Österreichische Rechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, hg. v. Jabloner, Clemens/Mayer, Heinz. Springer, Wien 2003. X, 226 S., 12 Abb.

 

Im Jahre 1969 lud der parteilose Justizminister Österreichs ins Gästehaus der Universität Wien in Strobl am Wolfgangsee zu einem Gespräch über Wege zur Vermeidung der Zersplitterung des Privatrechts und zur Überwindung des Dualismus von öffentlichem Recht und Privatrecht ein und regte zum Abschluss der Tagung zur Gründung einer Gesellschaft an, deren Ziel es wurde, die Struktur des bestehenden Rechts wissenschaftlich zu erforschen und auf dieser Grundlage die Erneuerung der Struktur der Rechtsordnung zu erarbeiten. Erster und einziger Präsident der Gesellschaft wurde Robert Walter, Vizepräsidenten Franz Bydlinski und Theo Mayer-Maly. Am 31. Januar 2002 löste sich die langsam alternde Gesellschaft nach mehr als 30 Jahren auf und beschloss das vorhandene Vermögen für einen biographischen Rückblick zu verwenden.

 

Damit folgte sie einem anerkannten Vorbild. Den österreichischen Rechts- und Staatswissenschaften in Selbstdarstellungen des Jahres 1952 stellte sie entsprechend der zwischenzeitlich erfolgten Trennung in Rechtswissenschaft und Staatswissenschaft die österreichische Rechtswissenschaft in Selbstdarstellungen des Jahres 2002 zur Seite. Tatsächlich erfasst wurden – mit Ausnahme Gerhard Frotzs - jene Gelehrten, die als Mitglieder der Strukturgesellschaft gewirkt und das 70. Lebensjahr überschritten haben, sowie deren Leben nicht schon an anderer Stelle ausreichend dokumentiert ist.

 

Alphabetisch geordnet nimmt der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes die Spitze ein. Den Beschluss bildet der ehemalige Präsident der Gesellschaft. Beide rahmen vor allem Universitätsprofessoren und einige leitende Praktiker ein.

 

Jedes der zwölf mit einem Lichtbild veranschaulichten Lebensbilder ist von besonderem Reiz. Die Selbstdarstellung eröffnet Blickwinkel, die üblicherweise der Außenbetrachtung verschlossen bleiben. Stärken können gut betont und Schwächen leicht überspielt werden.

 

Insgesamt ist die Rechtswissenschaft dieser Zeit noch eine vollständige Domäne der Männer, in der die Frau als Mutter und Gattin und erst in Anfängen als Assistentin – dann aber doch schon bis zu 30 Prozent – erscheint. Die Väter der Gelehrten sind ordentlicher Professor, Ingenieur, Direktor, Sektionschef, Richter, Staatsanwalt, Polizist oder Lehrer, aber auch Bauleiter, Dreher oder Schmied, Ohrfeigen gelten keineswegs immer als Schaden. Die Schulung ist meist überdurchschnittlich gut, einzelne Lehrer prägend und fördernd, Kontakte wichtig und vielfach vorhanden.

 

Das vaterländische Regime wird als die erträglichste der Räuberbanden angesehen. Das Dritte Reich wird durchweg abgelehnt, sein Ende auch in Gefangenschaft als Befreiung erlebt. Die Zuwendung zur Rechtswissenschaft erfolgt meist in verständlicher Abwägung gegenüber weiteren geisteswissenschaftlichen Neigungen. Das Studium in Wien, Graz oder Innsbruck führt trotz schwierigster Verhältnisse überwiegend zu besonderen, bis zur Promotion sub auspiciis reichenden Erfolgen, gelegentlich wird man vom Referendar zum Assessor, ohne einen einzigen Tag bei Gericht gewesen zu sein.

 

Danach werden bestimmte Berufsziele nicht in erster Linie angestrebt, sondern ergeben sich vielfach einfach wie von selbst. Man kann auf dem Tennisplatz oder an einer Straßenbahnhaltestelle eine verlockende Gelegenheit erhalten. Mehrfach wird die Habilitation völlig überraschend angeboten.

 

Die erste Professur ist meistens die schönste. Manche Institutskonferenz ist nur eine Formalität, die über eine Tasse Kaffee oder eine Zigarette nicht hinauskommt. Auch wenn die Gerechtigkeit nur annähernd erreicht werden kann, ist sie erstrebenswert. Machtgier, Egoismus, Neid und Angst als Gegner von Verantwortung müssen in ihrer Wirkung minimiert werden. Die Wissenschaft veredelt den Charakter nicht. Mit zunehmendem Alter wird auch die Mischung von Kleinkariertheit mit Heuchelei und großen Worten, der man heute nicht selten begegnet, als immer schwerer zu ertragen empfunden. Die politische Phrase wird abgelehnt und die Erneuerung des politischen Lebens auf dem Boden christlicher Soziallehre angestrebt. Dem Einzelnen, der Recht hat, dem aber Unrecht widerfährt, ist in seinem Kampf um das Recht beizustehen. Nicht immer werden freilich alle selbst gesetzten Ziele im Wesentlichen erreicht. Dessenungeachtet ist das Leben so reich an Ehren, dass eine Aufzählung vereinzelt nicht nötig erscheint. Am Ende kehrt mancher trotz aller verletzenden Geschehnisse gern zu den Ursprüngen zurück. Überraschenderweise wundert sich der eine oder andere, dass er am Ende seines Gelehrtenlebens trotz aller Verdienste und Erfolge von seiner Umwelt ohne jede Rücksicht auf Leistung aller Subsidien entsetzt wird, weiß doch jeder von den blauen Müllsäcken, in denen der zu Amt und Titel gebrachte, leistungslose Kollege nach jahrzehntelang schweigend ertragenenem Dulden und Leiden schadenfroh und unbarmherzig die Bibliothek des großen alten Mannes durch willfährige Werkzeuge vor die Türe setzen lässt.

 

Ein schönes, interessantes Buch, in dem vieles früher besser war als heute und in dem Manches auch von den besten Köpfen nicht vorhergesehen werden kann. Außer Verhältnissen, in denen Einheimische die Macht ausüben und die anderen, sofern sie mitspielen, mitleben dürfen, und Mauern des Schweigens zeigt es viel Fleiß, Mut, Einfallskraft und Verbindungen. Allen Autoren (Ludwig Adamovich, Franz Bydlinski, Hans Floretta, Heribert Harbich, Werner Hinterauer, Hans R. Klecatsky, Friedrich Lehne, Franz Matscher, Theo Mayer-Maly, Gerold Stoll, Rudolf Strasser, Robert Walter) und allen Herausgebern gebührt, auch wenn ihre bis zu 100 Mitgliedern umfassende Gesellschaft der Professoren, Minister und Präsidenten das von ihr angestrebte, unmittelbare, kaum erreichbare Ziel erwartungsgemäß nicht erreicht hat, für die Offenheit, mit der sie Herkunft, Werdegang, Familienglück und Unglück, viele Erfolge und Auszeichnungen und manchmal auch Intrigen und Enttäuschungen schildern und ihre Stellung im Gesamtgefüge von Sein und Sollen zu erklären versuchen, aufrichtiger Dank. Jeder einzelne von ihnen hat sich damit ein lesenswertes, von einem Verzeichnis von rund dreihundert weiteren Namen umrahmtes Denkmal gesetzt.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler