Seyed-Mahdavi Ruiz, Schahin, Die rechtlichen Regelungen der Immissionen im römischen Recht und in ausgewählten europäischen Rechtsordnungen: unter besonderer Berücksichtigung des geltenden deutschen und spanischen Rechts (= Quellen und Forschungen zum Recht und seiner Geschichte 7). Walldorf, Göttingen 2000. 214 S.

 

Die Gegenwartsprobleme des Rechts der Immissionen liegen an den dogmatischen Grenzen. Daß niemand der Schikane halber Rauch auf das Grundstück des Nachbarn leiten darf, bereitet weder der Praxis noch der Theorie ernsthafte Probleme. Wie aber steht es mit ökonomisch schwerlich vermeidbaren Immissionen, wie mit negativen und mit ideellen? Und wie verhält der öffentlich-rechtliche Immissionsschutz sich zum privatrechtlichen? Fälle gibt es genug, und man könnte sich fragen, ob die romanistische Tradition dazu helfen kann, die Kasuistik besser zu strukturieren. In der Lehrbuchliteratur findet sich Skepsis hinsichtlich der Frage, ob Rom außer limes und ambitus regelrechte Begrenzungen des Grundeigentums kannte (Antonio Guarino, Diritto privato romano, 12. Aufl. Napoli 2001, S. 633f. = 49.6); Monographien gibt es wenige (zuletzt Antonio Palma, Iura vicinitatis. Solidarietà e limitazioni nel rapporto di vicinato in diritto romano dell'età classica, Torino 1988).

 

Die geschichtlichen Grundlagen des § 906 BGB untersucht nun die Göttinger Dissertation von Schahin Seyed-Mahdavi Ruiz, betreut von Okko Behrends und gestützt auch auf Erkenntnisse der Bonner Schule von Rolf Knütel.

 

Der erste Teil (S. 13-143) ist römischrechtlich gehalten und bemüht sich vor allem um Klärung der Begriffe: „Zum Konzept der immissio im römischen Recht (S. 13-48)“ – „Rechtsmittel“ (d.h. actiones und interdicta) „zur Abwehr von Immissionen“ (S. 49-116) – „Rechtsmittel zur Durchsetzung von Immissionsberechtigungen“ (S. 117-141).

 

Maßgebliche Quellen werden zunächst unter begrifflichen Aspekten, aber in dogmatischer Perspektive durchgemustert – mit dem mehrfach unterstrichenen und in lehrbuchhafter Deutlichkeit formulierten Ergebnis, es habe eine klare konzeptionelle Architektur gegeben. (Mit Blick auf den zivilistischen und generell den studentischen Leser wäre es übrigens hilfreich gewesen, die zentralen Quellen auch in deutscher Sprache wiederzugeben – zumal für die ersten 20 Bücher der Digesten mittlerweile eine zeitgemäße Übersetzung vorliegt.)

 

Insbesondere geht der Verfasser von der These aus, bereits sprachlich sei von immissio lediglich dann die Rede gewesen, wenn „Substanzen oder körperliche Gegenstände“ die Grundstücksgrenze überschritten hätten (S. 14ff.). Damit überschneidet sich die Unterscheidung nach facere in suo (Immission: nur die Einwirkung überschreitet die Grundstücksgrenze) und facere in alieno (S. 24). Aus moderner Sicht ist dieser Punkt von besonderer Bedeutung: Die Störung unter Betreten des Grundstücks, facere in alieno, ist eher für kleinräumige agrarische Strukturen von Belang als für heutige Probleme industrieller Immissionen. Man könnte also de- und rekontextualisierend fragen, inwieweit sich bereits in Rom ökonomische Entwicklungen finden, welche auf die „Systematik“ des Immissionsschutzes zurückwirkten, und ob solche Rückwirkungen grundsätzliche Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der römischen Unterscheidungen für die Gegenwart zulassen (vgl. jetzt Andreas Wacke, Umweltschutz im römischen Recht?, OIR 7, 2001, im Druck).

