Arnswaldt, Wolf Christian von, Savigny als Strafrechtspraktiker.
Ministerium für die Gesetzrevision (1842-1848) (= Juristische Zeitgeschichte
7). Nomos, Baden-Baden 2003. XIII, 330 S.
Ausgangspunkt der Arbeit ist eine oft
zitierte Passage in Adolf Stölzels zweibändiger Geschichte von „Brandenburg-Preußens
Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung“. Als Stölzel bei der Darstellung der
Revision der Kriminalgesetzgebung der 1840er Jahre gehalten war, auch die
Tätigkeit des damaligen Justizministers Friedrich Carl von Savigny zu beurteilen,
kam es zu einem Gedankenaustausch mit dem Zeitzeugen Heinrich von Friedberg.
Friedberg war seinerseits an den Gesetzgebungsarbeiten beteiligt gewesen und
konnte daher wertvolle Hinweise geben. Im Ergebnis beurteilte Stölzel die
Tätigkeit Savignys negativ. Savigny habe die Dynamik des Praktikers gefehlt,
die notwendig gewesen wäre, um die Revisionsarbeiten zügig voranzubringen.[1]
Stölzels Buch, zwar recht unübersichtlich geschrieben, aber faktengesättigt und
aktenbasiert, fand wohlwollende Aufnahme. Viele übernahmen seine Einschätzung.
Die Darstellung Stölzels stieß aber auch
auf Kritik. Das ist zunächst nicht verwunderlich. Schließlich ging es um Savigny,
nicht um irgendeinen anderen der teilweise heute schon vergessenen preußischen
Justizminister. Sollte Savigny als Praktiker tatsächlich ein Versager gewesen
sein? Immerhin konnte die Kritik auf ein nicht unwichtiges Detail verweisen.
Friedberg war zur Zeit der Abfassung von Stölzels Werk preußischer Justizminister
(1879-1889), Stölzel war sein Untergebener. Und Friedberg war in den 1840er
nicht passiver Zeitzeuge gewesen, sondern hatte selbst maßgebliche
Gesetzentwürfe gefertigt – aber nicht im Auftrag Savignys, sondern als
Mitarbeiter des Justizverwaltungsministers Uhden, der nachweislich in
Konkurrenz zu Savigny stand. Allerdings reicht allein die Kenntnis dieses Umstandes
nicht aus, um Stölzels Darstellung zu wiederlegen, gar das Gegenteil zu behaupten.
Die Dissertation knüpft genau hieran an.
Ist Stölzels Darstellung revisionsbedürftig? Wie ist Savignys Ministerzeit zu
beurteilen? Beschränkt wird die Fragestellung auf Savignys Beteiligung an der
Reform der Strafgesetzgebung. Untersucht werden die im Geheimen Staatsarchiv
Berlin Dahlem vorhandenen Bestände.
Zur Verdeutlichung der Ausgangslage ist
auf Folgendes hinzuweisen. Sowohl der strafrechtliche Teil des Allgemeinen
Landrechts von 1794 als auch die Kriminalordnung von 1805 erschienen bereits
nach kurzer Zeit revisionsbedürftig. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts
wurden regierungsintern die ersten Reformforderungen erhoben, Mitte der 1820er
Jahre erschienen die ersten Entwürfe. Bei der Revision des Strafrechts waren
besondere Umstände zu berücksichtigen. Erstens: Materielles und prozessuales
Strafrecht waren (auch wegen der politischen Implikationen) einer besonders
sensiblen öffentlichen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Sie standen unter
Reformdruck. Spätestens in den 1840er Jahren hatte sich in der
(veröffentlichten) Öffentlichkeit die Forderung nach Einführung des mündlichen
und öffentlichen Anklageverfahrens durchgesetzt. Und zweitens: Im Strafrecht
gab es keine preußische Rechtseinheit. In den Rheinlanden galten code pénal und
code d’instruction criminelle. Auch die Stimmung der Rheinländer musste also
berücksichtigt werden.
Am Ende der Gesetzgebungsarbeiten – wenn
auch von den seit 1848/49 veränderten politischen Rahmenbedingungen noch einmal
maßgebliche Änderungsimpulse ausgingen – standen für Preußen ein neues
Prozessrecht, die Verordnung vom 3. Januar 1849 und das Strafgesetzbuch von
1851. Diese Gesetze prägten die weitere Entwicklung wesentlich, auf sie gehen
letztendlich das geltende Strafgesetzbuch und die geltende Strafprozessordnung
zurück. Die neuen Gesetze ergingen nicht mehr in Savignys Ministerzeit
(1842-1848), während seiner Amtsinhaberschaft wurden aber wesentliche
Vorarbeiten geleistet.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich,
dass Arnswaldt sich nicht jenen Autoren zuordnen lässt, die angeblich jeden
„von Savigny beschriebenen Bierdeckel einer andachtsvollen Interpretation“[2]
unterziehen. Es geht ihm vielmehr darum, welche Rolle einer der bedeutendsten
deutschen Rechtswissenschaftler als Verantwortlicher für die Strafrechtsrevision
in einer der arbeitsreichsten Perioden der preußischen
Strafgesetzgebungsgeschichte gespielt hat.[3]
Arnswaldt gibt zunächst einen Überblick
über den Verlauf der Strafrechtsrevision. Anschließend folgt eine auf die
bisherige Sekundärliteratur gestützte biographische Darstellung, die zwar
keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den eigenen Fragestellungen und
Recherchen des Autors erkennen lässt, einem bisher weniger informierten Leser
jedoch die Person Savignys hinsichtlich der biographischen Eckdaten näher
bringt. Die eigentliche Untersuchung schließt sich daran an.
