Spiegel, Stefan, Pressepolitik und Presspolizei in Bayern unter der Regierung von König Maximilian II. (= Materialien zur bayerischen Landesgeschichte 14). Kommission für bayerische Landesgeschichte, München 2001. XXXIX, 498 S., 13 Abb.
Der 1989 verstorbene Autor dieser presse- und
landesgeschichtlichen Arbeit, die ehemals als Magisterarbeit konzipiert war,
ist in München von Laetitia Boehm und Wolfram Siemann betreut worden. Obwohl
noch nicht ganz abgeschlossen, hat sich die Kommission wegen der
außerordentlichen Qualität des Manuskriptes, vor allem aber im Hinblick auf die
intensive Auswertung und Publikation archivalischer und bildlicher Quellen
entschlossen, die Arbeit zu veröffentlichen. Erwin Riedenauer hat es
dankenswerter Weise übernommen, das Material zusammenzuführen, die Zuordnung
der Quellen vorzunehmen und das Manuskript für den Druck vorzubereiten.
Das Buch enthält
in Teil I eine Abhandlung über die Pressepolitik und Pressepolizei zur Zeit
Maximilians II. (S. 1 bis 180). In Teil II sind die Dokumente chronologisch
geordnet publiziert und den einzelnen Kapiteln der Abhandlung (Teil I)
zugeordnet (S. 181 bis 476).
In der
Einleitung stellt der Verfasser heraus, dass die Pressefreiheit als eines der
wenigen greifbaren Ergebnisse der im übrigen gescheiterten Revolution von
1848/49 gilt; die gesetzliche Beseitigung der Vorzensur und das schockartige
Erlebnis einer entfesselten politischen Presse in der Revolution veränderten
die Rahmenbedingungen der staatlichen Meinungskontrolle grundlegend. Der
Verfasser will die Instrumente und die Methoden der Pressekontrolle, ihre
angestrebte und ihre tatsächlich realisierte Reichweite in Bayern untersuchen.
Damit verbunden sieht er die Frage nach der grundsätzlichen Einstellung der
bayerischen Regierung zur politischen Öffentlichkeit. Er will klären, ob ein
Wandel in der Schwerpunktverlagerung in den Methoden feststellbar ist.
Insbesondere wird die Frage gestellt, ob sich die aktive Pressepolitik nahtlos in
das „Arsenal der reaktionären Regierungspolitik“ einordnen lässt oder ob sich
eine allmähliche Entspannung im Verhältnis von Regierung zu politischer
Öffentlichkeit abzeichnet. Sein Tod hat leider verhindert, dass der Verfasser
diese interessanten Fragen alle beantworten konnte; verständlicherweise fehlt
auch eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.
Der Verfasser
geht auf den Stand der Forschung und die Quellenlage ein und betont, dass das
Verhältnis von Staat und Presse im Zeitraum zwischen der Revolution von 1848
und der Reichsgründung weniger gut erschlossen ist als für die Zeit davor.
In einem
umfangreichen Kapitel (I 2) beschäftigt sich der Verfasser mit der
Pressefreiheit im Kontext politischer Öffentlichkeit. Nachdem der
Bundesbeschluss vom 3. März 1848 ergangen war, der jedem Staat die Abschaffung
der Zensur freistellte, gestand König Ludwig I. in der Proklamation vom 6. März
1848 die „vollkommene Pressfreiheit“ zu. Das am 4. Juni 1848 folgende „Edikt
über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“ ersetzte das Präventivsystem
durch das Repressiv- oder Justizsystem; über Verstöße gegen gesetzliche
Bestimmungen entschieden die Gerichte, über Verbrechen und Vergehen die
Schwurgerichte. Den öffentlich tagenden Gerichten war damit eine Garantiefunktion
für die Pressefreiheit zugedacht. Der Polizei verblieben wirksame flankierende
Maßnahmen im Vorfeld von Strafverfahren, wie z. B. die vorläufige
Beschlagnahme. Der Verfasser meint, das Presseedikt habe die Pressefreiheit
„polizeifest“ gemacht, denn letztlich entschieden auch über die Beschlagnahmen
die Gerichte. Mit der Stärkung der Pressefreiheit fand eine inhaltliche
Ausweitung der Zeitungen, aber auch eine – durch Quellen belegte - quantitative
statt. Der Verfasser meint, mit der Pressefreiheit habe die bayerische
Regierung nicht nur ein größeres Maß an Öffentlichkeit der Politik zugestanden,
sondern auch einen dynamischen Prozess der Politisierung in Gang gesetzt.