 

Weiterhin differenziert Seyed-Mahdavi Ruiz nach pandektistischem Vorbild innerhalb des facere in suo zwischen direkter und indirekter Immission. Indirekt sei die Immission, die auf dem Grundstück des Störers beginne, Folgen aber auf dem des Nachbarn habe; sie sei regelmäßig nur bei Erheblichkeit verboten gewesen, die direkte hingegen immer (S. 33). Das für den Verfasser wichtigste Beispiel der indirekten Immission (Paul. D. 8,2,19pr.; S. 29) betrifft eine paries communis. Nun ist die Grenzmauer ein Sonderfall, schon weil ihr Status sich aus dem Miteigentum der Nachbarn erklärt, nicht als selbständige Begrenzung von Eigentümerrechten (Guarino, wie oben). Immissionen durch die Mauer sind zugleich unmittelbare Verletzungen des Grundeigentums in seiner Substanz (superficies solo cedit), anders als es sich bei Rauch und (je nach Quantität) Wasser verhält: Diese Stoffe bewirken jedenfalls - manchmal aber auch nur - eine Nutzungseinschränkung (und das ist der für den modernen Immissionsschutz zentrale Faktor).

 

So bleibt fraglich, inwieweit die Unterscheidung von direkter und indirekter Immission den Quellen wirklich unterlegt werden kann. Der Wortlaut der von Seyed-Mahdavi Ruiz diskutierten Stellen schließt dies nicht aus, läßt es aber auch zu, andere rationes in den Vordergrund zu stellen - so für Ulp. D. 8,5,8,6 (S. 31; 42ff.) die Unerheblichkeit der Immission, wie es der Verfasser selbst tut. Auch schlichte Rücksichtnahme auf das Nutzungsinteresse des Emittenten (Ulpian a. a. O.: sicut agi non potest ius esse in suo ignem facere aut sedere aut lavare) kann eine Rolle gespielt haben: Wenn „indirekte Immissionen“ privilegiert werden, dann doch auch deswegen, weil der Emittent zunächst sich selbst eine Belästigung zumutet, die der Grundstücksnutzung notwendig innewohnt (wie auch immer die Zulässigkeit der Nutzung im einzelnen zu bestimmen sei; s. Verfasser S. 43ff.). Vermutlich gestatten die Quellen es nicht, scharf zwischen der Perspektive des Emittenten und derjenigen des Immittenten zu trennen.

 

Der Verfasser kehrt zum Konzept der immissio als körperlicher Einwirkung zurück (S. 33-36, 39-42). Hier setzt er sich zunächst mit dem odor (vgl. Wacke, wie oben, unter II.) auseinander, der jedenfalls nach den Vorstellungen der Zeit schwerlich als körperliche Einwirkung oder Substanz begriffen werden und, anders als Feuchtigkeit, auch nicht zu Substanzschäden führen konnte (S. 34f. zu Nerva-Ulp. D. 43,8,2,29). Ulpian gibt das interdictum ne quid in loco publico vel itinere fiat, das bekanntlich ein immittere verlangt, ohne jedoch ausdrücklich von immissio zu sprechen. Seyed-Mahdavi Ruiz schließt daraus, Geruch sei keine Immission, doch bleibe das Erfordernis der immissio im allgemeinen von dieser Entscheidung unberührt (S. 35, vgl. freilich 39). Nervas bzw. Ulpians Sprachgebrauch mag in der Tat so verstanden werden, weil die immissio vom Juristen nicht wie ein modernes Tatbestandsmerkmal bejaht oder verneint werden mußte; aber vor Augen gestanden haben wird das Konzept Nerva ebenso wie Ulpian. Unzweifelhaft ist freilich, daß aus der Entscheidung kein allgemeiner Schutz gegen Geruchseinwirkung abgeleitet werden kann (S. 35).

