Schauer, Ralf Erich., Die Steuergesetzgebung des Nationalsozialismus als
Mittel der Machtpolitik. Vom Steuerrecht zum Steuerunwesen (= Europäische
Hochschulschriften III, 960). Lang, Frankfurt am Main 2003. 296 S.
Die Steuergesetzgebung der
Jahre 1933 bis 1945 gehört zu einem wichtigen Themenbereich der deutschen
Rechtsgeschichte unter dem Nationalsozialismus. Schauer geht aus von den
verfassungsrechtlichen, ideologischen und wirtschaftlichen Grundzügen des
nationalsozialistischen Staates, die eine „beliebige Gestaltung“ des Steuerrecht ermöglichten. Anschließend werden die drei
Phasen der nationalsozialistischen Steuergesetzgebung geschildert: das
Sofortprogramm als „Generalangriff gegen die Arbeitslosigkeit“ (S. 70ff.), die
Steuergesetze vom 16. 10. 1934 (sog. Reinhardtsche Steuerreform; S. 81ff.) und
die weiteren steuerlichen Maßnahmen ab 1936 (S. 108ff.). Das dritte Kapitel
befasst sich mit den steuerrechtlichen Sondergesetzen gegen die Juden, die Polen,
die Sinti und Roma sowie die Ostarbeiter. Den Abschluss bildet ein Abschnitt
über den Reichsfinanzhof im Nationalsozialismus und die unbegrenzte Auslegung
der Steuerrechtsnormen zu Lasten insbesondere der Juden aufgrund der
Generalklausel des § 1 des Steueranpassungsgesetzes von 1934.
Aufschlussreich ist die Schilderung des Konflikts zwischen dem Reichsfinanzhof
und dem Reichsfinanzministerium (S. 201ff.), der zu einer Neubesetzung
zahlreicher Richterstellen führte, woraufhin es dann zu einer starken Anpassung
der Judikatur an die nationalsozialistische Ideologie
kam. Durchgehend vermisst der Leser eine detailliertere
Auseinandersetzung mit dem Werk von Reimer Voß, Steuern im Dritten Reich (1995).
Insgesamt ist nicht näher herausgearbeitet, inwiefern sich die Darstellung des
Verfassers von derjenigen von Voß auch in den
Ergebnissen unterscheidet. Stärker als Voß hat
Schauer wohl die Funktion der Steuergesetzgebung und Steuerrechtsjudikatur
als machtpolitisches Instrument des Nationalsozialismus herausgestellt und auch
anhand von Tabellen und Schaubildern verdeutlicht. Anders als Voß hat Schauer auch die archivalische
Überlieferung in den Bundesarchiven Koblenz und Berlin herangezogen, ohne
allerdings die benutzten Akten im Quellenverzeichnis einzeln aufzuführen. Auch
wird nur selten deutlich, inwiefern die archivalische
Überlieferung gegenüber der veröffentlichten Literatur neue Akzente zu setzen
vermag. Letzteres gilt etwa für das später fallen gelassene Projekt einer „Judensteuer“
aus dem Jahr 1936, gegen das der Reichsjustizminister Gürtner
erhebliche Bedenken äußerte: „Der Gedanke, eine Minderheit von Personen haftbar
zu machen, unter deren Angehörigen kein anderer Zusammenhang besteht als die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Rasse (...), ist der Rechtsordnung allerdings fremd. ...
Eine solche Inanspruchnahme scheint mir als Kampfhandlung, aber schwer als
Rechtssatz denkbar zu sein.“ (S. 159). Die Ablehnung von Steuer- und Abgabenerhöhungen
während des Krieges durch Hitler wird durch ein Schreiben Bormanns von 1943 deutlicher
dokumentiert, als dies bisher möglich war (S. 129). Insgesamt hat Schauer
gegenüber der Darstellung von Voß einige weitere
Aspekte der Steuerrechtsgeschichte unter dem Nationalsozialismus schärfer und
detaillierter herausgestellt, jedoch diese Thematik kaum um grundlegend neue
Gesichtspunkte erweitert. Was weiterhin fehlt, ist vor allem eine detaillierte
Erschließung des Zustandekommens der Steuerreform vom Oktober 1934, der
zahlreiche interne, zum Teil sehr kontroverse Beratungen vorausgegangen waren
(hierzu erste Hinweise in den „Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler
1933-1945“, Die Regierung Hitler, Bd. 2: 1934/35, hg. v. Friedrich Hartmannsgruber, München 1999). Hierbei spielte vor
allem der Familienlastenausgleich eine wichtige Rolle, der zwar unter dem Nationalsozialismus
als bevölkerungspolitische Maßnahme gehandelt wurde, gleichzeitig aber – auch international
gesehen – seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute zu den
wichtigsten Fragen der Steuer- und Abgabenpolitik gehört.
Kiel |
Werner Schubert |