Naegle, Gisela,
Stadt, Recht, und Krone. Französische Städte, Königtum und Parlement im späten
Mittelalter. (= Historische Studien 468). 2 Teilbde. Matthiesen, Husum 2002. 1-
352, 352-816 S.
Als am 21. Mai 1420 durch den Vertrag
von Troyes Frankreich dreigeteilt wurde, wich das Parlement aus dem jetzt
burgundisch beherrschten Paris aus und verlegte sich nach Poitiers in den dem
Dauphin Karl VII. verbliebenen Herrschaftsbereich in der Mitte und den Süden
des Landes. (Die quellenkonforme Schreibweise Parlement wird nach dem Vorbild
der Verfasserin und französischer Orthographie hier beibehalten.) Hauptgebiete
waren Poitou, Berry, Marche, Limousin und Auvergne, im äußersten Süden die
Langued’oc. Mit diesen vom Hundertjährigen Krieg zuvor heimgesuchten
Landesteilen in der geographischen Mitte Frankreichs, durch die sich die Grenze
der Langue d’oc zog, wo sich Pays de droit écrit und Coutumes oder Usages
gegenüberstanden, Eindringen des römischen Rechtes vom Süden her beobachtet
werden kann, befaßt sich die Verfasserin in ausgedehnten Untersuchungen. Lange
Listen der Archive in Paris, Toulouse, Poitiers, Clermont-Ferrand und Laon, in
der Pariser Nationalbibliothek und in der Médiathèque FranVois Mitterand in Poitiers und deren Beständen aus
Stadtarchiven, schließlich sechs Seiten im Verzeichnis der gedruckten Quellen
unterschiedlichster Provenienz und 29 Seiten des Literaturverzeichnisses
bezeugen die Intensität jahrelanger Forschung.
Im ersten Band mit dem Teiltitel „Stadt,
Krone im Spätmittelalter“ befindet sich eine ausgezeichnete Darstellung des
sehr wechselvollen Ganges der Forschung in Frankreich seit zweihundert Jahren,
verbunden mit Überlegungen über Stadtlandschaften, wobei der Stadtbegriff seit
den Klassifizierungen von Hektor Ammann, Léopold Génicot, Walter Christaller
und Jean Schneider überprüft wird im Blick auf seine Anwendbarkeit angesichts
der Vielfalt der Erscheinungsbilder von Siedlungen. Die Verfasserin greift zu
relativ weitgespannter Definition: Eine Stadt muß nach ihrer Grundvoraussetzung
größer sein als eine dörfliche Siedlung, was natürlich nur eine quantitative
Beschreibung sein kann, sie soll in der Regel nicht hauptsächlich
landwirtschaftliche Aufgaben wahrnehmen, ist andererseits weitgehend vom
agrarwirtschaftlichen Umland abhängig, dem sie indessen den Sitz von
Verwaltung, Wirtschaft, Kultur- und Religionsmittelpunkt bietet (S. 55). Bei
alle dem greift die Verfasserin auf den im Bereich der Geographie entwickelten,
wenn auch in seiner Allgemeingültigkeit nicht unangefochtenen Begriff der
Zentralität eines Ortes zurück. Von da an wendet sie sich den sogenannten
Bonnes villes zu. Nähe zum Königtum, Befestigung und Eigenverwaltung erscheinen
als charakteristische Erfordernisse für die Zuerkennung der Bezeichnung. Diese
Benennung blieb nicht gebunden an die Zugehörigkeit zur Krondomäne, wie etwa
die Auvergne zeigt (S. 63). Wie Frau Naegle zusammenfassend sagt, lassen sich
die Bonnes villes „keinem bestimmten Verfassungstyp zuordnen“ (S. 68). Sie
stellt in großer Fülle heraus, wie in einer Stadt ein Bischof oder Abt oder ein
weltlicher Herrschaftsträger Einfluß haben konnte, im Gegensatz stehend zu
Bürger- und Einwohnerschaft. Der König war Bezugsperson in rangmäßiger
Überordnung, doch stets in Rivalität mit anderen Kräften.
Die Bonnes villes kooperierten vielfach
miteinander. Es kam zu landschaftlichen Gruppenbildungen. Da liegt der
Vergleich nahe mit den Städtebünden in Deutschland, wie sie vage erstmals 1226
in Erscheinung traten und bis zum Ende des Mittelalters immer wieder in
regional wechselnden Dimensionen und mit unterschiedlicher Kraft zu beobachten
sind. Der Hauptunterschied bestand wohl in der bei den Reichsstädten betonteren
Hinordnung zu König oder Kaiser und in dem faktisch meist temporär
beschränkten, aber politisch betonten Vertragswesen mit festeren Normen als in
Frankreich. Frau Naegle weist mit Recht darauf hin, daß der Vergleich noch eine
große Forschungsaufgabe ist. Doch hierzu bergen ihre Ergebnisse wesentliche
Elemente, an denen man inskünftig nicht vorbeigehen kann.
