Suche nach Frieden. Politische Ethik in der frühen Neuzeit, hg. v. Brieskorn,
Norbert/Riedenauer, Markus, 2 Bände (= Theologie
und Frieden 19, 20). Kohlhammer, Stuttgart 2000, 2002. 276 S., 437 S.
I. Die Suche nach Frieden ist ein Thema, das von jeher
die nachdenklichen Menschen beschäftigt hat. Mit den dazu im Laufe der
Jahrtausende und Jahrhunderte entwickelten Ideen befassen sich Theologen und
Philosophen ebenso wie Historiker, Juristen und andere Vertreter der
Geisteswissenschaften. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist hierbei
unvermeidlich. Diese Kooperation zeigt sich auch in der verdienstvollen
Tätigkeit des Instituts für Theologie und Frieden in Barsbüttel,
zu dessen Publikationen die beiden hier vorzustellenden Sammelbände gehören [i]. Das schon
dadurch begründete Interesse der Rechtshistoriker wird noch verstärkt durch den
bei Rechtsphilosophen und Rechtshistorikern wohlbekannten Namen des an der
Hochschule für Philosophie in München lehrenden Mitherausgebers Norbert
Brieskorn SJ, der einer der besten Kenner der Geschichte der Menschenrechte
und der spanischen Spätscholastik ist und der zu den beiden Bänden
rechtshistorisch hochkarätige Beiträge beigesteuert hat.
II. Über den Inhalt von Band I unterrichtet vorzüglich
die Einleitung der beiden Herausgeber, „Suche nach Frieden in neuen Ordnungen“
(7-14).
Zeitlich noch zum Spätmittelalter gehört der Denker, mit
dem sich der Philosoph Jakob Hans Josef Schneider (Tübingen)
beschäftigt, „Nikolaus von Kues: De Pace Fidei -
Religionsfriede?“ (15-39). Die Eroberung Konstantinopels durch die osmanischen
Türken im Jahre 1453 war für Nikolaus von Kues (1401-1464) Anlaß
für die neu gestellte Frage nach Frieden zwischen den Religionsgemeinschaften.
Freilich ist die Toleranz des Cusanus keine moderne
Indifferenz, sondern Ausdruck des Strebens nach der einen - im Christentum
offenbarten- Wahrheit.
Das bis in die Gegenwart aktuelle Problem, inwieweit ein
Befehlsempfänger unrechtmäßige Befehle der Vorgesetzten verweigern darf, ist
Gegenstand der interessanten Untersuchung des Philosophen Rudolf Schüßler (Duisburg), „Hadrian VI. und das Recht auf Verweigerung
zweifelhafter Befehle“ (41-62). Die Lehre des niederländischen Theologen Adrian
Florisz (1459-1523), der als Erzieher und Vertrauter
des späteren Kaisers Karl V. vor seinem kurzen Pontifikat [ii] als Kardinal
von Utrecht auch politische Verantwortung getragen hatte, wird eingebettet in
die scholastische Tradition, die im Zusammenhang mit der Kolonisation Amerikas
vor allem in der Spätscholastik große Bedeutung erlangte (vgl. 52ff. zur Kritik
von Domingo de Soto an Hadrians Lehre, die dem
individuellen Gewissen einen größeren Spielraum zugesteht).
Mitten in die Probleme der Reformationszeit führt der
evangelische Theologe Hans-Richard Reuter (Münster): „Martin Luther und
das Friedensproblem“ (63-82). Er betrachtet nacheinander das „Problem der
Friedensverantwortung“ im Hinblick auf „theologisch-ethische Voraussetzungen“
(63ff.) und auf „politisch-rechtliche Konsequenzen“ (74ff.). Gemeinsamkeiten
mit der thomistischen Tradition und Unterschiede zu
ihr im Denken von Luther (1483-1546) werden dabei anschaulich herausgearbeitet.
Deutlich wird dabei m. E. auch die gelegentliche Blässe der Argumentation des
vielfach kraftvoll argumentierenden Reformators, etwa in der Frage des
‚gerechten Krieges’ (bellum iustum).
