Weis,
Monique, Les pays-bas espagnols et les états du saint empire
(1559-1579). Priorités et enjeux de la diplomatie en temps de troubles (=
Editions de L’Université de Bruxelles). Editions de l’Université de Bruxelles, Brüssel 2003. 388 S.
Wozu dient die Diplomatie in der Neuzeit? Was müsste ihr primäres Ziel sein? Sicherlich „gute Beziehungen“ zum Nachbarstaat - sei es Freund oder Feind - zu unterhalten.
Tatsächlich soll diese noch neue, mitten in der Renaissance nach florentinischem und venetianischem Muster entstandene Regierungskunst im Rahmen der Konstruktion moderner Staatsstrukturen in Europa mit ganz heterogenen, oft unvereinbaren Forderungen konfrontiert werden: Ideologie und Realpolitik, Religion und Staatsräson, Anspruch auf Hegemonie und Realität des Mächtegleichgewichts.
Diese Problematik bildet den Kern des Werks von Monique Weis, das man unbestritten der diplomatischen Geschichte zuschreiben kann. Die Autorin bekennt sich damit zu einer Art Historiographie - derjenigen der politischen und diplomatischen Beziehungen -, die vor allem in dem französischsprachigen Europa seit einiger Zeit wieder neu bewertet wird.
Ziel des Werkes ist es, die überaus reiche diplomatische Korrespondenz zwischen den Staaten des Römischen Reiches Deutscher Nation und den Generalgouverneuren der spanischen Niederlande in Brüssel zwischen 1559 und 1579 darzustellen.
Seit der Abdankung Karls V. im Jahr 1555 ist der spanische Zweig des Hauses Habsburg nicht mehr in Besitz der deutschen Kaiserkrone. Deswegen wird es für den noch jungen Sohn Karls V., den spanischen König Philipp II., um so notwendiger, durch eine intensive und dauernde diplomatische Aktivität eine klare Einsicht in die Ereignisse Deutschlands zu behalten. Diese Aktion wird - wie die Autorin darstellt - von Philipp II. aus praktischen Gründen (Nähe, besseres Know-how) bewusst von Madrid nach Brüssel delegiert. Die Generalgouverneure der pays-bas espagnols sollen seit Margarita von Parma durch die in Brüssel ansässige Secretairerie d'Etat allemande die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich im Namen des Madrider Hofs führen.
Die Jahre 1559 bis 1579 bilden aber für die seit 1555 direkt unter die Souveränität des spanischen Königs Philipp II. gefallenen, formell zugleich weiterhin zum Römischen Reich Deutscher Nation gehörenden niederländischen Territorien (die flächenmäßig grob den jetzigen Beneluxgebieten entsprechen) eine kritische Zeit. Es handelt sich um die zwanzig Jahre, die zum Ausbruch der dramatischen Revolte gegen die spanische Macht und damit zur endgültigen Zersplitterung dieser Gebiete und zur Entstehung der modernen Niederlande führen werden.
Während zweifellos ein reiches Schrifttum über die niederländische Revolte verfügbar ist, in dem unter anderem kürzlich das wichtige Element der geographisch bedingten inneren militärischen Zerbrechlichkeit der spanischen Macht hervorgehoben wird [1], so hat bisher eine umfassende Darstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen den spanischen Niederlanden und dem seit dem Augsburger Frieden von 1555 religiös zersplitterten Deutschen Reich fast vollständig gefehlt (einzige Ausnahme ist wohl ein kurzer Aufsatz von Volker Press[2]). Es ist somit das Verdienst von Monique Weis, diese Lücke in der Geschichtsschreibung über die zweite Hälfte der XVI. Jahrhunderts gefüllt zu haben.
Warum sollte das Verhältnis zum Deutschen Reich für die spanischen Niederlanden so wichtig sein?
Diese zentrale Problematik wird von der Autorin im ersten und zweiten Teil ihrer Monographie (S. 15-226) entwickelt. Wenn einerseits der sogenannte „burgundische Kreis“ dank des Augsburger Vertrags von 1548 noch integrierter Bestandteil des Reiches war, war er jedoch andererseits in vieler Hinsicht de facto unabhängig. Von deutscher Seite bei Reichstagen wiederholt zur Erfüllung ihrer (vor allen Dingen steuerlichen) Pflichten ermahnt, leisten die spanischen Niederlande oft spät oder gar nicht ihre Beiträge. Und jeder Einflussnahme in innere Angelegenheiten seiner pays-bas tritt Philipp II. entschlossen entgegen.