Die Städte in der hier angesprochenen
Region Frankreichs spielten eine große Rolle im Salzhandel. Streitgegenstand
war immer die Erhebung der Salzsteuer in den Wirtschaftsbeziehungen der Städte
untereinander. Poitiers tat sich hier besonders hervor. In solchen
Zusammenhängen sehr instruktiv ist die Herausarbeitung der reichen
agrarwirtschaftlichen Ertragslage im Languedoc im Gegensatz zu Poitou, Marche
und Limousin, wo der Widerstand gegen die Steuer heftig war. Die Bürger
erinnerten dabei Karl VII. an ihre Treue in dessen schweren Kampfzeiten und
erwarteten Dankbarkeit. In Poitiers, Tours, Toulouse, Saint-Quentin wie auch in
Lyon werden die städtischen Obrigkeiten zu Fürsprecherinnen ihrer Regionen,
weisen auf ihre Haltung gegen die Engländer hin und argumentieren so gegen den
König. Andererseits feinden Troyes, Bourges, Tours und Paris je nach
augenblicklicher Konstellation die Messe in Lyon an, doch sind sie
untereinander ebenso neidisch. Ein Musterbeispiel hierfür bieten die
Auseinandersetzungen zwischen Clermont und Ferrand (S. 272ff. und 307–319).
Die Geschichte der Behörden zeigt
verschiedenartige Aspekte. Man kann nicht allgemein sagen, der König habe den
Städten Verwaltungen und deren Personal gleichsam aufgezwungen, nicht selten
wurde deren Ansiedlung sogar gewünscht, weil dadurch Rang und regionales
Ansehen des Ortes wuchsen. Das führte zu gewissen Individualisierungen des
Rechtswesens mit fortwirkender Kraft über das Spätmittelalter hinaus. Ein Beispiel
hierfür ist der Streit des Parlements von Poitiers mit dem von Paris zwischen
1418 und 1436 (S. 328-346). Hinzuweisen ist auf die sehr instruktive
Charakterisierung der Register als Beitrag zur Quellenkunde (S. 366-373).
Innerhalb der Städte herrschte eine
wahre Prozeßflut. Für deren Ursachen können hier nur Stichworte angeführt
werden: Mauerbau, Verteidigungskosten, Widerstände bei untereinander
zerstrittenen Einwohnern mit dem Klerus, Zulassung zu einem Handwerk,
Hauszinsen und wachsende Besteuerung. Die Anfänge des jeweils spezifischen
Behördenwesens haben im Süden einen leichten Vorsprung, die Einflußnahme
königlicher Funktionäre wächst sowohl im Blick auf die militärischen
Erfordernisse als auch in zivilrechtlichen Belangen. Diese Amtsträger treten
neben den Maires und Bürgervertretungen auf, sind aber auch oft genug durch die
Verwandtschaft oder Freundschaft mit maßgebenden Einwohnern verbunden in regelrechtem
Filz.
Der immer wieder aufflammende Krieg
fördert die Ausweitung des Besteuerungsanspruches des finanzschwachen Königtums
in vielfältiger Art, immer wieder wird als Motivation das Gemeinwohl, vor dem
persönliche Ansprüche und Privilegien zurückzutreten haben, angeführt. Seit
Philipp dem Schönen werden eigene Besteuerungs- und Abgabenerhebungsrechte des
Adels zurückgedrängt, ohne daß dies zu rechter Zentralisierung führen konnte.
In Fragen der Besteuerung des Klerus zugunsten etwa des Mauerbaues kommt es zu
langen Prozessen mit exzessiver Zähigkeit. Nicht nur hier, sondern in allen
möglichen Belangen führt man Klagen nicht nur an lokalen Gerichten, sondern
erhebt diese auch beim Parlement in Poitiers. Mit dem Ansehen des Parlements
stieg aber auch die Position des Königs gegenüber den Städten. An vielen
Stellen lassen sich Angaben über Prozeßkosten fassen, die natürlich stark
differierten je nach Gegenstand der Klage, der Berufung und oft nachweisbaren
Verschleppung in Form eines regelrechten Gegenprozesses, auch der weiten
Entfernung von Wohnorten der Parteien in Anbetracht der unsicheren Verkehrsverhältnisse.