Folgerichtig behandelt anschließend die Theologin Eva-Maria
Faber (Freiburg im Breisgau) „Verantwortung für den Frieden bei Johannes
Calvin“ (83-118). Sie qualifiziert den Genfer Reformator - für manchen Leser
überraschend - als „Anwalt des Friedens“(116), der aber, wie seine
Auseinandersetzung mit den Anabaptisten zeigt (87), kein Pazifist war.
Gegenüber Luther ist Calvin (1509-1564), auch was seine Friedensethik anlangt
(93ff.), als Jurist der institutionell denkende präzisere Gestalter, der auch
in Ansehung des Krieges als der ultima ratio
der Rechtswahrung (105ff.) in der auf christlicher Moraltheologie,
kanonischem und römischem Recht beruhenden abendländischen Tradition steht.
Mit einem der großen Denker der spanischen Spätscholastik
beschäftigt sich der Historiker Merio Scattola (Padua), „Bellum,
dominium, ordo: Das
Thema des gerechten Krieges in der Theologie des Domingo de Soto“
(119-137). Domingo de Soto (1495-1560), der als
Theologe nicht nur ein Nachfolger des Francisco de Vitoria
(† 1546) in Salamanca war, sondern als Beichtvater Kaiser Karls V. auch mit
Fragen der hohen Politik in Berührung kam, hat an verschiedenen Stellen seines
Werkes sich mit dem Krieg beschäftigt (119f.). Für Domingo de Soto ist „Die Vielheit der Gemeinwesen auf der Erde“
(120ff.) Voraussetzung für „Die Lehre vom gerechten Krieg“ (124ff.), die wiederum
eingebettet ist in „Die Ordnung der allgemeinen Gerechtigkeit“ (127ff.). Das
Problem, daß die theoretisch klare Unterscheidung von
Gut und Böse in der praktischen Politik, vor allem bei bewaffneten Konflikten,
häufig nicht klar erkennbar ist, kennt der Beichtvater des Kaisers nur zu gut
(„Die Unsichtbarkeit der Ordnung“, 129ff.). So findet sich bei de Soto auch in Ansehung des Dilemmas eines ,beiderseits
gerechten Krieges’ die Lösung über die Parallele zum Rechtsstreit, den die
Parteien in gutem Glauben führen, obwohl nur einer obsiegen kann (131ff.) - ein
fruchtbarer Gedanke, der bekanntlich durch Hugo Grotius
(† 1645) in der neuzeitlichen Völkerrechtswissenschaft fest etabliert wurde [iii].
Dem Lieblingsschüler und unmittelbaren
Lehrstuhlnachfolger von Francisco de Vitoria in
Salamanca gilt der Beitrag des Theologen und Historikers Juan Belda Plans (Pamplona): „Melchor Cano
über Krieg und Frieden“ (139-166). Melchor Cano
(1509-1560) folgt im Wesentlichen dem Hl. Thomas und seinem Lehrer Vitoria („Theorie des Krieges“, 142ff., „Bedingungen des
gerechten Krieges (ius ad bellum)“,
145ff., „Reichweite und Grenzen des Kriegsrechts (ius in bello)“, 151ff.). Bemerkenswert sind auch
seine Ausführungen zu den „Bedingungen für den Frieden (ius victoriae)“, 154ff. Eine originelle
Quelle stellt dabei das 1556 von Melchor Cano im
Auftrag der spanischen Krone erstattete Gutachten (parecer)
über die Zulässigkeit des Krieges zwischen König Philipp II. und dem Papst
(Paul IV.) dar - zugleich ein anschauliches Zeugnis für die große geistige
Freiheit und Unabhängigkeit der Theologenschule von Salamanca.
