Wilms, Heinrich, Ausländische Einwirkungen auf die
Entstehung des Grundgesetzes. Kohlhammer, Stuttgart 1999. 341 S.
Ausländische Einwirkungen auf die
Entstehung des Grundgesetzes – Dokumente - , hg. v. Wilms, Heinrich.
Kohlhammer, Stuttgart 2003 XXII, 451 S.
Antrieb für diese Darstellung ist die
durch den selbst formulierten Widerspruch des Autors kaum noch überzeugende
Annahme, dass trotz „unbezweifelbarer Akzeptanz“ die Legitimität des
Grundgesetzes „immer wieder in Frage gestellt“ werde! Mit der fraglichen
Legitimität ist der Vorwurf gemeint, dass es sich bei dieser Verfassung um kein
„eigenständiges Werk“, sondern um „einen Oktroi der Alliierten“ handle.
Teil A der Monografie, der die Haltung
der Alliierten zur Weststaatsgründung bis zu den Frankfurter Dokumenten vom
Sommer 1948 beschreibt, bringt kaum etwas zum Thema und nichts, was nicht schon
an anderer Stelle besser gesagt worden wäre. Die Frankfurter Dokumente
enthalten die Essentialia der Alliierten für die westdeutsche
Verfassungsgebung. Da diese nicht verhandelbar waren, liegt hier die
intensivste Form der Einwirkung vor. Dennoch werden ihrer Übergabe an die die
westdeutschen Ministerpräsidenten und deren Ringen mit den Militärgouverneuren
um ihre Annahme in Teil B nur 10 Seiten gewidmet. Auf diesen kann kaum mehr als
Vages und Allgemeines gesagt werden.
Mit Teil C, in dem die Einflüsse
ausländischen und internationalen Rechts auf die Verhandlungen in
Herrenchiemsee und die des Parlamentarischen Rats dargestellt werden, kommt der
Verfasser zum Hauptteil, in dem eine seiner Methoden und deren Problematik
deutlich wird. Denn diese Einflüsse werden überall dort konstatiert, wo in den
Verhandlungen auf ausländische Verfassungen, ausländisches oder internationales
Recht Bezug genommen wird. Ein solcher Begriff von „Einfluss“ und „Einwirkung“
greift zu kurz und ist letztlich banal. Und so ist dieser Teil nicht mehr als
Zettelkastenfleißarbeit. Ohne Vertiefung und Zusammenhang werden für die Tagung
von Herrenchiemseee und die Sitzungen des Parlamentarischen Rats die
entsprechenden Nachweise für die Staatsorgane, die Grundrechte, die
Finanzverfassung u. s. w. in Häppchen von meist einer halben bis zwei Seiten
aneinandergereiht. Von der Genese der Ausführungen, von den Motiven und den
Gründen dafür erfährt der Leser nichts. Dafür aber viel Überflüssiges und
längst Bekanntes wie den Gang der Beratungen und die Zusammensetzung der
zahlreichen Ausschüsse.
Dass der methodische Kurzschluss, von der
Erwähnung und Zitation schon auf „Einfluss“ zu schließen, fast zwangsläufig zu
Oberflächlichem und schiefen Aussagen führen muss, wird an der Bewertung des
ausländischen Einflusses auf die Grundrechte sichtbar. Obwohl in der
Darstellung der Grundrechtsberatungen nicht gerade viele Bemerkungen der
Experten und später der Abgeordneten zu ausländischen Vorbildern gemacht
werden, kommt Wilms auf S. 188 zu dem sprachlich und logisch gleichermaßen
verqueren Urteil: „In bezug auf die Grundrechte war der Einfluß des
angelsächsischen Rechtsdenkens auf den Herrenchiemseer Verfassungsentwurf
besonders groß, da man in diesem Rechtskreis davon ausging, daß eine Verfassung
ohne Grundrechtskatalog schlechterdings kein Verfassungsgesetz darstellen
könne.“ Nun kann der Einfluss des angelsächsischen Rechtsdenkens auf die
Grundrechte sowohl in Herrenchiemsee als auch in Bonn nicht besonders groß
gewesen sein, da ein Großteil der Grundrechte, einige sogar wörtlich, aus der
Weimarer Reichsverfassung bzw. der Paulskirchen-Verfassung von 1849 übernommen
wurde.