Zutreffend wird als durchgehendem Grundzug auf die scheinbar nicht zu stillende
Prozeßlust der Franzosen hingewiesen. In den Klagebegründungen wie dann auf den
Verfahrensstufen kann kaum von Einheitlichheit der Rechtsnormen gesprochen werden.
Im Midi blieb aufgrund lebendiger Tradition der Rückgriff auf römisches Recht
stark, im Norden mischten sich Argumentationsweisen aus den Coutumes mit den an
Boden gewinnenden Einflüssen des römischen Rechts. Diese wurden effektiv
gefördert durch die Kanonistik, die selbstverständlich erstrangig war, sobald
klerikale Prozeßpartner in zentraler oder auch nur randlicher Position
auftraten, die aber darüber hinaus auch von Laien beachtet wurden.
Zwischen König und Parlement einerseits
und den Bonnes villes andererseits gab es durch die Prozesse viele Kontakte.
Die Steuerverwaltung brachte die Einrichtung neuer Behörden in sehr
unterschiedlicher Gestaltung. Ebenso war die wirtschaftliche Bedeutung regional
und zeitlich wechselnd in der als Bemessungsgrundlage für die Besteuerbarkeit
schwankenden Produktion von Gütern wie Tuch, Getreide, Wein und handwerklichen
Erzeugnissen. Der Fernhandel lag fast ganz in der Hand von Italienern.
Französische große Bankhäuser und –familien gab es nicht (S. 157-166). Das Bild
der wirtschaftlichen Aktivitäten wurde weitgehend bestimmt nur durch lokale und
regionale Beziehungsgefüge. Sie waren maßgebend auch für das Auftreten auf
Ständeversammlungen. Diese konnten allgemeiner Natur im Sinne von États
Généraux sein, es gab aber auch andere vom König einberufene in regionaler und
ständischer Trennung, die ebenso bezeichnet werden konnten. Die Verfasserin
weist auf die Einseitigkeiten der älteren Forschung und nachdrücklich auf die
Mangelhaftigkeit der Quellenüberlieferung hin (S. 133-139 und 167-194). Der
Begriff États Généraux tritt erst spät auf, das Wort wirkt in der Literatur
meist gekünstelt, Ereignisse wie die der Jahre 1302 und 1308 waren politische
Ausnahmefälle. Das 14. Jahrhundert brachte viele kleinregionale Versammlungen
von Städten, oft unter Teilnahme des Königs, deren Zweck weniger die Beratung
als die Verbreitung der Meinung des Herrschers war. Erst am Ende des 15.
Jahrhunderts kam es zu einem wenig ergiebigen Ringen um den Einfluß der Stände.
Die Verfasserin belegt diesen Ablauf in eingehender Würdigung der Versammlung
von 1484 (S. 181-191), als innere Zwiespälte in den Städten, deren Rivalität
untereinander und die regionalen Sonderinteressen bei Adel und Klerus eine
Einheit verhinderten. Weder den Generalständen als Ganzem „und noch viel
weniger den Städten war es gelungen, eine echte politische Teilhabe zu
erreichen. Ihr jeweiliger Handlungsspielraum konnte innerhalb dieser engen
Grenzen jedoch unterschiedlich groß sein“ (S. 190). Mit diesem Befund bringt
Frau Naegle eine Wende in die Forschung, die in Frankreich oft genug geblendet
war durch die gesuchte Erinnerung an 1789, die meist uneinheitlich und
kontrovers ist. Hierfür bringt sie im Kapitel über den Versuch Ludwigs XI.
durch die Vertreibung der Bewohner von Arras 1479 den trefflichen Beleg
intransigenter Eigensinnigkeit von Forschern (S. 194-214) und stellt dies
Ereignis wie auch andere vergleichbare Vorkommnisse in England und Spanien in
den Kontakt politischer Ambitionen.
In etwa vergleichbar als Teil des Instrumentariums
königlichen Machtstrebens sind die Wahlen und Einsetzungen von Funktionären in
Städte durch den Kronträger. Dabei sind Elemente des römischen und auch
kanonischen Rechtes in der Vorgehensweise des Königs und seiner Beauftragten zu
fassen. Ludwig XI. beanspruchte ein Interventionsrecht besonders bei Wahlen des
Maire. Die vorgelegten Beispiele betreffen so unterschiedliche Städte wie
Poitiers, Amiens, Paris und Niort. In Paris ist die Verschmelzung der
städtichen Oberschicht mit Amtsträgern des Königs deutlich, im Fall von Niort
ist andererseits die Einflußnahme des Parlements von Poitiers zu greifen.