Der eingangs schon erwähnte Mitherausgeber des Bandes, Norbert
Brieskorn (München), untersucht in einem eminent
völkerrechtsgeschichtlichen, faszinierend zu lesenden Aufsatz „Luis de Molinas Weiterentwicklung der Kriegsethik und des
Kriegsrechts der Scholastik“ (167-190). Der aus Spanien gebürtige, lange in
Portugal lehrende Jesuit Luis de Molina (1535-1600)
hat bleibende Verdienste um die weitere Verrechtlichung
der scholastischen Kriegsrechtslehre gehabt. Nach einem dicht geschriebenen
Abschnitt über „Die mittelalterliche Doktrin des gerechten Krieges“ (168ff.)
beschreibt Brieskorn den völkerrechtsgeschichtlichen Standort seines
Autors („Molina: An der Schwelle zum neuzeitlichen
Denken“, 170ff.). Es folgt die durch zahlreiche lateinische Quellen in den Fußnoten
untermauerte Darstellung „Zu Luis de Molinas Lehre
vom Gerechten Krieg“ (172ff.), die interessanterweise nicht wie bei Thomas von
Aquino und vielen Vertretern der Spätscholastik unter dem Abschnitt De caritate, sondern unter dem Aspekt der Gerechtigkeit (iustitia) eingeordnet ist (vgl. 172f.).
Dem systematischen Vorbild des Thomas folgt insoweit auch
noch der große spanische Moraltheologe Francisco Suárez
SJ (1548-1617), der seit langem einen verdienten Ehrenplatz in der
Völkerrechtsgeschichte einnimmt. Ihm gilt der ebenfalls instruktive, quellengesättigte Beitrag des Philosophen Rainer Specht
(Mannheim) „Francisco Suárez über den Krieg“
(191-222), in dem die „Befugnis zur Kriegserklärung“ (193ff.) untersucht wird,
„Gerechter Grund und Anspruch“ (199ff.) und schließlich die „Zulässige Art und
Weise der Kriegführung“ (212ff.).
Der Theologe und Kirchenhistoriker Mariano Delgado
(Fribourg) analysiert einen weithin vergessenen
moraltheologisch-völkerrechtlichen theoretischen Streit der frühneuzeitlichen
Kolonialepoche: „Die Kolonialmaschinerie und ihre Grenzen - die spanische
Kontroverse über die Conquista und Evangelisation Chinas
Ende des 16.Jahrhunderts“ (223-244). Er erörtert zunächst „Die Ursprünge der
Kontroverse: Eroberungs- und Missionseifer“ (224ff.) und stellt danach führende
Vertreter der Gegenpositionen vor: „Ein Befürworter der Kolonialmaschinerie im
chinesischen Kontext: der Jesuit Alonso Sánchez
(1547-1593)“ (226ff.) und „Ein Kritiker der Kolonialmaschinerie im chinesischen
Kontext: der Jesuit José de Acosta (1540-1600)“
(232ff.). Trotz gewisser Erfolge, die Sánchez in Rom erzielte, setzte sich in
der spanischen Politik die zurückhaltendere Haltung Acostas durch (vgl. „Die unmittelbaren Folgen der
Kontroverse“ (236ff.). Der Schlußabschnitt „Historia magistra vitae?“
(241ff.) wirft einen für die Moderne nicht sehr schmeichelhaften Blick auf den
Erwerb des deutschen ,Schutzgebiets’ Kiautschou in
China (1897/98).
Der Kirchenhistoriker Klaus Schatz SJ (Frankfurt
am Main) würdigt einen „Querdenker“ des spanischen Zeitalters, den Jesuiten
Juan Mariana (1536-1624): „Tyrannenmord, Potestas indirecta und Staatssouveränität -
Widerstandsrecht und Gallikanismus-Problematik Anfang
des 17.Jahrhunderts“ (245-257).
Der den Band abschließende Beitrag des mit ethnischen
Konflikten und völkerrechtlichen Fragen vertrauten amerikanischen Theologen David
Little (Cambridge Mass.) enthält einen Überblick über „Hugo Grotius and the Doctrine of the Just War“
(259-273). Der große niederländische Rechtsdenker Grotius
(1583-1645), der ebenso als Begründer des neuzeitlichen Vernunftrechts wie als
,Vater’ der modernen Völkerrechtswissenschaft angesehen wird [iv], wird treffend
gekennzeichnet. Leider verzichtet Little auf jedes Originalzitat und
bringt nur einige Grotius-Belege in englischer
Übersetzung. Entsprechend spärlich sind Hinweise auf moderne Literatur (in der
die Juristen weitgehend ausgeblendet sind [v] ). Dafür
erhält der Leser Hinweise auf aktuelle Probleme wie die 1999 begonnene
humanitäre Intervention der NATO im serbischen Kosovo (259f., 271ff.).