Doch wird die Unterhaltung enger Kontakte zu den deutschen Staaten für Spanien - durch den Generalgouverneur der spanischen Niederlande in Brüssel - politisch zur primären Aufgabe. Es geht nämlich darum, einen festen Fuß in Deutschland zu fassen und die habsburgische Dynastiesolidarität gegen Frankreich aufrecht wahren, die Anwerbung deutscher Söldner (der berühmten Landsknechte) überhaupt unter Kontrolle zu halten und zugunsten der spanischen Macht möglicherweise zu erleichtern, mit den einflussreichsten protestantischen Territorien zu verhandeln und den politischen Einfluss des Protestantismus zu begrenzen; letztlich gilt es, last but not least, strategisch den sich hauptsächlich in Deutschland befindenden camino español, auf dem die spanischen Truppen in die Niederlande gelangen konnten, frei und gefahrlos zu halten.
Deswegen entfaltet der sprachbegabte Urban Scharberger, raffinierter Diplomat und Vorsteher der Secretairerie d’Etat allemande in Brüssel, bis hin zu seinem Tode 1580 eine unermüdliche und ununterbrochene, aus zahllosen Korrespondenzen an die deutschen Fürsten bestehende, Spaniens politischen Interessens zweckdienliche diplomatische Tätigkeit im Dienst der Generalgouverneure. Nach Monique Weis ist Scharberger der Hauptdarsteller in einem „diplomatischen Dreiecks“, das von Madrid nach Brüssel in Richtung Deutschland aus- und zurückgeht.
Mit dem Ausbruch der niederländischen Revolte 1567 (dritter Teil, S. 227-363) erlangt dann nach M. Weis die Dimension der niederländisch-deutschen diplomatischen Beziehungen ihre volle Bedeutung, denn sie wird zu ideologischer Konfrontation: beide Gegner präsentieren ihren deutschen Empfängern ihre Thesen.
Der jetzt aufständische Wilhelm van Oranje, der künftige Statthalter der unabhängig gewordenen Vereinigten Provinzen, schildert die Revolte als eine naturrechtlich überaus legitime Reaktion gegen die politisch-religiöse Tyrannei Philipps des II. und des Herzogs von Alba. Von Brüssel aus verurteilt man ihn aber als Rechtsbrecher, der nicht nur vor den Katholiken, sondern auch in den Augen protestantischer Fürsten Abscheu erregen muss. Und von Deutschland kommen Aufforderungen meist protestantischer Fürsten, dem „deutschen Modell“ zu folgen: der religiöse (und politische) Frieden soll durch eine Ausdehnung der in Augsburg 1555 für das Reich festgesetzten Prinzipien (worunter auch das berühmte cuius regio, eius religio) auf die Niederlande wiedererreicht werden!
Am Anfang des Jahres 1579 ist die endgültige Trennung vollendet: angesichts der von den kalvinistischen Provinzen Holland, Seeland, Utrecht, Gelder (Gelderland, Geldern), Friesland und Groningen proklamierten Union von Utrecht bilden die unter spanischer Herrschaft gebliebenen südlichen Provinzen der pays-bas espagnols eine katholische „Union von Arras“. Das anfänglich gemäßigte Instrument der Diplomatie - so M. Weis - ist jetzt zu purer ideologischer Konfrontation eskaliert, und kann die politische Zersplitterung nicht verhindern.
Die Monographie von Monique Weis ist sehr solide und gut dokumentiert: ihr großes Verdienst ist es, die reichen Bestände der in den Brüsseler königlichen Archiven liegenden Secretairerie d'Etat allemande zum ersten Mal umfassend zitiert, analysiert und dem Fachpublikum präsentiert zu haben. Die im Buch so oft und direkt im Text vorkommenden langen Zitate können jedoch manchmal vom Leser als erschwerend empfunden werden: eine umfassendere Benutzung von Fußnoten wäre deswegen zur Erleichterung der Lektüre wünschenswert gewesen.
Inhaltlich ist die These von Monique Weis, von Madrid aus habe es kaum eine so intensive diplomatische Tätigkeit in Richtung Deutsches Reich wie diejenige der Brüsseler Behörden gegeben, jetzt angesichts der von ihr dargestellten Menge an Materialien der Secretairerie d'Etat sicherlich gut vertretbar und kaum mehr in Frage zu stellen. Die Autorin präsentiert einen interessanten und im Prozess der modernen Staatswerdung sicherlich seltenen Fall diplomatischer „Dezentralisation“ in der neuzeitlichen Geschichte. Und die Geschichtsschreibung ist mit ihr zugleich einen Schritt nach vorne zum besseren Verständnis der in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts in Europa bestehenden diplomatischen Beziehungen gelangt.
Brüssel Antonio
Grilli
[1] Hierzu sei auf Geoffrey
Parkers bahnbrechende Monographien
The Army of Flanders and the Spanish Road, Cambridge 1972, und The Dutch Revolt, London
1977 hingewiesen.