Nedden, Christian zur, Die Strafrechtspflege im Königreich Westphalen
(1807 bis 1813). Dargestellt anhand der Praxis westphälischer
Gerichte (= Europäische Hochschulschriften II, 3609). Lang, Frankfurt am Main
2003. 160S.
Nach Art. 46 der Verfassung
des Königreichs Westphalen von 1807 sollte das
gerichtliche Verfahren öffentlich sein und „in peinlichen Fällen die
Geschworenen-Gerichte statthaben“. Diese neue „peinliche Jurisprudenz“ sollte
„spätestens bis zum ersten Julius 1808 eingeführt seyn“.
Die Arbeit zur Neddens befasst sich mit der
Strafrechtspraxis Westphalens; im Mittelpunkt steht
der Fall Claus in Braunschweig aus den Jahren 1811/12. Claus hatte sich wegen
eines Mordes an einem französischen Offizier im Januar 1812 vor dem
Schwurgericht Wolfenbüttel zu verantworten, das ihn zum Tode verurteilte. Die
von ihm eingelegte Kassation hatte keinen Erfolg. Im ersten Abschnitt stellt der
Verfasser die Strafrechtsverfassung, die Besetzung der Gerichte, die
Etablierung der Geschworenengerichte, die Verabschiedung der „Peinlichen
Prozessordnung“ vom 19. 8. 1808 sowie, soweit es die spärlichen Quellen
zulassen, die Entstehung des Code pénal von 1813 dar,
der aber nicht mehr in Kraft trat, so dass für das materielle Strafrecht die
Carolina und das partikulare Strafrecht in Betracht kamen. Anhand des Falles
Claus behandelt der Verfasser die einzelnen Strafverfahrensabschnitte
mit detaillierten Hinweisen auf die Gesetzeslage und die einschlägigen
Anweisungen des Justizministers Siméon. In einem
separaten Abschnitt (S. 88ff.) fasst der Verfasser die Praxis der
Schwurgerichte in Westfalen zusammen (politische Gesichtspunkte; Verweisung an
Sondergerichte; sonstige Eingriffe in das Verfahren; Auswahl der Geschworenen,
Rolle des Präsidenten in der Verhandlung; Fragen an die Geschworenen;
Entscheidung der Geschworenen; Entziehung von der Geschworenenpflicht; Stellung
des Verteidigers). Auch zum Kassationsverfahren findet sich S. 126ff. ein
eigener Abschnitt. Der „Epilog“ befasst sich mit der Wiederherstellung der
alten Strafrechtspflege in Hannover, in Kurhessen und Preußen, während
Braunschweig-Wolfenbüttel mit den Errungenschaften Westfalens offener als die
Nachbarstaaten umging. Auch wenn die Regierung Westfalens politisch brisante
Fälle der Entscheidung der Jury in weitem Maße entzog, hat sich das
Schwurgericht innerhalb der kurzen Zeit seines Bestehens durchaus bewährt (S.
116ff.). Wie bei dem westfälischen Code de procédure civile zeigt sich auch bei der Gerichtsverfassung und dem
Strafprozessrecht sowie beim Code pénal von 1813 die
begrenzte Eigenständigkeit der westfälischen Gesetzgebung gegenüber dem
französischen Original. Zu verdanken ist dies vor allem der Toleranz Siméons gegenüber den deutschen Rechtstraditionen, denen
die westfälischen Ministerialbeamten – anders als die Juristen des
Großherzogtums Berg – in allerdings sehr begrenztem Umfang Rechnung tragen
konnten. Insgesamt liegt mit dem erfreulich knappen, aber inhaltsreichen und
quellenmäßig sorgfältig erarbeiteten Werk zur Neddens
eine lesenswerte Darstellung vor, welche die Kenntnisse der Justiz- und Gesetzgebungsgeschichte des Königreichs Westphalen
für die Strafrechtspflege erheblich erweitert.
Kiel |
Werner Schubert |