III. Auch in Band II informieren die Herausgeber über den
reichen Inhalt ausführlich in der Einleitung: „Diskurse zu friedenschaffenden
Ordnungen“ (9-25). Die Spannweite der weiteren vierzehn Beiträge zur
Friedensethik in der frühen Neuzeit hat dazu geführt, daß
die Herausgeber sie thematisch in drei Gruppen aufgeteilt haben.
1. Die ersten sechs Arbeiten erscheinen unter der
Überschrift „Engagierter Humanismus in einer gewalttätigen Welt“ (27-172).
Zuerst berichtet der Philosoph Paul Richard Blum
(Budapest/Baltimore) über „Eintracht und Religion bei Giovanni Pico della Mirandola“
(29-46). Der als frühhumanistischer Autor berühmte, jung verstorbene Pico della Mirandola
(1463-1494) bietet, indem er vor allem aus Platon, Aristoteles und dem
Christentum schöpft, eine Weltsicht, in der sich „Friede als universalistisches
Prinzip“ (42ff.) manifestiert.
Der Kulturwissenschaftler Hans-Rüdiger Schwab
(Münster) untersucht friedensethische Aspekte im literarischen Werk und in der
praktischen Tätigkeit Johannes Reuchlins (1455-1522): „Koexistenz durch
Aufklärung und Rechtssicherheit: Johannes Reuchlin und die Juden“ (47-70). Der
Jurist Reuchlin wird vor allem in den Abschnitten über „Konfliktmanagement im
frühneuzeitlichen Staat“ (47ff.) und „Staatlicher Rechtsschutz und christliches
Toleranzgebot“ greifbar.
Hans-Rüdiger Schwab ist auch der Verfasser des nun
folgenden Beitrags über den als Autor der ,Klage des Friedens’ (querela pacis) in
die Geschichte der Friedenspläne eingegangenen Desiderius Erasmus von Rotterdam
(1467-1536): „Bekenntnisse eines Unpolitischen? Zum Friedensdiskurs des Erasmus
von Rotterdam“ (71-103). Einem einleitenden Abschnitt über „Aspekte der neueren
Wirkungsgeschichte“ (71ff.) folgt eine vorzügliche Auswertung des gesamten
Werkes des christlich-humanistischen Denkers: „Der Friede als Thema im Werk des
Erasmus“ (74ff.).
Zu den „humanistischen Pazifisten“ wie Erasmus von
Rotterdam und Thomas Morus gehört auch der aus einer getauften jüdischen
Familie stammende spanische Gelehrte Juan Luis Vives
(1492-1540), mit dem sich Mariano Delgado (Fribourg) beschäftigt: „ ,Man
muß die Türken lieben’. Zum Pazifismus des Humanisten
Juan Luis Vives“ (105-130). Akademischer Lehrer,
Erzieher und fürstlicher Ratgeber in den Niederlanden und in England war Vives durchaus der Sphäre der hohen Politik nahe. Seine
Friedensethik formuliert er in dem durch die Reformation zerrissenen Europa, in
dem die katholische Welt 1527 den ,Sacco di Roma’
durch die spanischen und deutschen Truppen des Kaisers Karl V. erlebte, während
1529 die osmanischen Türken zum ersten Male Wien belagerten. Daß Vives als Erzieher von Maria
Tudor und Lektor der englischen Königin Katharina von Aragon tätig war, obwohl
man seinen Vater 1526 in Spanien wegen Rückfalls zum Judentum lebendig
verbrannte, zeigt die persönliche Tragik dieses spanischen Europäers, dessen
literarisches Werk die Tiefe seines christlichen Glaubens widerspiegelt.
