Recht und Sprache in der deutschen
Aufklärung, hg. v. Kronauer, Ulrich/Garber, Jörn (= Hallesche Beiträge
zur europäischen Aufklärung 14). Niemeyer, Tübingen 2001. VI, 233 S., Abb.
Zu dem Thema „Recht und Sprache in
der deutschen Aufklärung“ fand im Januar 1998 in den Räumen der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften eine gleichnamige Tagung statt, bei der es darum
ging, eine Epoche in den Blick zu nehmen, die für die Erforschung der deutschen
Rechtssprache von besonderer Bedeutung ist. Im 18. Jahrhundert erschien nämlich
eine Reihe bedeutender Nachschlagewerke, die auch heute noch für die Arbeit am
deutschen Rechtswörterbuch genutzt werden, wie z. B. das Allgemeine Teutsche Juristische Lexikon von Thomas Hayme aus dem
Jahre 1738 oder das Juristische Hand-Buch
von Georg Stephan Wiesand von 1762. Aus der Tagung ist ein sehr informativer
und neue Erkenntnisse bringender Tagungsband entstanden, welcher das Großthema
von Recht und Sprache in der deutschen Aufklärung in mehrere Einzelaspekte
unterteilt. Über „Begriffliche Innovationen der Aufklärungssprache“ handelt der
Forschungsbericht von Reinhart Kossellek, der anhand zahlreicher
Beispiele die politisch-soziale Semantik der Sprechergruppen und deren
Interessen nachzeichnet. Als Beispiel führt er das Wort „Staat“ an, denn um
1800 verdichtete sich der Staatsbegriff zu einem Kollektivsingular: Vom
französischen état beeinflusst, aus
dem Lateinischen status und auch aus
dem Deutschen „Stadt“ abgeleitet, war der Staat bis ins 18. Jahrhundert hinein
ein pluralistischer Begriff, der als Statusbezeichnung immer schon andere status voraussetzte. Wer den status im Kontext der Stände verwendete,
setzte mit der Bezeichnung eines Standes stets auch die Existenz anderer Stände
voraus, ob Stand der Bauern, der Bürger oder des Klerus. Aus dem
pluralistischen Statusbegriff wurde als Kollektivsingular der moderne
Staatsbegriff, der als Oppositionsbegriff schließlich sogar alle Stände
zugleich umfasste. Mit dem Kollektivsingular ist sodann eine Fülle von
Definitionen möglich geworden, die den Staatsbegriff nunmehr parteilich
differenzieren, etwa mit den Begriffen „Fürstenstaat“, „Machtstaat“, „Wohlfahrtsstaat“,
„Rechtsstaat“, „National- oder Sozialstaat“. Im Ergebnis entfaltete der
Staatsbegriff mit der Aufklärung eine enorm innovative und dynamisierende
Kraft.
Zwei Beiträge des Bandes beschäftigen
sich mit Wörterbüchern der Epoche: Ulrike Hass-Zumkehr untersucht
„Spiegelungen der Rechtssprache in der Lexikographie“ und vergleicht die
Arbeiten dreier Lexikographen, nämlich Johann Leonard Frisch, Johann Christoph
Adelung sowie Joachim Heinrich Kampe. Interessant ist, dass Kampe, der sein
fünfbändiges Wörterbuch der Deutschen Sprache 1807 bis 1811 in engem, aber
äußerst kritischem Bezug auf den Vorgänger Adelung verfasste bzw. verfassen
ließ, dessen eher höfische und oberdeutsche Ausrichtung durch bürgerliche,
konstitutionell-demokratische und nationale Orientierungen ersetzte. Kampe strich alle Rechts- und Wortgebräuche, die schon bei Adelung
als veraltet markiert worden waren, etwa bei „Schuld“ und „Schuldheiß“. Dafür
wurde die Stichwortmenge u. a. durch die Aufnahme bürgerlichrechtlicher und
verfassungsrechtlicher Ausdrücke wie „Reichsverfassung“, „Staatsbeamter“,
„Staatsumwälzung“, „Volksherrschaft“ oder „Volksversammlung“ erweitert. Obwohl
Kampe Autoren wie Frisch und Adelung benutzte, scheint der ältere deutsche
Rechtswortschatz weit an den Rand gedrängt. Die Autorin arbeitet heraus, dass
die bis dahin exklusiv gelehrte Rechtsterminologie für das Bürgertum
transparent gemacht und mit Aufforderungen zur Handhabung des Rechts versehen
wurde. Auch der Beitrag von Karl Welker „Territoriales Recht und
Rechtswörterbuch. Das Beispiel Osnabrück“ zeigt auf, dass sich das 18. Jahrhundert
