. In der
karolingischen Zeit sollte die öffentliche
Durchführung von groß angelegten Zeremonien der Fürbitte die Soldaten an
ihre Stellung innerhalb der größeren christlichen Gemeinschaft erinnern.
Im dritten Kapitel untersucht Bachrach,
inwiefern der Zerfall des Karolingerreiches im späten 9. und frühen 10.
Jahrhundert christliche Soldaten mit neuen Problemen konfrontierte. Die
Gewalttätigkeit, die christliche Gemeinschaften an vielen Orten gegen einander
begingen, warf die Frage auf, wie sich das Bekämpfen und Töten von
Glaubensbrüdern rechtfertigen ließe. Besondere Predigten und leidenschaftliche
Reden sollten die Kämpfer überzeugen, dass ihre Sache gerecht und die des
Gegners ,böse‘ sei. Zu diesem Zweck versuchten die Priester Mord und Totschlag
neu zu definieren, indem sie erklärten, auch eine Handlung, die zum Tod anderer
Christen führe, könne verdienstvoll sein. Trotzdem betonten die Predigten auch
weiterhin, dass jeder Soldat sich des himmlischen Beistands würdig erweisen
müsse. Der Investititurstreit des späten 11. Jahrhunderts verstärkte die
Bemühungen, ritualistisch den göttlichen Beistand zur Tötung von getauften
Christen anzurufen, die eine ungerechten Sache unterstützten. Bruno, der
Verfasser des Bellum Saxonicum, beschreibt, wie beide Parteien die göttliche
Vorsehung anriefen, bevor sie in die Schlacht zogen. Zudem gewann die Rolle der
Heiligen an Bedeutung in dieser Zeit, besonders bei Auseinandersetzungen mit
heidnischen Feinden. So vertraute z. B. Otto der Große 955 bei der Schlacht auf
dem Lechfeld darauf, dass er den Mut seiner Truppen erheblich stärken könne,
wenn die Schlacht mit dem Martyriumstag des heiligen Laurentius zusammenfiele,
einem Heiligen, der in der ottonischen Zeit höchste Verehrung genoss.
Das Zeitalter der Kreuzzüge, dem das
vierte Kapitel gewidmet ist, brachte die Idee des persönlichen Martyriums zu
einer beispiellosen Blüte. Jeder Kreuzfahrer war im Grunde genommen ein möglicher
Märtyrer, dem seine Sünden gegen die Teilnahme an einem von Gott gebilligten
Krieg vergeben worden waren. Trotzdem müssen die Kreuzfahrer in Bezug auf die
Wirksamkeit dieser Absolution gewisse Zweifel gehegt haben; denn es wurden
regelmäßig Rituale gefeiert, welche die Kämpfer von der Rechtmäßigkeit ihrer
Sache überzeugen sollten. Überdies zeigt die große Zahl der Predigten, die eine
rechtschaffene Lebensführung propagieren, dass sich gewöhnliche Soldaten nicht
sicher waren, ob die Absolution auch die Sünden einschloss, die sie vielleicht
im Laufe des Feldzugs begehen würden. Die Rolle der Heiligen als göttliche
Vermittler blieb ein wichtiger Faktor und volkstümliche Priester behaupteten
oft, sie hätten Visionen von himmlischem Kriegsvolk gesehen, das von Heiligen
und Engeln angeführt worden sei.
Das fünfte Kapitel handelt von den Kriegen,
die sich im 12. und frühen 13. Jahrhundert zwischen den christlichen Völkern
Europas abspielten. Wie zu erwarten war, zeigt sich zu dieser Zeit seitens der
Bischöfe eine zunehmende Tendenz, kriegerische Handlungen zwischen Christen zu
rechtfertigen. Dabei ist wohl am auffälligsten, dass die Bischöfe nicht nur
bereit waren, die gegenseitige Schlächterei innerhalb des Christentums zu
rechtfertigen, sondern sogar Sünden zu vergeben in Fällen, in denen Christen so
genannte ‚schlechte‘ Christen umbrachten. Trotzdem wurde den Soldaten weiterhin
gepredigt, dass ihre Erlösung letztlich von ihrer persönlichen Lebensführung
als Krieger abhängig sei. In dieser Zeitperiode veränderte sich die Rolle der
Religion bei der Kriegführung entscheidend. Immer häufiger versprach man den
Soldaten, dass sie heilige Schutzpatrone ihrer Städte und Regionen in der
Schlacht behüten würden, und spezifische Heilige wurden in besonderen Zeremonien
angerufen, um die Zivilbevölkerung für militärisches Abenteuer innerhalb
Europas zu gewinnen.
Bachrach, der sich selbst als Historiker
der Religionsgeschichte sieht, wirft mit seiner Arbeit neuartige Fragen der
mittelalterlichen Religiosität auf. Obwohl in den letzten Jahren verschiedene
Bücher über das religiöse Leben im Mittelalter veröffentlicht worden sind, ist
dies die erste Studie, welche diese Problematik mit dem Militär in Verbindung
bringt und das Thema chronologisch und geografisch auf breiter Basis
verarbeitet. Natürlich gibt es klassische Werke über die Idee des gerechten
Krieges, über den Kreuzzugsgedanken und über die Ausbildung des Kirchenrechts
im Zeitalter der Kreuzzüge; diese Darstellungen betrachten jedoch den Krieg und
damit verwandte Angelegenheiten vom Standpunkt der gesellschaftlichen Elite,
also von oben nach unten. Bachrach dagegen untersucht die Rolle der Religion in
der Kriegführung aus dem Gesichtswinkel der untersten Schichten, also von unten
nach oben. Vor allem zeigt der Verfasser überzeugend, wie viel Mühe für die
Seelsorge der gewöhnlichen Soldaten aufgewendet und was für eine komplizierte,
geistliche Infrastruktur benötigt wurde, um diese Aufgabe zu erfüllen.
Natürlich ist sich Bachrach bewusst, dass dieses Thema noch lange nicht
ausgeschöpft ist und dass weitere Untersuchungen folgen müssen. Manche Gelehrte
werden sich wahrscheinlich fragen, warum die Studie gerade mit dem Jahr 1215
endet, kurz nachdem die Schlacht von Los Navos de Tolosa den spanischen Conquistadores neue Möglichkeiten
eröffnet hatte, und wenig bevor der misslungene fünfte Kreuzzug die
Schwierigkeiten in der Levante in ein neues Licht rückte. Auch brachte das 13.
Jahrhundert neue Kreuzzüge im Baltikum und gegen die ketzerischen Bewegungen in
Europa. Wie diese Entwicklung die Einstellung gegenüber Krieg und Religion
beeinflusste, wäre zweifellos ein dankbares Thema für zukünftige Studien.
München Charles R. Bowlus