Dem Schöpfer des literarischen „Utopia“, englischen
Kanzler und katholischen Märtyrer Thomas Morus (1480-1535) gilt der lebendig
geschriebene Artikel „ ,A Long-Desired Peace’. Thomas More’s Concept of Peace in ,Utopia’ and
,A Dialogue of Comfort’“
(131-152) des ungarischen Humanismus-Forschers Benedek
Péter Tóta (Piliscsaba). Wahren Frieden findet der Christ danach nur in
Gott, während die irdische Realität die Friedlosigkeit ist.
Paul Richard Blum schließlich würdigt einen späteren
utopischen Denker, den Süditaliener Thomas Campanella
(1568-1639): „ ,Einheit verhindert Krieg’. Zur Soziologie einer Universalmonarchie
in Tommaso Campanellas ,Sonnenstadt’“ (153-172). Für Campanella, der einen großen Teil seines Lebens im
Gefängnis verbrachte, war Krieg gewissermaßen ein Normalzustand. Innerer Friede
durch Vermeidung sozialer Konflikte in einer theokratisch egalitär
organisierten Gesellschaft und äußerer Friede durch wirksame Abschreckung - Campanellas Lösung - bleiben aber letztlich eine
realitätsferne Friedensutopie.
2. Vier Arbeiten sind unter dem Titel „Konfessionspluralität
als Friedensproblematik“ (173-319) vereinigt.
Der Melanchthon-Forscher Heinz Scheible
(Heidelberg) beschäftigt sich mit dem nach Luther wirkungsmächtigsten deutschen
Reformator, Philipp Melanchthon (1497-1560): „Philipp Melanchthons Ethik des
Friedens“ (175-199). Nach einem biographisch getönten Abschnitt über „Melanchthons
Kriegserlebnisse“ (175ff.) folgt eine Darstellung von „Melanchthons
Friedensbemühungen“ (181ff.), insbesondere seiner Tätigkeit auf dem Augsburger
Reichstag von 1530 (185ff.). Danach erläutert Scheible
„Melanchthons Prinzipien“ (190ff.), namentlich zum Widerstandsrecht (190f.) und
zum Recht auf Verteidigung (192ff.).
Keinem einzelnen Denker gewidmet ist der Aufsatz des
Historikers Albrecht P.Luttenberger
(Regensburg), „Friedensgedanke und Glaubensspaltung: Aspekte kaiserlicher und
ständischer Reichspolitik 1521-1555“ (201-250), der das gleichzeitige Ringen um
die Einheit des Heiligen Römischen Reiches und um die Glaubensfreiheit
(wessen?) für die Zeit Kaiser Karls V. plastisch vor Augen führt.
Dem in seiner Zeit führenden katholischen Theologen und
Kurienkardinal Robert Bellarmin SJ (1542-1621) gelten die Ausführungen des
Theologen Thomas Dietrich (Freiburg im Breisgau), „Robert Bellarmin: ,De
laicis’. Randbemerkungen eines Kontroverstheologen zu
Staatstheorie und Friedensethik“ (251-270). Die nicht im Zentrum (und
Interesse) Bellarmins stehenden, teilweise flüchtigen Thesen zur Staatslehre
und zum Kriegsrecht der Fürsten (vgl. „Einzelaspekte der Staatslehre“, 262ff.)
sind für Rechtshistoriker dennoch besonders interessant.
Ein zweiter historischer Beitrag von Albrecht P. Luttenberger beleuchtet eindringlich das Zustandekommen
des Westfälischen Friedens von 1648: „Ratio
conscientiae - ratio politica. Konzeptionen der kaiserlichen und ständischen
Verhandlungsführung auf dem westfälischen Friedenskongress 1645/46-1648“
(271-319). Die durch zahlreiche Quellenhinweise in den Fußnoten untermauerte
Abhandlung zeigt das mühsame Ringen der konfessionellen Parteien, bis es durch
Verzicht auch auf theologisch wohlbegründete Positionen zu einem für alle
Seiten tragbaren Kompromiß kam (vgl. den
abschließenden Abschnitt „Säkulares Recht, das Prinzip der gleichen Sicherheit
und der Grundsatz der Reziprozität“, 306ff.).