 

Die Wärme wird wiederum an einem Grenzmauerfall erörtert (Ulp. D. 9,2,27,10; S. 39ff.): Der Betrieb eines Ofens kann nicht verboten werden, doch hat der Nachbar die cautio damni infecti, gegebenenfalls eine (in factum konzipierte) actio legis Aquiliae. Ulpian vermeidet also eine Klagenkonkurrenz zwischen actio negatoria und Deliktsklage – aus moderner Sicht insoweit eine weise Lösung, als die wenigsten Rechtsordnungen negatorische Rechtsbehelfe und Schadensersatz nach Tatbestand und Rechtsfolgen ganz sauber trennen (für das BGB Barbara Stickelbrock, Angleichung zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Haftungsmaßstäbe beim Störerbegriff des § 1004 BGB, AcP 197, 1997, 456-504, 464ff.).

 

Gegen Lärm und neugierige Blicke schließlich habe es keine Rechtsbehelfe gegeben (S. 41). Das entspricht den Erkenntnissen zur iniuria (das convicium erfaßt lediglich ehrenrühriges oder von einer Zusammenrottung veranstaltetes Geschrei: Matthias Hagemann, Iniuria, Köln u. a. 1998, 59, 68-71 u. ö.). Es erscheint auch angesichts der Wohnverhältnisse plausibel: In den dichtbevölkerten stadtrömischen insulae wäre ein solches Verbot nicht praktikabel gewesen, für luxuriöse Villen auf großen Grundstücken stellte das Problem sich nicht.

 

Der folgende Abschnitt über die Erheblichkeit der Immission zieht auch Verbindungslinien zum Recht der Dienstbarkeiten: Was unerheblich ist, ist auch nicht servitutsfähig; was erheblich, aber nicht durch Servitut abgesichert ist, kann verboten werden (S. 44, 56f.).

 

Auf der so entwickelten begrifflichen Grundlage diskutiert Seyed-Mahdavi Ruiz alsdann die „Rechtsmittel zur Abwehr von Immissionen“, zunächst die actio negatoria (S. 49-72). Der bekannte Käsereifall (Ulp. D. 8,5,8,5) führt wiederum zur Verknüpfung von Abwehransprüchen und Recht der Dienstbarkeiten (S. 57-61): Die actio negatoria „negiert“ die Inanspruchnahme bestimmter beschränkter dinglicher Rechte, kann sich also nur gegen Verhaltensweisen richten, die zugleich den zulässigen Inhalt einer Dienstbarkeit darstellen könnten. Damit ist indirekt die Frage nach einem sachenrechtlichen Typenzwang berührt (hierüber monographisch zuletzt Maria Floriana Cursi, Modus servitutis, Napoli 1999).

 

Allgemeinen Eigentumsschutz stellen für Rom die Besitzinterdikte her.

 

Diesen Punkt vertieft der Verfasser im folgenden Abschnitt unter Verwertung der neueren Forschungen vor allem von Cosima Möller und Giuseppe Falcone. Daß die actio aquae pluviae arcendae neben der actio negatoria bestehen blieb, habe der Erhaltung der Ausnahmeregelungen für ländliche Grundstücke gedient (S. 88f.). Die Spuren des klassischen interdictum uti possidetis simplex werden aufgesucht: Da es Besitzschutz und nicht nur (wie das zweiseitige i. u. p. duplex) Vorbereitung der Vindikationsklage durch Verteilung der Parteirolle herbeiführte (insb. S. 97-100), konnte es auch gegen Immissionen gebraucht werden, sofern diese als Besitzstörungen begriffen werden. Hierzu arbeitet Seyed-Mahdavi Ruiz die - wiederum magere - Quellenlage vor allem zu Festkörperimmissionen auf. Er kommt zur Echtheit des Schlusses von Ulp. D. 8,5,8,5: sed et interdictum uti possidetis locum habere, si quis prohibeatur, qualiter velit, suo uti (S. 111-116). Danach stellen actio negatoria und interdictum uti possidetis allgemeine Mittel des Immissionsschutzes dar.