Im Teil D, der das Ringen zwischen dem
Parlamentarischen Rat und den Militärgouverneuren um die Durchsetzung von deren
Vorstellungen, vor allem hinsichtlich der Schwächung der Bundesexekutive,
zwischen November 1948 und Mai 1949 behandelt, kommt die zweite Methode zum
Tragen. Sie besteht darin, den alliierten Einwirkungen und Einflüssen in diesen
Verhandlungen nachzuspüren. Da sich dieser Teil auf die Interaktionen und die
dabei entstandenen oder ausgetauschten Schriftstücke konzentriert, führt auch
er kaum weiter. Dafür wäre mehr nötig gewesen, nämlich die Untersuchung der
alliierten Willensbildung in Deutschland und in den alliierten Hauptstädten. Da
darüber hinaus nie ein Blick auf die Lage außerhalb der unmittelbaren Gespräche
auf die Lage in Deutschland und der Welt geworfen wird, bleiben gerade die
Vorgänge dieser Monate unverständlich.
Der Vergleich von Teil C mit Teil D macht
deutlich, wie wichtig es gewesen wäre konsequenter zwischen der Beeinflussung
der Grundgesetz-Beratungen durch ausländische Vorbilder, die von den Deutschen
meist von sich aus übernommen wurden, und den überwiegend politisch motivierten
Einwirkungen der alliierten Militärgouverneure und Regierungen, die teils auf
heftigen Widerstand stießen, zu unterscheiden.
Das wenig überraschende Ergebnis der
Studie, lautet, dass das Grundgesetz eine eigenständige deutsche Leistung sei,
verwurzelt allerdings in der westeuropäischen Demokratie-Tradition. Dort, wo
gegensätzliche Auffassungen vorhanden gewesen seien (v. a. öffentliche
Bedienstete, Länderneugliederung, Finanzverfassung) sei es zu Kompromissen
gekommen oder habe sich eher die deutsche als die alliierte Seite durchgesetzt.
Obwohl gerade dies erstaunlich ist, wird dafür keine Erklärung gesucht.
Das gesamte Buch durchziehen
Unzulänglichkeiten, die in einem Werk von solchem Anspruch nicht vorkommen
dürften.
Der Verfasser hat die ärgerliche Neigung,
den Text unnötig aufzuschwemmen. Das beginnt damit, dass viele Literaturtitel
immer wieder in voller Länge zitiert werden. Öfters kommt es vor, dass dasselbe
Literaturverzeichnis zu einem Paragrafen wenige Seiten später nochmals vor dem
folgenden Paragrafen abgedruckt wird. Banale Fakten werden mit einer Handvoll
von nicht selten beliebigen und willkürlichen Titeln belegt, die immer
wiederkehren. Quellen werden gerne seitenlang zitiert, gleichgültig ob sie
schon gedruckt worden sind oder nicht. Kapitel XI von Teil D ist ein einziges
Zitat von 6 Seiten! Das Ergebnis der Studie wird vier Mal zusammengefasst, ohne
dass einsichtig würde warum.
Paragraph 1 des ersten Kapitels von Teil
D besteht aus nichts anderem als dem wortgetreuen Wiedergabe des Memorandums
der Militärgouverneure vom 22. November 1948. Im folgenden Paragraphen 2 wird
lediglich die Stellungnahme des parlamentarischen Rates zu diesem Memorandum
paraphrasiert - alles Quellen, die dann nochmals in der Dokumentensammlung
abgedruckt werden. Diese Art der engen Nacherzählung der Quellen, denen
gegenüber jegliche Eigenständigkeit fehlt, so dass Gründe und Motive für die
jeweiligen Handlungen oder Reflexion und Bewertung auf der Strecke bleiben,
durchziehen große Teile des Buches.
Unübersehbare Probleme hat der Verfasser
auch mit der sprachlichen Bewältigung seines Stoffes. Dafür zwei Beispiele. Auf
der Seite 204 steht der Satz: Die amerikanische Verfassung „beinhaltet, daß
gerade auf dem Gebiet der Gesetzgebung, insbesondere auf dem Gebiet des
bürgerlichen Rechtes, des Strafrechtes, des Arbeitsrechts, der Erhebung von
Steuern etc., den Ländern das Gesetzgebungsrecht zugebilligt wird.“ 1. ist die
Aussage „eine Verfassung beinhaltet“ stilistisch ebenso schwer verdaulich wie
die nichts sagende Phrase „Gebiet“. 2. wird die tautologische Aussage gemacht,
dass „gerade auf dem Gebiet der Gesetzgebung... den Ländern das
Gesetzgebungsrecht zugebilligt wird“! 3. gibt es in Amerika keine Länder,
sondern Staaten. 4. ist diese Aussage zudem teils sachlich falsch, da der Bund
nach Artikel I, Absatz 8 durchaus das Recht zur Erhebung von Steuern hat und
streng genommen auch begrenzte Gesetzgebungskompetenzen im Zivil- und
Strafrecht.