Zunächst
arbeitet Arnswaldt Faktoren heraus, die für den bisher schleppenden Gang
der Revisionsarbeiten zumindest mitverantwortlich waren: unklare
Abstimmungsverhältnisse zwischen der Gesetzgebungskommission, dem
Staatsministerium und dem Staatsrat, das Nebeneinander zweier Justizministerien
(das Justizverwaltungsministerium unter Mühler, später unter Uhden, und das von
Savigny seit 1842 geleitete Gesetzgebungsministerium) und schließlich auch die
unberechenbare Haltung Friedrich Wilhelms IV. Sodann räumt Arnswaldt ein mögliches
Missverständnis aus. Wer oberflächlich von Savignys Schrift „Vom Beruf unserer
Zeit“ ausgeht, könnte eine ablehnende Haltung gegenüber jedweden umfassenden
Gesetzgebungsbemühungen vermuten. Arnswaldt weist anhand zahlreicher
Belegstellen nach, dass Savigny eine neue Kriminalgesetzgebung durchaus
bejahte, vor allem, weil er sie für politisch notwendig hielt.
Auch dem oft kolportierten Urteil,
Savigny habe als Minister zielgerichtetes und ergebnisorientiertes Handeln
vermissen lassen, kann Arnswaldt überzeugend begegnen. In seinem
Ministerprogramm benannte Savigny die zu bearbeitenden Materien und
unterbreitete Vorschläge zur Straffung des Verfahrens. Will man seine
Konzeption auf einen Nenner bringen, so lässt sich formulieren, dass Savigny
mitentscheidende durch beratende Kollegialität ersetzen wollte.
Meinungsverschiedenheiten sollten nicht den Verfahrensgang hemmen, indem sie
Beschlüsse verhinderten, sondern schon im Vorfeld ausgetragen werden. Den
zentralen Platz sah Savigny in der Gesetzgebungskommission, in der die Probleme
ausdiskutiert werden, er aber das Letztentscheidungsrecht haben sollte. Der
Beschleunigung sollte auch die Verringerung der Anzahl der beteiligten Gremien
dienen. Die Einholung externer Stellungnahmen sollte auf bestimmte Fragestellungen
begrenzt werden. Es war also nicht beabsichtigt, grundsätzliche
Meinungsäußerungen zu sammeln, sondern gezielt fremden Sachverstand zu nutzen.
Arnswaldt kann plausibel machen, dass Savigny klare Vorstellungen von einem
Wissens- und Entscheidungsmanagement hatte, mit dessen Hilfe er zügig und
zugleich gründlich die immensen Aufgaben zu bewältigen hoffte.
Noch einige andere Züge der von Savigny
bevorzugten Arbeitsweise stellt Arnswaldt heraus. Einmal entschiedene Fragen
sollten nicht noch einmal diskutiert werden. Mündliche Beratung sollte dem
Ärgernis hin und her wandernder Vota begegnen. Kurze Briefings dienten der
gründlichen Vorbereitung von Verhandlungen.
Damit ist aber erst einmal nur
festgestellt, dass Savigny sich von bestimmten Vorstellungen leiten ließ und in
seinem Ministerium einen bestimmten Arbeitsstil pflegte. Dass er sich damit
auch über seinen eigenen Ressortbereich hinaus durchsetzte und die
Gesetzgebungsarbeiten nach seinen Leitlinien steuerte, ist mit diesem Befund
hingegen noch nicht belegt. Arnswaldt wendet sich dieser Frage daher in einem
zweiten Schritt zu.
Hier ist die Bilanz durchaus gemischt.
Einige Erfolge konnte Savigny, z. B. hinsichtlich der Vereinfachung des
Gesetzgebungsverfahrens, durchaus erzielen. Auch überzeugt Arnswaldts
Darstellung von der bis zu seinem Amtsende federführenden Rolle Savignys bei
der Reform des materiellen Strafrechts. Die besondere Aufmerksamkeit Arnswaldts
gilt jedoch, der Entstehung des Gesetzes vom 17. Juli 1846, mit dem für die
Berliner Gerichte ein teilweise reformiertes Strafverfahren eingeführt wurde.