Bemerkenswert ist, dass der König gelegentlich eine Stadtobrigkeit umwirbt
durch Adelsverleihungen. Im allgemeinen entstammten die städtischen Kandidaten
bei Wahlen und Bestätigungen meist eingesessenen Familien der Region, das
Konnubium führte in zwei bis drei Generationen zur Bildung einer Schicht, deren
Angehörige im Aufgabengefüge von Sorge für eine Stadt und Hinordnung zum König
lebten (S. 215-260). Sie entstammten, soweit erkennbar, einem relativ engen
Kreis von Familien. Nur ein gutes Zehntel derselben gehörte bereits dem Adel
an, die knappe Hälfte kam aus Kreisen der Geschäftswelt und des Handwerks, die
meisten waren bereits in Justiz und Finanzwesen tätig. Hier werden trotz der
Brüchigkeit von Quellen von der Verfasserin beachtenswerte Erkenntnisse oder
mindestens Vermutungen mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgelegt, wesentliche
Beiträge zur Sozialgeschichte geleistet. Über die Ausbildung der Amtsträger
läßt sich nichts Genaues sagen. Akademische Grade kommen kaum vor, der Besuch
von Universitäten war wohl die Ausnahme, vielleicht haben die
Machtumschichtungen besonders in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hemmend
gewirkt. Zum Gesamtbild gehört, daß unter den Möglichkeiten des Aufstiegs im
Königsdienst die Ansammlung von Reichtum im städtischen Handelsmilieu eine
Voraussetzung der Karriere sein konnte, der Landerwerb oft die Grundlage für
königliche oder auch einfach faktische Nobilitierungen war.
Die Einführung von Elementen einer
Stadtverfassung durch den König, wobei Rouen Vorbild sein konnte, eröffnete
diesem Einwirkungsmöglichkeiten. In früher Stufe der Übertragungen der
sogenannten Établissements von Rouen sind um 1200 La Rochelle, Niort,
Saint-Jean-d’Angély, Angoulême und Poitiers zu nennen, bald gefolgt von Cognac
mit Saintes, Oléron, Bayonne und Tours (S. 248). Wie die später einsetzende
Überlieferung der Quellen, die von der Verfasserin im zweiten Teil ihrer
Darstellung mit großer Fülle von Fallstudien ausgewertet werden, zeigt, gibt es
in einer Rezension kaum bis in die Einzelheiten ganz wiederzugebende
Lebhaftigkeit des Geschehens an den Gerichten. Im Parlement von Portiers wurden
verhandelt Fälle von Mord und Veruntreuung als Tatbestände in Toulouse und
Limoges. Münzvergehen gehörten zum Alltag. Vor dem Hintergrund des Krieges mit
England und Burgund entwickelten sich im Gebiet Karls VII. in zaghaften
Ansätzen Vorstellungen eines königlichen Gewaltmonopols gestützt auf Beamtentum.
Akte von Selbsthilfe und nicht selten von Rache führten zu regelrechten
Prozeßgeflechten vor dem Parlement, weil die örtlichen Gerichte in ihrer
Abhängigkeit von den Parteien sehr oft unfähig waren zum Entscheid. Natürlich
blieben die Chancen der Vollstreckung eines Urteils, das vor dem Parlement
erfochten worden war, höchst unsicher. Schöffen waren meist untereinander
verfeindet, doch oft einig in der Gegnerschaft zu Funktionären des Königs. Das
zeigte sich 1422/23 in La Rochelle, wo das Eingreifen Karls VII. keine Ordnung
brachte. Denn seine Beauftragten waren viel zu intensiv in die innerstädtischen
Parteiungen verstrickt. – Die Streitgegenstände zeigen die bunte Vielfalt der
Befestigungsrechte und –kosten, Wachdienste, Sonderabgaben, Besteuerungsrechte
von Städten, Immunitäten geistlicher Institutionen, Grenzbestimmungen,
Straßenpflasterungen, Weinverkauf, die Anwesenheitspflicht bei Hinrichtungen.
In Bourges gerieten Beauftragte des Königs in Streit mit den Metzgern in Fragen
der Zulassung zum Handwerk. Ähnliche Ereignisse lassen sich rekonstruieren in
La Rochelle, Chinon, Angers oder Saint-Maixent im Poitou. Allerdings muß man im
Einzelfall, besonders in privatrechtlichen Prozessen, mit Unsicherheiten der
Überlieferung rechnen, worauf die Verfasserin nachdrücklich hinweist (S. 665).