Es folgt der Satz: „Da nach
amerikanischem Verständnis die Bundesgesetzgebungskompetenz zugleich die
Kompetenz zum Vollzug seiner Gesetze durch bundeseigene Behörden umfaßt, mußte
dies zunächst bei den Amerikanern zu dem Mißverständnis geführt haben, daß die
Befugnisse des Bundes gegenüber den Ländern völlig überwiegen.“ Dieser Satz
zeichnet sich durch zwei grammatische Schnitzer aus. Zum einen bezieht sich das
männliche Adjektiv „seiner“ auf das weibliche Substantiv und Wortungetüm
„Bundesgesetzgebungskompetenz“; zum anderen wird in dem Nebensatz, der mit
„mußte“ eingeleitet wird, ein Sachverhalt ins Vorzeitige verlegt, der überhaupt
nicht vorzeitig sein kann. Drittens ist die Wendung, „daß die Befugnisse des
Bundes gegenüber den Ländern völlig überwiegen“ stilistisch verunglückt;
eigentlich müsste es heißen, dass die Befugnisse des Bundes gegenüber denen der
Länder völlig überwiegen.
Die Selbsteinschätzung des Autors, an
vielen Stellen Neuland betreten zu haben, konnte nur entstehen, weil er in
beträchtlichem Umfang die historische (weniger die juristische) Forschung
ignoriert hat. Im selben Umfang werden Quellensammlungen vernachlässigt. Wenn
sie herangezogen werden, dann oft mehr die Einleitungen als die Dokumente
selbst.
Die Behauptung, dass die „meisten
Dokumente des Parlamentarischen Rates bislang nicht veröffentlicht worden sind,
ist für das Jahr 1996, in dem das Manuskript abgeschlossen worden ist, kühn.
Das mag rein quantitativ zutreffen, doch hinsichtlich der Bedeutung der
veröffentlichten Dokumente gilt dies keinesfalls. Lagen doch bis dahin - um nur
die wichtigsten zu nennen - die Protokolle des Plenums und des Hauptausschusses
von 1948 / 49, die „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“,
die Sammlung zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Artikel des Grundgesetzes
von Doemming u. a., die entsprechenden Bände der amerikanischen Quellensammlung
der Foreign Relations und immerhin bereits neun Bände der umfassenden wissenschaftlichen
Edition der Akten und Protokolle des Parlamentarischen Rates durch den Bundestag
und das Bundesarchiv vor.
In gleicher Weise befremdet auch die
Aussage, dass vom Einfluss der Militärgouverneure so gut wie nichts bekannt
sei. Gibt es doch keine der zahlreichen Darstellungen zur Entstehung des
Grundgesetzes, die nicht auf diesen Komplex eingeht und liegen dazu zahlreiche
veröffentlichte Quellen vor, im 8. Band der Akten und Protokolle zum
Parlamentarischen Rat sogar eine Spezialveröffentlichung nur zu den Beziehungen
zwischen Parlamentarischem Rat und den Militärgouverneuren. Dazu kommen noch
die zahlreichen Biografien und Memoiren der Beteiligten.
Die Sammlung von Dokumenten, welche die
Darstellung ergänzt, erfüllt die Mindeststandards einer wissenschaftlichen
Edition nicht. Der Benutzer wird zunächst mit keinem Wort über den Bestand
informiert, aus dem die Quellen stammen. Aus dem Abdruck ist dann zu entnehmen,
dass die meisten im Büro der Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen
erstellt wurden. Obwohl nicht wenige Dokumente im Original korrigiert und
überarbeitet worden sind, fehlen philologische wie sachliche Anmerkungen;
Auszüge und Teilabdrucke sind nicht als solche gekennzeichnet. Bei manchen
Dokumenten ist nicht zu ermitteln von wem und für wen sie verfasst wurden. Ein
Register fehlt. Der Herausgeber kann für sich in Anspruch nehmen, dass er eine
Anzahl neuer und interessanter Quellen zum Thema präsentiert. Nicht mehr
hinzunehmen ist aber, dass er versucht, den Eindruck zu erwecken, dass sie alle
neu seien. Obwohl ein beträchtlicher Teil bereits in anderen Quellensammlungen
veröffentlicht wurde, wird dies verschwiegen.
Eichstätt Karsten
Ruppert