3. Die letzten vier Arbeiten haben die gemeinsame
Überschrift „Debatten um die neue Selbständigkeit des Staates“ (321-433).
Ein völkerrechtshistorisches Kabinettstück stammt aus der
Feder von Norbert Brieskorn SJ, „Diego de Covarrubias
y Leyva. Zum Friedens- und Kriegsdenken eines Kanonisten des 16. Jahrhunderts“ (323-352). Der
Kirchenrechtler Covarrubias (oder Covarruvias,
1512-1577) gehört zu den großen Juristen aus Spaniens ,Goldenem Zeitalter’, die
auch auf die Folgezeit großen Einfluß hatten [vi]. Nach einer
biographischen und werkgeschichtlichen „Einführung“ (323ff.), die uns mit dem
Hochschullehrer, hohen Richter und Bischof Covarrubias
vertraut macht, wird uns „Die ,Relectio Regulae c.Peccatum. De regulis iuris libro
Sexto’“ vorgestellt (329f.). Es folgt eine durch
Quellen untermauerte übersichtliche Darstellung von Covarrubias
Lehren „Zu Frieden und Krieg“ (331ff.). Seine Leistung wird im „Fazit“ (349ff.)
von Brieskorn treffend gewürdigt, als die eines scharfsinnigen und
geradlinigen Juristen, der „als Verantwortungsethiker“ amtiert: „Es zeichnet
ihn aus, zurückhaltend im Umgang mit den Waffen des Rechts zu sein; auch weil sie
leicht stumpf werden können“ (350).
Einem der frühen ,Klassiker’ des modernen Staatsdenkens
gilt der Artikel des Historikers Volker Reinhardt (Fribourg): „Niccolò Machiavelli und der Krieg“ (353-372). Der
Florentiner Machiavelli (1469-1527) mit seiner pessimistischen Weltsicht, dem
Verzicht auf die christliche Tradition - auch im Recht - und der Vorwegnahme
der später so genannten ,Staatsraison’ hat schon bei den Zeitgenossen
Widerspruch erregt. Der „Krieg als Erziehungsmittel für eine falsch
strukturierte Gesellschaft“ (359ff.) und der „Krieg zur Ableitung unausweichlicher
Konfliktualität“ (366f.) zeigen einen für seine Zeit
außergewöhnlich radikalen Denker dessen, was später als ,Machtstaat’ bezeichnet
worden ist.
Den Verfasser einer 1595 verfaßten
ausdrücklichen Gegenschrift, den spanischen Jesuiten Pedro de Ribadeneira (1526-1611), behandelt anschließend Norbert
Brieskorn, „Pedro de Ribadeneira: ,Princeps christianus
adversus Nicolam Machiavellum’. Grundmuster der Argumentation gegen
Machiavelli“ (373-407). Im Gründungsjahr der Societas
Jesu vom Ordensgründer Ignatius in die noch junge Gemeinschaft aufgenommen (der
er 71 Jahre angehören sollte), war Ribadeneira später
dessen erster Biograph. Die zeitweilige Tätigkeit des Ordensmannes als
Professor für Rhetorik (zur Biographie vgl. 374f.) zeigt sich auch im Stil
seines ,Antimachiavell’, der 1595 in Madrid spanisch
erschien (376)[vii]
und 1604 in Köln in lateinischer Übersetzung (379) [viii]. Brieskorn
referiert dann die Schrift anhand von ausgewählten, ins Deutsche übersetzten
Zitaten. Ribadeneira bejaht in spanischer Tradition
die Pflicht des Herrschers, für die wahre Religion zu sorgen (vgl. 389ff.), und
er plädiert auch, im Gegensatz zu Bodins Toleranz,
für die Verfolgung und Bestrafung der Häretiker (vgl. 394ff.) [ix]. Mit dem kompromißlosen Eintreten für eine einheitliche Gesellschaft
auf römisch-katholischer Grundlage und mit der überzogenen Kritik an Bodin, den er mit Machiavelli gewissermaßen in einen Topf
wirft, hat Ribadeneira die Weiterwirkung seines ,Antimachiavell’ selbst abgeschwächt.