Treibende Kraft für eine kontinuierliche Beeinflussung der Presse war der König
selbst. Konstitutionell-konservative Kräfte verbanden sich mit der Regierung,
um der revolutionären Herausforderung durch eine gemeinsame
Öffentlichkeitsarbeit zu begegnen, eine Zusammenarbeit, die von keiner Seite
eingestanden wurde. Ziel war die Neutralisierung einer als systemgefährdend
eingestuften Presseberichterstattung. Wie in Österreich und Preußen auch, kam
es in Bayern zu Bemühungen, die Kontrolle und Lenkung der
Presseberichterstattung in der Verwaltung zu institutionalisieren, indem
Pressereferate eingerichtet wurden. Hervorzuheben ist, dass Ende 1848 zunächst
nicht eine amtliche Pressestelle, sondern „eine auf verdeckten persönlichen
Verbindungen ausgebaute geheime Organisation“ diese Aufgabe übernahm, der neben
dem vom Verfasser so bezeichneten „Leiter der Gegenpresse“ Wilhelm von Dönniges
der bekannte Jurist Johann Caspar Bluntschli angehörte. Nach dessen
reformkonservativen Vorstellungen wurde ein „Preßverein“ eingerichtet, dessen
Aufgabe die aktive publizistische Verteidigung der Regierung gegen die sich
formierende demokratische und republikanische Presse war. Für die Finanzierung
der Arbeit des Vereins stand ein geheimer Dispositionsfonds aus Mitteln der
Kabinettskasse zur Verfügung. So konnte der Plan einer systematischen
Einwirkung auf die Presse schnell umgesetzt werden.
Ein weiteres
Kapitel (I 3) ist der Beschränkung der Pressefreiheit durch die Gesetzgebung
gewidmet. Anhand einschlägiger Quellen zeichnet der Verfasser das Scheitern der
„pressepolitischen Justiz“ in den Jahren 1850/51 nach. Nicht zuletzt die Rolle
der Schwurgerichte trug zunächst zu einer „Verrechtlichung der
Meinungskontrolle“ bei. Es fehlte auch nicht an Versuchen, die Pressegesetze zu
verschärfen. Schließlich führten die Maßnahmen der Pressepolizei zu einer de
facto Aufhebung der Pressefreiheit. In Kapitel I 4 belegt der Verfasser anhand
einer Vielzahl von Quellen statistisch aufbereitet, auf welche Art und Weise
dies gelang, nämlich u. a. durch ständige Beobachtung der Presse, durch
strafrechtliche Verfolgung, Ausweisungen, Berichtsverbote, Entzug von
Konzessionen, Behinderung der Verbreitung und polizeiliche Beschlagnahmen, vom
Verfasser als „der verdeckte Verfassungsbruch in Permanenz“ bezeichnet. Der
enorme Aufwand, der getrieben wurde, zeigt das überragende Interesse, das die
Regierung an einer konsequenten Kontrolle der Öffentlichkeit hatte. Der Verfasser
schließt eine Reihe von Fallstudien zur Herstellung einer kontrollierten
Öffentlichkeit an.
Teil II enthält
eine gelungene Auswahl von Quellen, die den einzelnen Kapiteln der Untersuchung
zugeordnet sind. Sie ermöglichen einen Einblick in die Strategie und Taktik der
Bürokratie und veranschaulichen die Praxis der Eingriffe in das Pressewesen.
Aufgrund der Erschließung des umfangreichen Quellenmaterials
und der sorgfältigen und kritischen Verwendung der einschlägigen Literatur ist
dem Verfasser eine eindrucksvolle Studie des Pressewesens in einem wichtigen
deutschen Mittelstaat für die Zeit nach 1848 gelungen. Hervorzuheben ist, dass
er die juristischen Rahmenbedingungen zutreffend gewürdigt hat. Ein besonderer
Wert der Arbeit liegt in der unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit auf die
wichtigsten Quellen, auf die der Verfasser seine Ergebnisse stützt. Die Arbeit
ist ein wichtiger Mosaikstein für ein Gesamtbild einer Entwicklung des Rechts
auf freie Meinungsäußerung und der Pressefreiheit zur Zeit des Deutschen
Bundes. Den Herausgebern unter Leitung von E. Riedenauer ist zu danken, dass
sie dieses wichtige Werk zugänglich gemacht haben.
Hagen Ulrich
Eisenhardt