Überhaupt ist bei der Klärung von Argumentationsmustern zu berücksichtigen, daß
viele Normen des römischen und kanonischen Rechtes ebenso wie die Usages
besonders im Norden des Untersuchungsgebietes zwar offensichtlich wohl bekannt
waren, doch auf genaue Zitierweise im Sinne moderner Belegerfordernisse meist
verzichtet wurde.
Ein eigenes Kapitel widmet Frau Naegle
den noch offenen Fragen. Hier nennt sie Überlegungen über die Klagemöglichkeit,
die bei Städten und Dörfern unproblematisch war, wobei die Argumentation der
Klageerhebung häufig auf das Corpus Iuris, die Glossen und das kanonische Recht
sich stützen konnte, aber auch Bezugnahmen auf die Coutumes kommen vor.
Hinweise auf das Gemeinwohl spielen in der zeitgenössischen Literatur, wie bei
Thomas von Aquin, Placentin, Azo, Accursius und in den Schriften der
Rechtsgelehrten von Orléans eine Rolle (S. 713). Als Aufgabe sieht die
Verfasserin die Rekonstruktion von Parlementsprozessen und macht darauf
ausmerksam, dass man im Parlement eher grundsätzliche Formeln, nicht aber
Einzelurteile brachte. Mit noch mehr Nachdruck vermerkt sie, dass trotz
erheblicher Leistungen in der Erhellung der Geschichte des Strafrechts
Korrekturen nötig sind hinsichtlich etwa des Strafvollzuges. Diesbezüglich
mahnt sie an, von den weit verbreiteten Ansichten über Grausamkeiten Abstand zu
nehmen. Untersuchungen über die Urteilsvollstreckungen seien notwendig.
Zutreffend weist sie auf die Weite der Entscheidungsspielräume der
mittelalterlichen Richter in Frankreich hin, die natürlich heute definitive
Aussagen erschweren. Zudem wurden oft Streitigkeiten außergerichtlich
beigelegt. Wenn Frau Naegle von einer Grauzone des Zivil- wie auch des
Strafrechtes spricht, deutet sie nicht nur die Schwierigkeiten des Bemühens um
sichere Erkenntnise an, sondern dämpft gewisse Erwartungen, zumal sie selbst
oft genug auf die Lückenhaftigkeit der Quellen hinweist. Man muß vielleicht die
Vorstellung begraben, daß das Rechtswesen auf unteren und mittleren Ebenen
flächendeckend erfaßt und dargestellt werden könnte. Aber auch im höchsten
Bereich der Rechtssprechung bestehen noch erhebliche Lücken. Die Verfasserin
weist da auf die Vertreter der Krone hin, denen unter anderem die Ausdehnung
der Kompetenz der königlichen Gerichte als Aufgabe gestellt wurde. Sie weist
auf die Bestände der Parlemente von Paris und Toulouse hin, deren Auswertung im
Rahmen ihrer Untersuchungen nicht möglich war (S. 720).
Zum Schluß noch eine Bemerkung zur
Textgestaltung: Die Verfasserin bringt die meisten Quellenstellen im
fortlaufenden Text in der Orthographie des 15. Jahrhunderts. Das hat den
Rezensenten erfreut, zumal er hier wie gleichermaßen Frau Naegle Zuneigung für
die in der Mitte Frankreichs liegenden Landschaften verspürt. Diese Art der Darstellung
überfordert jedoch zweifellos viele Leser angesichts des Rückganges des
Französischen zu Gunsten eines oft nicht gerade hoch qualifizierten Englisch.
Zu begrüßen ist ein kleines Glossar mit heute ungebräuchlichen Wörtern und
Sachbezeichnungen. Doch waren alle Textwiedergaben in dieser Ausdehnung
notwendig? Durch Regestierung hätte man Platz sparen und oftmals wiederkehrende
Formeln weglassen können. Dies sei nicht das letzte Wort. Man sollte nicht nur
dankbar sein für die jahrelange Forschung und deren Ergebnisse. Hier wird ein
in seiner Art für die Belehrung von Experten wichtiges, die Ideen für die
weiteren Initiativen auf dem Felde europäischer Städtegeschichte wie für die
weiten Bereiche der Rechts- und Sozialgeschichte vorantreibendes Werk von bleibenden
Bedeutung vorgelegt.
Wiesbaden Alois
Gerlich