Der Philosophiehistoriker Sicco
Lehmann-Brauns (Berlin) würdigt schließlich den wegen seiner
Souveränitätslehre auch für die Völkerrechtsgeschichte wichtigen französischen
Juristen und Staatsdenker Jean Bodin (1530-1596): „Kosmische
Harmonie und politischer Friede. Jean Bodins
politische Philosophie als Beitrag zur Friedensethik“ 409-431). Der Verfasser
sieht den wesentlichen friedensethischen Beitrag Bodins
in seiner Souveränitätslehre und in der Forderung nach religiöser Toleranz
(430). Die philosophiegeschichtliche Dimension verdunkelt freilich für den
juristischen Leser etwas die auch im juristischen Detail wirksame Leistung Bodins für die sich entwickelnde Völkerrechtswissenschaft,
nämlich daß er - in scharfem Gegensatz zu Machiavelli
- den Souverän sowohl im innerstaatlichen Bereich als auch in den
internationalen Beziehungen den Schranken des Rechts unterwirft und
folgerichtig für Bündnisse und andere Verträge der Fürsten das Prinzip der
Vertragstreue hervorhebt. Bodin steht insoweit
einerseits in der mittelalterlichen abendländischen Rechtstradition und
vermittelt andererseits diese samt dem juristischen Humanismus an die
Generation des Hugo Grotius.
IV. Die beiden im Vorstehenden gewürdigten Bände zur
europäischen Friedensethik zwischen dem ausgehenden Spätmittelalter und dem
Westfälischen Frieden von 1648 (dem Ende des ,Spanischen Zeitalters’[x] ) sind auch
für Rechtshistoriker eine lohnenswerte, zum Teil unverzichtbare Lektüre. Dem in
Planung befindlichen abschließenden dritten Band [xi] dürfen wir
mit berechtigten Erwartungen entgegensehen.
Hamburg Karl-Heinz
Ziegler
[i]. Das Institut für
Theologie und Frieden wird definiert als „wissenschaftliche Einrichtung in
kirchlicher Trägerschaft, die durch das Katholische Militärbischofsamt
wahrgenommen wird“. Der Sitz in Barsbüttel erklärt
sich durch die Nähe zur Hochschule der Bundeswehr in Hamburg. Die beiden Bände
zur Friedensethik in der Frühen Neuzeit enthalten die Ergebnisse von Tagungen,
die das Institut für Theologie und Frieden veranstaltet hat.
[ii]. Hadrian VI.
1522-1523.
[iii]. Zu Grotius’ De iure belli ac
pacis 2,23,13 vgl. auch meinen Beitrag
über „Die Bedeutung von Hugo Grotius für das
Völkerrecht - Versuch einer Bilanz am Ende des 20.Jahrhunderts“, Zs. f. Hist.
Forschung 23 (1996), 355ff., 367f.
[iv].Vgl. ebd.
[v]. Man vermißt insbes. auch die von japanischen Völkerrechtlern
geschriebene vorzügliche Gemeinschaftsarbeit, hg. v. Y. Onuma,
A Normative Approach to War. Peace, War and Justice in Hugo Grotius, Oxford
1993.
[vi]. Grotius nennt ihn in der Vorrede seines Hauptwerkes (De iure belli ac pacis,
Prol. 55) ausdrücklich unter seinen Vorgängern,
zusammen mit Vasquius (Fernando Vasquez de Menchaca).
[vii]. Tratado de la religión y virtudes que debe
tener el principe cristiano.
[viii]. Voller Titel (379
Fn.23): Princeps Christianus
adversus Nicolaum Machiavellum, ceterosque huius temporis Politicos.
[ix]. Auf die
„judenfreundliche Einstellung“ von Ribadeneira weist
aber Brieskorn (375 zu Fn.7, 397 und 405) ausdrücklich hin.
[x]. Zu der von W. G.
Grewe und W. Preiser
vertretenen Periodisierung vgl. meine Völkerrechtsgeschichte, München
1994, 145ff.
[xi]. Vgl. Bd. II, 9
Fn.2.