 

Aus den sich anschließenden Erwägungen über „Rechtsmittel zur Durchsetzung von Immissionsberechtigungen“ (S. 117-141: vindicatio servitutis, actio aquae pluviae arcendae, interdictum uti possidetis) seien nur die Ausführungen zur quasi possessio herausgegriffen (S. 125-139): Beim klassischen Rechtsbesitz handele es sich um ein Relikt aus der Zeit der veteres, und hieraus erkläre sich auch die Streitfrage, ob die iuris quasi possessio an Dienstbarkeiten unter das interdictum uti possidetis falle. Soweit die Antwort negativ ausgefallen sei, habe man ausgleichshalber zur actio negatoria gegriffen (S. 137). Die nähere Erörtertung dieses Komplexes ist aus modernrechtlicher Sicht besonders begrüßenswert: Das Sachenrecht muß sich immer mehr darauf einstellen, daß sein klassischer Gegenstand, die körperliche Sache, an Definierbarkeit und Relevanz verliert. Phänomene wie die quasi possessio können hier zu neuen Einsichten führen - gründliche Dekontextualisierung, also kritische Ablösung von spezifisch antiken wie gemeinrechtlichen Funktionen der Rechtsfigur vorausgesetzt; vgl. jetzt Emanuele Conte/Vincenzo Mannino/Paolo Maria Vecchi, Uso, tempo, possesso dei diritti (Torino 1999) sowie die ältere Kölner juristische Dissertation von Jürgen Gräfe, Die Lehren vom Rechtsbesitz in der Rechtsgeschichte der Neuzeit (1983). Seyed-Mahdavi Ruiz jedenfalls hält interdiktalen Immissionsschutz für nach römischem Recht möglich und gegenüber den konkurrierenden actiones praktisch vorteilhaft (S. 140f.).

 

Der zweite Teil (S. 147-197) betrachtet große Linien der neueren domatischen Entwicklung, vor allem die pandektistische Debatte in der Vorgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die wirtschaftsfreundliche, Immissionen begünstigende Grundtendenz der Zeit (im Entwurf der ersten Kommission noch stärker als im späteren § 906) wird klar herausgearbeitet. Man erkennt daran auch, daß die Verfasser des BGB den Eigentumsschutz durchaus funktional verstanden und im Konflikt zwischen zwei Eigentumspositionen die „weniger produktive“ hintanstellten. Wichtig ist auch der Hinweis auf den Wirkungsmechanismus des § 1004, der sich nicht an der Konstruktion einer angemaßten Dienstbarkeit orientiert – durchaus kein antiquarisches Problem: Die einigermaßen komplexe italienische Rechtsprechung zur Klagenkonkurrenz zwischen unmittelbarem Eigentumsschutz und Schadensersatz erklärt sich nicht zuletzt aus mangelnder Reflexion über eben diese Konstruktion (Antonio Gambaro, Il diritto di proprietà, in: Trattato Cicu-Messineo, cont. da Luigi Mengoni, Milano 1995, S. 874-919; Andeutungen bei Verf. S. 175).

 

Das Verhältnis zum öffentlich-rechtlichen Immissionsschutz (vgl. S. 151, 156f., 163) hätte vertieft werden können, und zwar gerade in historischer Perspektive: Sind die öffentlich-rechtlichen Schutzelemente neu? Oder erscheinen in ihnen Grundentscheidungen, die früher das Privatrecht ausgedrückt (oder auch verworfen) hat? War es romanistischer Traditionalismus, den Lärmschutz dem Polizei- und Ordnungsrecht zu überlassen (das ja theoretisch die industrielle Entwicklung ebenso hätte hemmen können wie die zurückgedrängten privatrechtlichen Unterlassungsansprüche)? Weiterhin: Empfiehlt es sich, auf dem Weg der BGB-Novelle von 1994 fortzuschreiten und die beiden Instrumentarien stärker zu koordinieren (vgl. nochmals Stickelbrock, besonders 456ff. und ab 476)? Die Novelle stellt sich im wesentlichen als Aufgreifen einer konvergierenden Tendenz in der Rechtsprechung dar; läßt sich den seither ergangenen Entscheidungen entnehmen, ob die Praxis diese Tendenz fortführt und was sie vom Gesetzgeber weiterhin erwartet? Kehren hier historische Figuren wieder oder sind die Probleme auch strukturell neu?

