Wesener, Gunter, Österreichisches Privatrecht an der Universität Graz (= Geschichte der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, Teil 4 = Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 9/4). Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 2002. XIII, 118 S. 11 Abb.
Der von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz anlässlich ihres 200jährigen Bestehens einstimmig gefasste Beschluss, die eigene Geschichte in Monographien darzustellen, ist 1978 durch Gunter Wesener in einem ersten Schritt für das römische Recht und das Naturrecht verwirklicht worden. Dem sind bisher zwei weitere Bände gefolgt. Nach einer längeren Unterbrechung legt Gunter Wesener nun erfreulicherweise einen bis zur Teilung der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in eine rechtswissenschaftliche und eine sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät reichenden Band über das österreichische Privatrecht vor.
Er geht von den vielfältigen Beziehungen zwischen römischem Recht und privatem Recht an den Universitäten aus, an denen das ius Romanum als ius commune lange das ius civile schlechthin war. Erst mit dem Inkrafttreten des auf usus modernus pandectarum, naturrechtlichem Gedankengut und heimisch-deutschem Recht gegründeten Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs Österreichs wurden bekanntlich eigene Lehrkanzeln für österreichisches Privatrecht geschaffen. Auch danach wurde das österreichische Privatrecht als Folge der mit Josef Unger personalisierbaren Pandektisierung romanistisch beeinflusst, so dass eine Reihe von Grazer Gelehrten zugleich als hervorragende Romanisten und als ausgezeichnete Zivilisten wirken konnten.
Der Verfasser gliedert seine klare und flüssige Darstellung überzeugend in sechs Kapitel. Er beginnt mit der Gründung der Fakultät, die in den Anfängen lediglich zwei, an vorgeschriebene Lehrbücher gebundene und auf ein zweijähriges Kurzstudium ausgerichtete Lehrkanzeln (Digesten, ius criminale, praktische Einleitung einerseits, ius naturae, historia iuris civilis, Institutionen, ius publicum universale et gentium samt ius feudale andererseits) umfasste. Sein zweites Kapitel leitet er mit dem von der Zeiller’schen Studienreform ausgelösten Lehrplan vom 13. Juli 1810 ein, der die Geschichte zu Gunsten des neuen österreichischen Privatrechts zurückdrängte und das römische Recht folgerichtig nur noch als vorbereitendes Fach aufrechterhielt. Erster Inhaber der neu errichteten Lehrkanzel für österreichisches Privatrecht wurde der zuvor im Naturrecht und Kriminalrecht in Krakau tätige Karl Appeltauer (Wien 1767-Graz 1851), von dem „literarische Leistungen nicht gegeben sind“. Das dritte Kapitel nimmt seinen Ausgang von den seit 1857 wirksamen Reformen Graf Leo Thun-Hohensteins, die von der exegetischen Richtung zur historischen Schule führten. Die Zäsur für das vierte Kapitel bildet die juristische Studienordnung des Jahres 1893. Das 20. Jahrhundert ist dann durch die pragmatische Jurisprudenz Armin Ehrenzweigs (1864-1935) einerseits und das anschließende bewegliche System Walter Wilburgs andererseits geprägt, wobei das Jahr 1934 zur Grenze wird, in dem Ehrenzweig aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand trat und von Walter Wilburg zunächst supplierend vertreten wurde.
Jedes Kapitel eröffnet Gunter Wesener mit einer vorzüglichen Kurzcharakterisierung der epochemachenden Ereignisse. Danach werden die Lehrkanzelinhaber in Lebensdaten und wissenschaftlichem Werk sorgfältig erfasst. Ihnen werden die weiteren Lehrpersonen zur Seite gestellt.
An vielen Stellen geht der Verfasser dabei sensitiv auf allgemeinere Verbindungslinien ein. Auf diese Weise gelingt ihm eine vorzügliche Beschreibung der Geschichte des Privatrechts an der Grazer rechtswissenschaftlichen Fakultät bis zur bewusst ausgesparten unmittelbaren Gegenwart. Ein Verzeichnis der abgekürzten Literatur, ein Verzeichnis der ingesamt vielleicht 200 erfassten Personen sowie veranschaulichende Abbildungen Franz Ritter von Eggers, Sebastian Jenulls, Emil Strohals, Josef Freiherr von Scheys, Armin Ehrenzweigs, Artur Steinwenters, Walter Wilburgs, Josef Wegans sowie der Fakultät in den Jahren 1890, 1909 und 1975 runden den schönen, die Verdienste der Grazer rechtswissenschaftlichen Fakultät um das Privatrecht in das rechte Licht rückenden Band angenehm ab.
Innsbruck Gerhard
Köbler