Rechtsgeschichte und
Interdisziplinarität. Festschrift für Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag,
hg. v. Senn, Marcel/Soliva, Claudio. Lang, Bern 2001. XII, 408 S.
Dreißig Freunde, Schüler und Kollegen haben dem Zürcher Rechtshistoriker C. Schott Beiträge zu einer gehaltvollen Festschrift gewidmet. Im ersten, mit „Verfassung und Bürgerrechte“ überschriebenen Teil (hier zeigt sich die Problematik von Überschriften für disparate Arbeiten) berichtet zunächst Bernhard Diestelkamp über „das Königliche Hofgericht unter Karl IV.: Wenzel und Ruprecht und die Veme.“ Die „Ruprechtschen Fragen“ von 1408 werden gedeutet als Weistum, das aus der sich wandelnden Konfliktsituation zwischen König und Freistühlen zu verstehen sei. Wilhelm Braueder geht von der heutigen Problematisierung des Komplexes „Gehörige Kundmachung – entschuldbare Rechtsunkenntnis“ aus und beleuchtet von hier aus Entstehung und zeitgenössisches Verständnis von § 2 ABGB. Alfred Dufour beschreibt in seinem Aufsatz „Die Genfer Annales de Législation“ eine drei Jahre ab 1820 blühende, die Internationalität von Autoren und Fragen der historischen Schule kennzeichnende besondere rechtswissenschaftliche Zeitschrift. In einem Konstanzer Stadtbuch fand Hartmut Maurer ein Hofrecht des 14. Jahrhunderts, das dorthin im Rahmen eines Rechtsstreits zweier Ausburger geraten ist, wie er in gründlicher Quellenarbeit nachweist. In einem Anhang finden sich die einschlägigen Texte seines „fündelins“ abgedruckt. In die Zeit der Französischen Revolution führt Rainer J. Schweizer mit einer quellenangereicherten Darstellung: „Die Verfassung der Republik Rheintal von 1798. Verfassungsrecht vor der Helvetik?“ Wieder ins Mittelalter leitet eine genealogische Untersuchung von Armin Wolf: „Ein Kampf um Genf: Das Geblütsrecht Rudolfs von Rheinfelden, Herzogs von Schwaben.“
Die nächsten sieben Abhandlungen stehen unter dem Titel „Philosophie und Methode“; sie sind wichtig, gehen vielfach vom Recht der Antike aus, berühren jedoch nur teilweise das klassische Feld des germanistischen Teils dieser Zeitschrift. Es haben geschrieben: Heinz Mohnhaupt, Form und Funktion des Dialogs in philosophischen und juristischen Texten, Laurens Winkel, Gesetzesadressat und Begriffsvermögen in der Antike, Theodor Bühler, Emil Remigius Frey’s Abhandlung zur Rezeption des römischen Rechtes in der Schweiz, Martin Lipp, Historisches Argument und Deutsches Privatrecht: zur Funktion der Geschichte in Johann Stephan Pütters ‚Elementa iuris Germanici’, Ditlev Tamm, Der Philosoph und das Recht: Søren Kierkegaard, Gerichtsrat Wilhelm und das Rechtsleben, Masasuke Ishibe, Nobushige Hozumi und die vergleichende Rechtswissenschaft, Wolfgang Schild, Das konkrete Ordnungsdenken als Methode der Rechtshistorie.
Auch Kunst und Kultur sind mit dem Recht und seiner Geschichte verwoben, wie das nächste Kapitel ankündigt. Ruth Schmidt-Wiegand („Eike von Repgow als Dichter“) behandelt eines ihrer Lebensthemen, den Sachsenspiegler und verbindet vor allem die Prologe mit der Dichtung etwa Walthers von der Vogelweide. Hans-Peter Benöhr rettet die Ehre des Advokaten Goethe in einem gewonnenen Prozess Frankfurter Geschäftsleute. Zu einem rechtshistorischen Spaziergang durch die Ewige Stadt führt kundig Louis Carlen („Rechtsorte in Rom“). Demgegenüber sucht Heiner Lück Rechtsikonographisches in den Gärten von Wörlitz und findet es in den Standes-, Figuren- und Legendenscheiben schweizerischer Glasmalerei. Dass auch höchstwohlanständige-bürgerliche Neujahrsblätter Juristisch-Kritisches enthalten können, erfahren wir bei Hermann Romer: „Die >Rechtsgelehrtheit< durchs Schlüsselloch betrachtet“ usw. Marie Theres Fögen beschließt diesen Teil des Bandes mit einem Essay über Verginia/Emilia, deren Tragödie die Geschichte der Zwölf Tafeln und damit die oft trockene Rechtsgeschichte überhaupt mit dem so seltenen Besuch von Pegasus bereicherte. Dass dieser ein von Klio höchst ungeliebtes Wesen wurde, zeichnet die Verfasserin so hübsch wie sarkastisch in der Abwehrschlacht der Historiker nach.