 

Interessant wäre auch ein Detail gewesen: Wie verhält sich die bewußte Gleichbehandlung körperlicher und nicht körperlicher Einwirkungen in § 906 (S. 157) zur Objektsdogmatik des Allgemeinen Teils? Liegt hier eine frühe Konzession des BGB-Gesetzgebers selbst an die inneren Grenzen einer Unterscheidung nach Körperlichkeit, an funktionell verstandene Schutzinteressen?

 

Originell ist des Verfassers Blick auf italienisches und katalanisches Recht: Wie verlaufen Rezeptionsprozesse in den Bereichen, die der Código civil freiläßt? Aus der deutschen Doktrin: ebenfalls für das 19. Jahrhundert über Italien und neuerdings auch direkt? Aus dem römischen Recht: auf demselben Wege oder über lokale Traditionen? Art. 844 Codice civile 1942, dem Wortlaut nach sogar immissionsfreundlicher als § 906, sei von der Rechtsprechung sozialverträglicher gestaltet worden (S. 165-168; mißverständlich S. 168: Auch der industrielle Emittent nutzt sein Privateigentum). Hier darf man Grundfragen der Eigentumsdogmatik im Hintergrund vermuten: Die vom Autor angesprochenen faschistischen Vorstellungen von der sozialen Bindung des Eigentums (S. 165) sind nach dem Zweiten Weltkrieg von anderen abgelöst worden, nämlich vom katholisch-kommunistischen Kompromiß des arco costituzionalegewiß kein so formalistisch-liberales Modell wie das des Codice civile von 1865, und es könnte sein, daß die Zivilgerichte trotz wechselnder politischer Vorzeichen an einer auch pragmatischen Einschränkung der industriellen Grundstücksnutzung festhalten konnten (einführend zur Rechtslage Francesco Ruscello, in: Pietro Perlingieri, Manuale di diritto civile, 2. Aufl. Napoli 2000, S. 170f., 174f.). Nach dem italienischen C. c. 1942 behandelt Seyed-Mahdavi Ruiz als erste nicht kodifizierte Regelung die französische, d. h. die Betrachtung der Immissionsproblematik nach allgemeinen Regeln über Delikt und Rechtsmißbrauch (S. 168-173); dann greift er die italienische Rechtslage vor 1942 auf (S. 173-176). Die negativen Immissionen waren danach nicht erfaßt, behördliche Genehmigungen hatten Tatbestandswirkung (S. 175f.). Jedenfalls bezeichnet die Leitentscheidung der Corte Suprema di Cassazione vom 15. 10. 1998 (sez. unite, n. 10186; Foro it. 1999 I, 922-928, 925f., m. Anm. A. Moliterni) eine grundsätzliche Öffnung der negatoria über den Eigentumsschutz hinaus: Gegen gesundheitsschädliche Immissionen (hier Lärm) kann nunmehr sowohl negatorisch als auch deliktisch (art. 2043 c.c.) vorgegangen werden.

 

Es folgt, ausführlicher, die spanische Rechtslage. Die Gesetzgebungskompetenz der Foralregionen wird skizziert (bekanntlich auch für das Privatrecht ein historisch geprägtes und politisch virulentes Problem: Rainer Becker, Foralrechte & Kodifikation im spanischen Privatrecht, Nortorf 1995; ders. ZEuP 1996, S. 88-106; Thomas Wiedmann, Idee und Gestalt der Region in Europa, Baden-Baden 1996, 184f.). Der Código civil bietet außer Rechtsmißbrauch und deliktischer Generalklausel auch eine Norm über Schutzabstände und Sicherheitsmaßnahmen (Art. 590), und zwar im Titel über die servidumbres (S. 178-185). Die katalanische Regelungstradition im Bereich der Dienstbarkeiten wiederum erlaubte es der Autonomen Region, eine umfassende immissionsschutzrechtliche Regelung zu treffen, welche sich nach Seyed-Mahdavi Ruiz unmittelbar an §§ 906, 1004 BGB orientiert (S. 185-194). In einem ihrer Tatbestände verlangt die Norm freilich Rechtswidrigkeit und „vorsätzliches oder schuldhaftes“ (vgl. S. 187f.) Handeln, was systematische Fragen aufwirft.