Dafür sprechen gute Gründe. Gerade das Zustandekommen dieses Gesetzes diente
Stölzel als Beleg für Savignys fehlende Durchsetzungsfähigkeit. Dramatisch und
eingängig zugleich hat Stölzel geschildert, wie der Entwurf dieses Gesetzes im
Justizverwaltungsministerium (Verfasser: Friedberg) entstand und an Savigny
vorbei in die Gremien eingebracht wurde. Savigny habe zwar in fieberhafter Eile
versucht, seine eigenen Vorstellungen, die „Prinzipienfragen“, in die
Beratungen einzubringen, diese hätten aber schon aus zeitlichen Gründen keine
ausreichende Berücksichtigung finden können. Arnswaldt vermag dieses Bild an
einigen Stellen zu korrigieren. Den Beweis für die Behauptung, Savigny sei der
„eigentliche Schöpfer“ des Gesetzes (S. 315), kann er jedoch nicht erbringen.
Hierzu hätte es auch des Nachweises bedurft, dass Savignys „Prinzipienfragen“
den letztendlichen Gesetzestext, gegebenenfalls abweichend vom Friedbergschen
Entwurf, inhaltlich prägten. Schon eine Stichprobe weckt Zweifel. So hatte
Friedberg zwar ursprünglich vorgesehen, der einzuführenden Staatsanwaltschaft
ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Polizei zu verleihen, und dieser
Passus wurde anschließend gestrichen. Diese Änderung beruhte aber nicht auf der
Berücksichtigung der „Denkschrift“ Savignys. Dieser hatte sich zu dem – schon
in früheren Beratungen heiß umstrittenen - Punkt gar nicht geäußert.[4]
Vielmehr ist zu vermuten, dass das Votum des Innenressorts, das eine Unterstellung
der Polizei unter die Justiz ablehnte, hierfür den Ausschlag gab.
Festzuhalten ist, dass die Frage, in
welchem Maße Savigny inhaltlich
auf die Gesetzesrevision Einfluss genommen hat, noch weiterer Untersuchung
bedarf. Endgültig dürfte Arnswaldt aber das Vorurteil aus dem Weg geräumt
haben, dass Savigny ein unentschlossener, weltabgewandter, praktischen
Erfordernissen unzugänglicher Minister war. Überzeugend vorgeführt wird
vielmehr ein entschlossener Manager, der effizientere Verfahrensweisen anregte
und sich hiermit teilweise auch durchsetzte. Zu diesen Einsichten gelangt
Arnswaldt, weil er sich die Mühe macht, sich auf die anscheinend langweilige
Thematik der Organisation des internen Geschäftsbetriebes der
Strafrechtsrevision einzulassen. Damit ermöglicht er dem Leser gleichzeitig
einen aufschlussreichen Blick in die Werkstatt preußischer Gesetzgebung. Und
indem er die Rezeption der Stölzelschen Darstellung penibel nachvollzieht,
schreibt er nebenher auch ein interessantes kleines Stück Wissenschaftsgeschichte
– wie Zitierkartelle entstehen und selbstreferentielle Prozesse ablaufen.
Kritisch anzufügen bleibt, dass ein
gelegentlich sperriger Ausdruck und so manche Redundanz das Lesevergnügen doch
hin und wieder trüben. Bedauerlich ist auch der weitgehende Verzicht auf
zeitgenössische Literatur. Vor allem das Kapitel zu Savignys Verhältnis zur
öffentlichen Meinung hätte doch erheblich gewonnen, wenn Arnswaldt die
Reformliteratur in die Darstellung einbezogen hätte. So harrt die Frage, welche
Impulse von Autoren wie Mittermaier, Abegg, Zachariae, Noellner und anderen
ausgingen, oder anders herum, inwiefern sich die Ministerialbürokratie von der
Reformdiskussion überhaupt beeindrucken ließ, noch der Beantwortung. Hierdurch
wird aber nicht das Verdienst des Autors geschmälert, eine wichtigen Beitrag
zur Reform des Strafrechts im 19. Jahrhundert und zur Person Savignys geliefert
zu haben. Eine weitere Lücke ist geschlossen worden.
Greifswald Peter Collin
[1] Adolf Stölzel, Brandenburg-Preußens
Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung, Bd. 2, 1888, S. 583 ff.
[2] Regina Ogorek, Rechtsgeschichte
in der Bundesrepublik (1945-1990), in: Dieter Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft
in der Bonner Republik, 1994, S. 12-99, 90, Fn. 247.
[3] Der Titel der Arbeit („Savigny als
Strafrechtspraktiker“) verleitet allerdings (trotz des präzisierenden
Untertitels) zu Missverständnissen. „Strafrechtspraxis“ wird eher verstanden
als die polizeiliche, staatsanwaltliche und richterliche strafverfolgende
Tätigkeit. Von daher hätte man Savigny eher in einer solchen Rolle vermutet.
Darum gerade geht es der Arbeit jedoch nicht.
[4] Die Prinzipienfragen in Bezug auf eine
neue Strafprozessordnung, 1846, S. 46: „ist hier nicht zu untersuchen“.