vorrangig um die Besonderheiten der regionalen juristischen Terminologie und
nicht um die innere Einheit der Rechtsordnung bemühte. Dies zeigt Welker anhand
von Dissertationen, die sich zu jener Zeit der Klärung ausgewählter Begriffe
annahmen. Das alphabetische Handbuch der besonderen Rechte und Gewohnheiten des
Hochstifts Osnabrück mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen
Provinzen, das 1798 und 1800 in drei Bänden erschien und von Johann Aegidius
Klöntrup verfasst wurde, bietet einen umfassenden Überblick über die
eigentümliche Verwendung der vorwiegend aus regionalen Gewohnheiten oder aus
der territorialen Gesetzgebung stammenden Begriffe. Klöntrup wollte beweisen,
dass die territoriale Rechtsordnung des Hochstifts Osnabrück eine Einheit bildete,
die durch Allgemeinbegriffe erschließbar sein sollte. Sein Werk war gegen die
von Hannover und England beabsichtigte Säkularisierung des Hochstifts
geschrieben und behauptete die gewachsene historisch-politische Kultur des
Landes. Klöntrups „Markenrecht“ von 1782 belegt ferner, dass er in erster Linie
klare Definitionen suchte und sich vor allem auf dem Gebiet des ungeschriebenen
Osnabrücker Rechts verdient machte. Die regionale Rechtssprache erfasste er, um
auswärtigen Gerichten und juristischen Spruchkörpern an Universitäten einen
Leitfaden an die Hand zu geben und aufzuzeigen, welche Begriffe im
Onabrückischen jeweils welche Bedeutung hatten. Zu jener Zeit wurde auch der
Schreibstil in der juristischen Praxis stark thematisiert. Michael Wieczorrek
teilt in seinem Aufsatz „Stil und Status. Juristisches Schreiben im 18.
Jahrhundert“ die Ansichten dreier Juristen mit: Während für den einen der Stil
innerhalb der juristischen Argumentation unbedeutend war, vertrat ein anderer
gerade den entgegengesetzten Standpunkt, dass die Kunst des sprachlichen
Darstellens allein entscheidend sei. Für den Vertreter einer vermittelnden
Position war der juristische Sprachgebrauch zwar ebenso wichtig, doch legte
dieser umso mehr Wert darauf, dass der Stil unbedingt der Wahrhaftigkeit
verpflichtet sei. Im Unterschied zu bisher geäußerten Ansichten betont
Wieczorrek zu Recht, dass Adressat der Texte nicht allein das gesamte Volke war, sondern in erster Linie eine kleine Anzahl von
gebildeten Bürgern (Nachweise S. 112).
Unter terminologischen Einzelaspekten
werden in dem Sammelband als große Repräsentanten der Aufklärung Kant,
Mendelssohn und Wolff behandelt, als Vertreter eines rationalistischen Konzepts
der Fachsprachen kommt Leibniz zu Wort. Interessant ist bei allen, inwieweit
sie neue Termini eingeführt haben, die teilweise in Konkurrenz zu den alten
treten, teils deren Stelle einnehmen oder klassische Begriffe auf unübliche
Weise verwenden. Ulrich Thiele arbeitet terminologische Verschiebungen
bei Kant heraus („Terminologische Neuerungen in Kants Völkerrechtstheorie und
ihre Konsequenzen“). Einerseits erweitert Kant den Umfang dessen, wofür das
vormalige ius publicum zuständig war;
andererseits führt er einen bislang unbekannten Begriff, nämlich das
„Völkerstaatsrecht“ in die Rechtssprache ein. Auch Christian Wolff bemühte sich
um die Schaffung einer klaren deutschen Wissenschaftssprache. Zahlreiche
Begriffe, die wir heute im Deutschen benutzen, sind erst durch ihn eingebürgert
worden. Wolff publizierte in den Jahren zwischen 1710 und 1720 eine umfängliche
Reihe von philosophischen Werken auf Deutsch, die nach seinem eigenen Bekunden
hauptsächlich dem Zweck dienten, Vorlagen für die Zuhörer in seinen Kollegien
zu liefern. Er wollte vermeiden, dass seine Vorlesungen, die er, wie es seit
Christian Thomasius in Halle Brauch war, auf Deutsch hielt, falsch
nachgeschrieben und womöglich von seinen Gegnern gegen ihn verwendet würden.
