Nolde,
Dorothea, Gattenmord. Macht und Gewalt in der frühneuzeitlichen Ehe. Böhlau, Köln 2003. X, 462 S.
Dorothea
Nolde nimmt sich in ihrer Dissertation eines in den Quellen schwer fassbaren
und somit in der historischen Kriminalitätsforschung eher vernachlässigten
Themas an: der Gewalt in der frühneuzeitlichen Ehe – hier am Beispiel
Frankreichs. Bisher wird in der Forschung physische Gewalt als überwiegend
maskulines Phänomen beschrieben, verbale Aggression, die nicht in körperlicher
Gewalt mündete, dagegen als typisch weiblich apostrophiert.
Die
Autorin sieht Machtverhältnisse mit Michel Foucault als „Ergebnis des
Zusammenwirkens mehrerer Kräfte“ und richtet damit ihr Augenmerk auf die
Dynamik innerhalb einer hierarchischen Beziehung, wie sie die Ehe war. Männer
sind damit nicht automatisch und ausschließlich für die Täterrolle, Frauen für
die Opferrolle prädestiniert.
Eine
Stärke der Untersuchung ist nicht nur, dass Nolde sich der unterschiedlichsten Quellen
und damit Facetten zu ihrem Thema annimmt: narrative und normative Texte werden
genauso analysiert wie Prozessakten, und zwar solche von 202 Berufungsverfahren
vor dem Pariser Parlement zwischen 1580 und 1620. Die
Einbeziehung literarischer Werke rechtfertigt sich insbesondere dadurch, dass
das literarische und das juristische Milieu „sehr eng miteinander verflochten
und etliche Akteure [...] auf beiden Gebieten gleichzeitig tätig“ waren (S.
21). Topoi aus der Literatur wurden als Erklärungsmuster für Gattenmord vom
Gericht herangezogen, „um die Indizien zu einem plausiblen Bild der Tat
zusammenzufügen“ (S. 355).
Die
Autorin ordnet - ein weiteres Plus - ihre Ergebnisse der in der zweiten Hälfte
des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts sich vollziehenden Neuorganisation
der Ehe zu. Einerseits wurde die Ehe von der Kirche aufgewertet, dem männlichen
Züchtigungsrecht wurden engere Grenzen gesetzt, andererseits ging damit eine
Neudefinition der Rolle der Ehefrau einher, für welche die Pflicht zu unbedingtem
Gehorsam „zum zentralen Element“ wurde (S. 7). „In der Ehekonzeption
fand eine Verschiebung von der unbeschränkten Herrschaftsausübung des Mannes
zur unbedingten Unterordnung der Ehefrau statt.“ (S. 8) Die Ehefrau hatte die
Hierarchie „durch ihr Verhalten aktiv aufrecht zu erhalten“. In den Verfahren
gegen weibliche Angeklagte wird deutlich, dass die Gerichtsverfahren nicht nur
der Sanktionierung eines Tötungsdeliktes dienten, sondern „ebenso der
Transgression der Geschlechtsrolle der gefügigen Ehefrau“ (S. 415). Das Pariser
Parlement war aber nicht allein eine Institution,
welche eine verletzte gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen suchte,
sondern vielmehr eine, die an der Etablierung und Durchsetzung der neuen
Ordnung aktiv und maßgeblich mitwirkte.
Von den
analysierten Fällen – dreizehn von ihnen sind in einem Anhang wortgetreu
dokumentiert – betraf knapp die Hälfte weibliche Angeklagte. Diese
Überrepräsentation von Frauen erklärt Nolde damit, dass es – obwohl eine
Begnadigung beim Gattenmord als eines zu den „crimes atroces“ zählenden Deliktes theoretisch ausgeschlossen war
– in der Praxis die Möglichkeit eines Gnadenbriefes für Männer durchaus gab,
falls sie ihre ehebrecherische Frau in flagranti ertappt und im Zorn getötet
hatten. 43 % der weiblichen und 56 % der männlichen Täter waren in erster
Instanz zum Tode verurteilt worden; bei beiden Geschlechtern wurden etwa zwei
Drittel davon in der Berufung bestätigt. Die Hinrichtung statuierte mit
Vorliebe ein abschreckendes Exempel; als Hinrichtungsort wählte man
dementsprechend nicht selten den Tatort. Dabei fällt die Bedeutung des eigenen
Wohnhauses des Ehepaares auf; die Hälfte der Frauen und ein gutes Drittel der
Männer töteten ihren Partner hier. Dabei handelte es sich bei 75 % der Männer um
Einzeltäter, während bei 71 % der Frauen Komplizen ermittelt wurden. Dies hält
die Autorin allerdings zumindest teilweise für ein Artefakt, weil bei Frauen
stets – unter der Folter – nach Mittätern gefragt wurde, während dies bei
männlichen Tätern unterblieb. Bei Frauen vermutete man offenbar grundsätzlich
einen Liebhaber mit von der Partie. Konsequent wurde männlichen Mittätern dann
die eigentliche Ausführung der Tat angelastet. Da sämtliche Mittäter gleich
bestraft wurden, begnügte sich das Gericht mit Ermittlungsergebnissen wie, dass
sie „ihren Mann umgebracht habe oder umbringen ließ“ (S. 327). Unter den
Fällen, in denen die Todesursache genannt ist, befinden sich mehr als die
Hälfte erschlagene oder erstochene Opfer.
