Senn,
Marcel, Rechtsgeschichte - ein kulturhistorischer Grundriss, mit
Bildern, Karten, Schemen, Register, Biographien und Chronologie, 2. Aufl.
Schulthess, Zürich 1999. XXI, 369 S.
Senns
Rechtsgeschichte, als Lehrbuch konzipiert, ist bereits nach zwei Jahren in
zweiter, erweiterter und verbesserter Auflage erschienen[1]. Eine
gewisse Ergänzung stellt nun Senns Buch „Recht - Gestern und Heute.
Juristische Zeitgeschichte“ (Zürich 2002) dar[2]. In
der Einführung (S. 4) zur Rechtsgeschichte weist der Verfasser auf den
funktionalen Zusammenhang zwischen „einheimischem“, römischem und kanonischem
Recht hin, der bei der Beurteilung der Rechtsentwicklung vom Mittelalter bis in
die frühe Neuzeit zu berücksichtigen sei. Das Buch gibt zugleich eine
Geschichte des öffentlichen Rechts von der Spätantike bis in das 20.
Jahrhundert, des Strafrechts und des Privatrechts, wobei ein Schwerpunkt auf
der Geschichte der Rechtswissenschaft liegt. Eine Institutionen- und
Dogmengeschichte des Privatrechts ist nicht Gegenstand der Darstellung[3].
Aufgezeigt werden in starkem Maße die geistesgeschichtlichen, philosophischen,
religiösen und gesellschaftlichen Grundlagen der Rechtsentwicklung. Der
Verfasser wählt den Weg einer Schwerpunktsetzung, wobei naturgemäß eine Auswahl
getroffen werden muss.
In
vierzehn Kapiteln wird jeweils ein zentrales Thema behandelt: „Stammesrechte
zwischen Spätantike und Frühmittelalter“, „Kirche und Reich - Papst oder
Kaiser“, „Kaiser und Reichsfürsten“, „Landrecht, Lehnrecht und
Grundherrschaft“, „Stadt- und Wirtschaftsrecht“, „Universität und
Juristenausbildung“, „Humanistische Jurisprudenz und Reformation der
Rechtsordnung“, „Rezeption und Usus modernus“, „Vernunftrecht und Völkerrecht“,
„Absolutismus und Aufklärung“, „Kodifikation und Rechtsanwendung“, „Historische
Rechtsschule und Rechtspositivismus“, „Recht im Spannungsfeld von Industrialisierung,
Nationalismus und Nationalsozialismus“, „Privatrecht und Rechtsstaat“.
Veranschaulicht
wird die Darstellung durch Bilder, Karten und vor allem instruktive schematische
Darstellungen, wie Dialektik der Scholastik (Abb. 2. 3, S. 36), Rechtsbereiche
im Spätmittelalter (Abb. 4. 1, S. 79), Aufzeichungen der Rechtsgewohnheiten in
Europa in Rechtsbüchern (Abb. 4. 4, S. 82), Gemeines Recht als subsidiäres
Recht (Abb. 8. 1, S. 163), System des Wolffschen Lehrbuches (Abb. 9. 1, S.
189), Gegenüberstellung der mittelalterlichen Naturrechtsordnung und der
kodifizierten Vernunftrechtsordnung (Abb. 11. 2, S. 221), Gegenüberstellung der
Gliederung von ALR, Code Civil und ABGB (Abb. 11. 3, S. 226).
Eingehend
behandelt werden Rezeption und Usus modernus (Kap. 8, S. 158ff.). Die Rezeption
im weltlichen Bereich betrachtet der Verfasser (S. 160) als „eine
Professionalisierung und Rationalisierung - also Verwissenschaftlichung - des
Rechts durch methodengeleitetes Argumentieren“. Das ius commune als „ein europaweit anwendbares Recht“ habe geholfen,
„die politische Partikularisierung innerhalb des Heiligen Römischen Reichs und
die religiöse Konfessionalisierung der Herrschaftsgebiete ein Stück weit zu
überwinden“ (S. 176).
Nach
Behandlung der Naturwissenschafter und Naturrechtler Thomas Hobbes, Baruch de
Spinoza, Christian Wolff und G. W. Leibniz (S. 185 ff.) bringt der Verfasser
unter dem Titel „Populäres Naturrecht“ (S. 193 ff.) die Pflichtenlehre
Pufendorfs, „die ewig göttliche Naturrechtswissenschaft“ von J. G. Heineccius,
und „vernünftiges Strafrecht“ bei Christian Thomasius. Das Naturrecht habe hier
„mit seiner rationalen Grundlage zu konkreten Ergebnissen eines der Natur des
Menschen angemessenen Rechts“ geführt (S. 196). Aufgezeigt wird in vertiefender
Weise die Funktion der Kodifikation (S. 227 ff.).
Von
großem Interesse ist Kap. 14 (S. 309 ff.): „Privatrecht und Rechtsstaat“. Der
Verfasser zeigt, dass es zur Zeit des Humanismus zu einer Strukturierung des
Privatrechts gekommen sei (S. 316 f.), im Zeitalter des Vernunftrechts zu einer
Systematisierung desselben (S. 317). Das Rechtssubjekt wird „zum tragenden
Element der Rechtsordnung“.
Ein
eingehendes Stichwortregister (Sachregister), ein Personenregister sowie ein
Abbildungsverzeichnis erschließen die Darstellung. Im Anhang finden sich
biographische Kurzangaben sowie chronologische Tabellen in Form von Zeittafeln
(S. 366 ff.).
Senns
Lehrbuch ist stark von methodischen und rechtstheoretischen Ausführungen
geprägt; auf diese Weise unterscheidet es sich von anderen Darstellungen der
Rechtsgeschichte und nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Zu Recht trägt das
Buch den Untertitel „ein kulturgeschichtlicher Grundriss“.
Graz Gunter
Wesener
[1] Zur 1. Aufl. A. Cordes, JZ 1998,
455; H. Gebhardt, ÖJZ 53 (1998), 719; L. Winkel, TRG 70 (2002),
182f.
[2] Dazu Th. Vormbaum, in diesem
Band. Vgl. ferner M. Senn, Rechtshistorisches Selbstverständnis im
Wandel (Zürich 1982); dazu J. Schröder, ZRG Germ. Abt. 101 (1984),
429ff.
[3] Unter der Literatur zur
Privatrechtsgeschichte (p. XX) wäre wohl das grundlegende zweibändige Werk von H.
Coing, Europäisches Privatrecht, I (1985), II (1989) anzuführen. Die Neuere
deutsche Privatrechtsgeschichte von G. Wesenberg/G. Wesener ist
1985 in 4. Aufl. im Böhlau Verlag, Wien - Köln, erschienen. Der Verf. (S. 159
Anm. 4) zitiert noch die 3. Aufl.