Das grundsätzliche Problem der Arbeit ist nicht dem Autor anzulasten: Immissionsschutz ist ein modernrechtlich konnotiertes Phänomen, und wie alle Fragen des Umweltschutzes im weitesten Sinn verlangt dieses Phänomen besonders intensive Dekontextualisierung der Quellen. Rom kennt weder den sozialgestaltenden Staat des zwanzigsten Jahrhunderts noch die liberale Eigentümergesellschaft des neunzehnten. Rom kennt auch nicht im heute vertrauten Maße die intensive Nutzung des Territoriums und das Knappwerden der Ressourcen. Folglich sind die Quellen rar, denen wir Beschränkungen des Eigentumsgebrauches entnehmen können. Die uns heute beschäftigenden Probleme finden sich nicht immer als solche in historischen Rechtsordnungen, und je stärker eine Rechtsordnung dazu tendiert, tradierte Modelle zu kopieren, desto mehr unnützes Gewicht gewinnen die römischen Standardprobleme gegenüber den neuen Fragen. Für dieses Phänomen mag beispielhaft die vermutlich schon zu römischer Zeit eher atypische aemulatio (Zuführung durch eine besondere Leitung, § 906 III BGB) stehen.

 

Das heißt freilich nicht, daß aus der Tradition nichts zu lernen wäre. Wer einen punktuell und strukturell nach wie vor privatrechtlich ansetzenden Umweltschutz beobachten will, muß nur einen Blick auf das Völkerrecht werfen. Die Verteidigung absoluter Rechte einzelner Subjekte kann, soweit zentrale Rechtsdurchsetzung (noch) nicht möglich ist, ein taugliches Mittel zur indirekten Wahrung von Gemeininteressen sein.

 

Da aber die Quellendichte wenig Anhaltspunkte für den unmittelbaren Vergleich gerade in den heute neuralgischen Punkten ermöglicht, ist wohl ein weiterer Schritt erforderlich: der auf die Metaebene und über die Immissionsproblematik hinaus. (Mit Recht führt der Verfasser aus, eine Gesamtdarstellung des § 906 sei nicht Sinn seiner Arbeit, S. 163.) Rom kennt keine konkurrierenden öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Normensysteme, aber wo haben wir die einzelnen prätorischen Interdikte zwischen ius privatum und ius publicum einzuordnen? Was ist aus Grauzonen zu erkennen, wie sie von den Begriffen res communis omnium oder actio popularis umschrieben werden? Und was hat der Prätor oder der klassische Jurist im Auge, wenn er den privatrechtlichen Interessenkonflikt entscheidet: Achtet er auch auf Interessen Dritter, der Gemeinde, einer abstrahierten Allgemeinheit – im Kontext des unmittelbar zu lösenden Falles? Bringt er dies gegebenenfalls zum Ausdruck?

 

Der hierfür zu treibende exegetische Aufwand ist enorm. Möglicherweise wird er nichts fruchten. Dies herauszufinden, ist das umweltrechtliche Paradigma aber wert: eine Perspektive, welche die Meister der Vergangenheit nicht haben konnten, ist zu verfolgen, will das Privatrecht sein historisches Bewußtsein in einem politisch sensiblen Bereich angemessen nutzen.

Seyed-Mahdavi Ruiz hat ein von Druckfehlern weithin freies, begrifflich sensibles und gut lesbares Buch geschrieben (dem freilich die Register fehlen). Er zeigt uns in klaren Thesen, was man über den römischen Immissionsschutz weiß und wo wir weiter zu suchen haben. Dafür haben wir ihm aufrichtig zu danken.

 

Köln                                                               Christian Baldus