‚Dogmen und Lebenswirklichkeit’ und ‚Praxis und Aktualisierung“ der Rechtsgeschichte nennen sich die beiden letzten Kapitel, die eigentlich eines sind. Zum Rechtsbegriff in Basler Quellen äußert sich Hans-Rudolf Hagemann und greift damit in eine länger und intensiv geführte Diskussion ein. Gegenüber manchen globalen Urteilen über Recht und Gewohnheit demonstriert er nachdrücklich und überzeugend die Notwendigkeit detaillierter Quellenarbeit, will man diesen Grundfragen der Rechtsgeschichte näher kommen.
Internationale Ebenen betritt Olav Moorman van Kappen, der die Beeinflussung von Rechtsquellen in Geldern/Niederlande durch Schweizer Juristen analysiert. Ebenso geht auf internationale (Florenz und Nürnberg) Beeinflussungen im Handelsgesellschaftsrecht Albrecht Cordes ein. Gunter Wesener behandelt Fragen des österreichischen Codex Theresianus. Eine Neudeutung von Bemerkungen R. v. Ihrings zu Selbstlosigkeit und Unentgeltlichkeit liefert Claudio Soliva. Bruno Schmid stellt Details aus dem Briefnachlass Arthur Bauhofers vor, und Karl Heinz Burmeister die Löffelabgabe durch die Juden, die einen Ersatz für das christlichen Kirchen zustehende Pfarrgeld darstellen.
Um die historische Dimension des Urheberrechts geht es Elmar Wadle, der mit einschlägigen Forschungen zu diesem Thema die Urheberrechtsgeschichte recht eigentlich selbst begründet hat. In die Themen mit internationalem Bezug ist der Beitrag von Eiji Takahashi über die Rezeption des (sc. europäischen) Aktienrechts einzureihen. Sie ermöglichte mit anderen rezipierten, aber verändernd den Landesgegebenheiten angepassten Gesetzen die Industrialisierung Japans ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. In das geltende schweizerische Privatrecht führen die Ausführungen René Pahud de Mortanges’ über kirchliche Stiftungen nach Art. 87 ZGB. Ganz aktuell ist auch die Arbeit Michele Luminatis über Fragen der Justizgeschichte des schweizerischen Bundesstaates. Die Aktualität der Rechtsgeschichte für die Gegenwart ist das Thema Christoph Guggenbühls. Die Vorstellung eines Bilderbuchs für den Rechtsunterricht durch Colette Brunschwig erweckt beim Rezensenten, der seit einem Vierteljahrhundert auch im Zivilrecht unterrichtet und dieses als geistiges Etwas zu vermitteln sucht, nur die Hoffnung, dass dergleichen nicht zu Standard und Niveau künftigen Jurastudiums werden möge. Einzelkritik sei erlassen.
Indem Marcel Senn den letzten Beitrag der Festschrift dem Thema Gleichberechtigung (bei Spinoza) widmet, führt eine höchst aktuelle Frage zu geschichtlichen Dimensionen. Dessen Conclusio, am Ende des Sennschen Artikels zu finden, wird durch die ideenreichen Aufsätze der (wenigen) Damen in der Runde der Beiträger schön demonstriert.
Ein Schriftenverzeichnis demonstriert die Weite und Vielfalt der wissenschaftlichen Arbeit des Jubilars. Die ganze Festschrift ziert, was leider durch zu häufigen Gebrauch abgenutzt erscheinen mag, aber hier ehrlich gemeint ist: Vielfalt von Themen, Fülle des Gehalts, Forschung auf hohem Niveau – alles das, was der Jubilar ein hoffentlich noch lange und gesund zu wünschendes Gelehrtenleben vorgeführt hat.
Berlin Dahlem