Dennoch ging es ihm nicht nur um die Authentizität der Lehre und die Vorbeugung
von möglichen Verfälschungen und Missverständnissen. Wolff reiht sich nämlich
in die Reihe derer ein, welche wie Thomasius eine Neubewertung des Deutschen
wollten, das nicht länger als eine barbarische Sprache erscheinen, sondern zum
Austausch von Gedanken im wissenschaftlichen Bereich dienen sollte. Er, der dem
Naturrecht sowie der Ethik, der Ökonomie und der Politik eine herausgehobene
Stellung zusprach, wollte das Deutsche zulasten des Lateinischen für die Praxis
der Wissenschaften nutzbar machen. Peter König verdeutlicht in seinem
Artikel „Idiomate patrio dicitur: die Stellung deutscher Rechtsausdrücke in
Christian Wolffs Jus Naturae“, wie
genau Wolff seinen Lesern einschärfte zu verfahren, wissenschaftliche Ausdrücke
im Deutschen zu suchen. Auch Daniel Krochmalnik bietet in seinem Artikel
„Mendelssohns Begriff ,Zeremonialgesetz’ und der
europäische Antizeremonialismus. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung“ eine
terminologische Studie. Dabei kommt er zum Ergebnis, dass Moses Mendelssohn zur
Charakterisierung des Judentums einfach auf den im Judenrecht gebräuchlichen
Terminus zurückgriff, wobei seine Wortwahl okkassionelle und taktische Gründe
hatte. Das Bild von Juden und „Zigeunern“ in der Rechtssprache und in
Reformkonzepten der Aufklärung beleuchtet sodann Ulrich Kronauer („Minderheiten
in Rechtstexten und Reformkonzepten der Aufklärungsepoche“). Gerade die
Aufklärung ist in diesem Zusammenhang insoweit beispielgebend, als sie aus der
Überwindung von Vorurteilen praktische Konsequenzen ziehen musste und aus der
Gesellschaft ausgegrenzte Minderzeiten einzubinden oder zumindest humaner als
bisher zu behandeln vermochte. Indes geben Rechtstexte wie Fachliteratur der
Zeit in erster Linie Vorurteile wieder. Als Gegenbeispiel dazu nimmt Kronauer
Christian Konrad Wilhelm von Doms Werk über die bürgerliche Verbesserung der
Juden (2. Aufl. 1783) unter die Lupe. Dom, der mit dem aufgeklärten jüdischen
Philosophen Mendelssohn freundschaftlich verkehrte, dachte viel differenzierter
als andere. Denjenigen, die die Hartnäckigkeit der Juden wie der Zigeuner, mit
der sie an ihren Glaubens- und Lebensgewohnheiten festhielten, betonten und
deren orientalische Herkunft für die Unbeweglichkeit des Denkens verantwortlich
machten, hielt von Dom entgegen, dass die Vorurteile auf beiden Seiten lägen,
also bei Juden und bei Christen.
Der umfassende Strukturwandel im
öffentlichen und privaten Leben änderte auch die Bedeutung der Stellung der
Fachsprachen im 18. Jahrhundert. Gottfried Wilhelm Leibniz bezog für das
Deutsche als Fachsprache eine eindeutige Position. Das Deutsche sei in all
jenen Bereichen lexikalisch gut ausgestattet, die mit den fünf Sinnen zu
begreifen seien, also in denjenigen Fachsprachen, deren Bezugsgegenstände
Realia seien, wie in den Sprachen der
Handwerke, z. B. Bergbau, Jagdwesen, Schifffahrt, jedoch nicht beim Wortschatz
abstrakter Gegenstandsbereiche wie etwa der Philosophie und der Logik oder dem
Bereich der Politik und des gesellschaftlichen Lebens. Die Wortschatzlücken
müssten ausgeglichen werden durch die Übernahme fremden Wortgutes als fremde
oder assimilierte Lehnwörter, die Neubildung von Wörtern auf der Grundlage
vorhandenen Wortgutes und die entsprechende Definition sowie die Neudefinition
bereits in der eigenen Sprache vorhandener, allerdings an der Peripherie des
Wortschatzes angesiedelter Wörter. Leibniz setzt sich dafür ein, dass all diese
Wörter in entsprechenden Büchern gesammelt und breiten Teilen der Bevölkerung
zur Verfügung gestellt werden sollten. Der Autor Andreas Gardt betont in
seinem Artikel „Das rationalistische Konzept der Fachsprache: Gottfried Wilhelm
Leibniz“, dass es Leibniz auf die Zeichen relationaler Genauigkeit von Sache
und Begriff ankam, um damit die Welt in ihren Details bezeichnen und
intellektuell erschließen zu können. Auch die Gesetzessprache der Aufklärung
müsse sich um eine darstellungsfunktionale Ausrichtung von eins zu eins in Wort
und Sache bemühen. Der Rationalismus des 18. Jahrhunderts mit seinen
vernunftrechtlichen Deduktionsversuchen suchte dann zusätzlich noch ein
möglichst hohes Abstraktionsniveau der Begrifflichkeit (vgl. hierzu Andreas
Görgen, „Aufklärerische Tendenzen in der Gesetzessprache der frühen
Neuzeit“). In diese Richtung geht auch die Transposition der Rechtsterminologie
in literarische Texte, die Jörn
Garber in seinem Beitrag „Begriff, Hypothese, Faktum. Christoph Martin
Wielands kulturalistische Kritik am Natur- und Staatsrecht“ eindrucksvoll
erörtert.
In Fragestellungen der juristischen
Hermeneutik der Aufklärung klinkt sich Axel Bühler ein („Zum
Anwendungsproblem in der juristischen Hermeneutik der Aufklärung“). Er greift
auf zwei wichtige Autoren zurück, nämlich Christian Wolff und Christian
Heinrich Eckhard, um zu verstehen, wie sie Interpretation als Ermitteln der
Absichten von Autoren und Interpretation als Norm anwandten und miteinander zu
harmonisieren suchten. Wolff zieht den tatsächlichen Willensgrund des
Normgebers heran und erschließt auf dieser Grundlage die Entscheidung, die dem
Normgeber in der Situation möglich gewesen wäre. Dagegen führt Eckhard neben
dem Interpretationsziel der Feststellung der Gedanken des Normgebers weitere
Interpretationsziele ein, vor allem das Ziel der Ermittlung der ratio legis. Die Entscheidung eines
Einzelfalls bei der Gesetzesanwendung erhält er schließlich dadurch, dass er
aus der ratio legis und aus dem
Gesetz, so wie es der Normgeber gedacht hat, die Entscheidung herleitet.
Fazit: Der Tagungsband fasst bekannte
und viele neue Erkenntnisse in den zwölf Beiträgen zusammen. Obschon es
vielleicht wünschenswert gewesen wäre, in einem eigenen Beitrag Christian
Thomasius’ Gedankengut vorzustellen oder noch zusätzlich das Allgemeine
Landrecht für die preußischen Staaten (1794) in seinem Bezug zur Aufklärung zu
thematisieren, bilden die Ergebnisse dieses Sammelbandes zweifelsohne eine
komplette und sehr verlässliche Grundlage für die rechtshistorische Erforschung
des Zeitalters der Aufklärung.
Saarbrücken Thomas Gergen