Wienfort, Monika, Patrimonialgerichte in Preußen. Ländliche
Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770-1848/49 (= Kritische Studien zur
Geschichtswissenschaft 148). Vandenhoeck &
Ruprecht, Göttingen 2001. 404 S.
In
ihrer Bielefelder geschichtswissenschaftlichen Habilitationsschrift untersucht Monika
Wienfort die Patrimonialgerichtsbarkeit in
Preußen, vor allem in Schlesien, Brandenburg und Sachsen, vom ausgehenden 18.
Jahrhundert bis zu ihrer Abschaffung 1849. Bis dahin scheiterten Versuche, sie
zu beseitigen, am Widerstand der meisten Gerichtsherren und des
Innenministeriums, das die ständischen Strukturen bewahren wollte. Nach 1810
dominierte die „bürgerliche“ Sicht der Patrimonialjustiz
als privatrechtlichem Eigentum. So blieb dem Justizministerium nur die
schrittweise Reform durch Einzelverordnungen und die Einflussnahme vor allem
über die Richter: durch die Einführung einer obergerichtlichen Approbation für
Justiziare, die Durchsetzung ihrer Unkündbarkeit, um deren persönliche
Abhängigkeit vom Gerichtsinhaber zu mindern, ihre Besoldung mittels eines
festen Gehalts anstelle des Bezugs der Sporteln sowie
die Abschaffung der Kammerjustiz und die Eingliederung in den Instanzenzug.
Bestrebungen, die kleinen Gerichtsbezirke zu Kreisen zusammenzufassen,
misslangen hingegen. 1842 beendete König Friedrich Wilhelm IV. aufgrund der
Intervention des Innenministeriums auch die Möglichkeit, Gerichtsrechte auf
königliche Gerichte zu übertragen; der Innenminister „verfolgte konsequent eine
Politik der Revitalisierung des ständischen Prinzips“ (S. 138). Auch für den
Vorabend der Revolution schätzt Wienfort die Zahl der privaten Gerichtsbezirke
in Preußen noch auf etwa 6000. Im Gegensatz zu anderen deutschen Staaten war eine
„quantitative Zurückdrängung“ nicht gelungen (S. 117). Doch die Häufigkeit von
Justizvisitationen nahm ab den 1830er Jahren zu. Im 18. Jahrhundert waren vor
allem die großen Gerichte kontrolliert worden; doch seit 1815 sahen sich alle Gutsbezirke hinsichtlich ihrer Justiz den Pressionen des
Staates ausgesetzt.
In
ökonomischer Hinsicht erwirtschafteten die meisten Privatgerichte einen
geringen Überschuss. Um ein „kostspieliges Ehrenrecht“ handelte es sich hierbei
also nicht (S. 202). Dennoch war die Rechtsprechung für die
Gerichtseingesessenen verglichen mit staatlichen Gerichten eher
kostengünstiger. Dafür verfügte der Gerichtsherr umgekehrt über die
Möglichkeit, Forderungen gegenüber den Eingesessenen unverzüglich vollstrecken
zu lassen und hatte damit ein wichtiges Zwangsmittel in der Hand.
Über
strafrechtliche Kompetenzen verfügten die Gerichte am Ende des 18. Jahrhunderts
nur noch östlich der Elbe mit Ausnahme Ostpreußens. Aber auch hier dienten sie
nicht vorrangig der Sozialdisziplinierung. Meist dominierten Geldstrafen.
Wienfort wendet sich somit ausdrücklich gegen die Positionen Nipperdeys und Wehlers, die in der Privatjustiz ein
Modernisierungshindernis erblicken, und die Auffassung, die Souveränität des
Staates habe „vor dem Gut Halt gemacht“ (S. 353). Sie fordert eine
„mehrdimensionale Sicht“ auf das Problem und eine sozialgeschichtliche
Erweiterung der Perspektive (S. 354). 1849 kam „die Staatsbildung im
Justizbereich [...] einen entscheidenden Schritt voran (S. 336). Doch personell
sticht die Kontinuität ins Auge. Trotz der Reduktion der Bezirke auf etwa 230
wurden viele der früheren Justiziare als Richter benötigt und in den
Staatsdienst übernommen. Umgekehrt waren auch zuvor schon viele private
Gerichtsbezirke von königlichen Richtern nebenamtlich mitverwaltet worden. Nur
gut die Hälfte der 970 an preußischen Patrimonialgerichten
tätigen Juristen hatte ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit der Verwaltung
von einem oder mehreren Justiziariaten verdient.
Nach
1850 herrschte in der Bevölkerung einerseits Zufriedenheit wegen der
Abschaffung der Laudemien und Schutzgelder;
andererseits dauerten Beschwerden über den neuen Zuschnitt der Gerichtsbezirke
an. Auch schneller und kostengünstiger wurde die Justiz nicht.
Insgesamt
deckt die Autorin einen sich während der gesamten ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts vollziehenden Wandlungsprozess auf. Von einer revolutionären
Umwälzung könne man 1849 hinsichtlich der Privatjustiz nicht sprechen. Wichtige
Veränderungen vollzogen sich bereits vor der Revolution: eine „Verstetigung,
die Bürokratisierung und der wachsende Einfluß des
Staates auf die Patrimonialgerichte“ (S. 361), der
Wandel der Gerichte von Instrumenten gutsherrlicher Willkür zu modernen
Gerichten, Elemente, die Wienfort anhand vieler Details aufzeigt.