Auffallend
ist hinsichtlich der Beweismittel, dass nur 6 % der weiblichen und 22 % der
männlichen Angeklagten ein Geständnis ablegten. Bei den Frauen fielen ein
unmoralischer Lebenswandel, Streit in der Ehe und verdächtiges Verhalten nach
dem Tod des Gatten - hierzu zählten z. B. fehlende Tränen - schwer ins Gewicht.
Bei den Männern dagegen zählten eher frühere Gewalttätigkeit gegenüber der
Ehefrau und eventuelle Spuren.
Trotz
der fehlenden Geständnisse endeten 53 % der Urteile gegen Frauen mit
Hinrichtung oder Verbannung, 87 % der Männer wurden zum Tod, zur Galeerenstrafe
oder Verbannung verurteilt. Zwar sah die Ordonnanz von Villers-Cottorêts
(1539) theoretisch noch vor, dass ein unter der Folter nicht Geständiger frei
gelassen werden musste, doch setzte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts die
Vorstellung durch, dass zuvor gesammeltes Beweismaterial ungeachtet des
Ergebnisses der Folter seine Gültigkeit behalte („réserve
des preuves“).
In den
Verfahren gegen Männer orientierte sich die Beweisführung „in der Tendenz
hauptsächlich an Indizien, die darauf hinwiesen[,] dass der Angeklagte die Tat
begangen hatte, während in den Verfahren gegen Frauen die Frage überwog, ob der
Angeklagten die Tat zuzutrauen sei.“ (S. 365) So wertete man frühere
Gewalttätigkeit des Ehemannes gegen seine Frau als Hinweis, der die Frau
belastete, da man ihr deswegen Hassgefühle und Rachegelüste unterstellte; einer
Angeklagten beispielsweise hielt man vor, „dass sie ihn wegen des Hasses
zwischen ihnen umbringen ließ und dass er sie sogar an den Haaren gezogen
hatte.“ (S. 356) Wurde ein Ehemann Opfer eines Gewaltverbrechens und blieb die
Suche nach „Feinden“ erfolglos, fiel der Verdacht fast automatisch auf seine
Frau. Ehepartnern traute man offenbar in jedem Fall tödliche Feindschaft zu.
Im
Allgemeinen wurde vermutet, die Gattenmörderin sei während der Ehe untreu und
aufsässig gewesen. Und so suchte man bei Frauen zuallererst nach diesen
stereotypen Motiven: dem Wunsch nach einer neuen Heirat mit einem Liebhaber,
Zwietracht in der Ehe oder fehlendem Gehorsam und mangelnder Unterordnung.
Dieses Geschlechtsstereotyp führte dazu, dass Frauen leichter verdächtigt
wurden als Männer, teilweise „auf der Grundlage relativ vager Verdachtsmomente“
(S. 366). Doch hingerichtet wurden sie allein aufgrund ihres Lebenswandels oder
ihrer „Aufsässigkeit“ gegen ihren verstorbenen Mann nicht; so führte der
schnelle Verdacht gegen die Ehefrau dazu, dass Frauen im Vergleich zu Männern
häufiger ohne Strafe wieder freigelassen wurden. Nolde erklärt dieses
„Urteilsgefälle“ also nicht mit einer milderen Bestrafung von Frauen, sondern
mit dem „Gefälle in der Beweislage“ (S. 366), indem Männer im Vergleich zu
Frauen erst aufgrund relativ „harter“ Indizien - die später auch Bestand hatten
in Verdacht gerieten und vor Gericht
gezogen wurden. Dieser Befund greift, wie Nolde deutlich macht, die in der historischen
Kriminalitätsforschung „gängige Annahme“ an, „Frauen seien in der Frühen
Neuzeit allgemein geringer bestraft worden als Männer.“ (S. 415) und weist
damit weit über das Thema Gattenmord hinaus.
Anschau Eva
Lacour