Naas, Stefan, Die Entstehung des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931. Ein Beitrag zur Geschichte des Polizeirechts in der Weimarer Republik. (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 41). Mohr (Siebeck), Tübingen 2003. XI, 395 S.

 

Für einen rechtshistorisch besonders Interessierten, im geltenden Polizeirecht Arbeitenden, der die Entstehung eines „Deutschen Polizeirechts!?“ in der Nachkriegszeit besonders verfolgt, ist eine Arbeit über „Die Entstehung des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931“ von besonderem Reiz. Besonders verdienstvoll in der vorliegenden rechtshistorischen Dissertation ist die Analyse der von Geltendrechtlern getroffenen „polizeihistorischen“ Aussagen und deren Kontrastierung zu rechtshistorischen Erkenntnissen. Sehr schnell wird deutlich, dass sich beide Sichtweisen nur in einem Punkte decken: Das preußische Polizeiverwaltungsgesetz hat auch heute noch einen kaum zu überbietenden Stellenwert im System der Verwaltungsgesetze sowohl der Vor- als auch der Nachkriegszeit. Auch heute noch wird auf die Vorbildfunktion dieses Gesetzes hingewiesen.

 

Während der Rechtshistoriker jedoch den historischen Prozess der Gesetzgebung als solchen - um seiner selbst willen - zeichnet, instrumentalisiert der vom geltenden Recht ausgehende Wissenschaftler eine historische Entwicklung mehr nach deren Ergebnissen - um der Erklärung geltendrechtlicher Sichtweisen willen. Der Rechtshistoriker geht aus von Motiven und zeichnet einen Prozess nach, wertet auch den intendierten Regelungsgehalt, sieht aber weniger den in der Folgezeit praktizierten Umgang mit der Norm. Beides aber kann durchaus auseinander fallen, gerade im Polizeirecht mit seiner besonderen Bedeutung für ein Staatsverständnis im Wandel.

 

Sehr deutlich wird in der kurzen Analyse des „PVG aus der Perspektive der geltenden Polizeirechtslehre“ (S. 3ff.), dass der Polizeirechtler auf die Geschichte zurückgreift um darzulegen, wie Fragen etwa von Generalklausel und Spezialermächtigung, Opportunitätsprinzip und Legalitätsprinzip, Polizeistaat und Rechtstaat etc. in früheren Zeiten von Gesetzgebung, Gerichten und Verwaltungspraxis gehandhabt wurden. Dabei wird Geschichte instrumentalisiert und (so) mitunter auch manipuliert. Als Quintessenz der knappen Analyse gelangt Naas zu dem Ergebnis: „Dass das PVG damit funktionalisiert und die Erinnerung somit auf die Generalklausel und das materielle Polizeirecht reduziert wird“. Für den Rechtshistoriker Naas sind „die Konsequenzen absehbar“ (S. 5): „Wo die Geschichte eines Gesetzes als Teil der Rechtsgeschichte nur dienende Funktion hat, rücken seine Entstehungsgründe und eine Würdigung der gesetzgeberischen Absichten zwangsläufig in den Hintergrund …. Ein Rückblick auf das preußische Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 und seine Entstehung erscheint aus rechtsgeschichtlicher Perspektive deshalb lohnend.“

 

Die auf dieser Basis vorgelegte glänzende rechtshistorische Arbeit gibt Anlass, die eine oder andere Aussage der Geltendrechtler zu überdenken. Die Dissertation sollte aber immer als das gesehen werden, was sie ist: eine rechtshistorische Arbeit zum Prozess der Verwaltungsreformen nach dem 1. Weltkrieg. Mit der in der Polizeirechtsgeschichte immer wieder herausgestellten umfassenden Bedeutung des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes für eine Geschichte der Polizeien in Deutschland begründet Naas die „Preußenzentrierung“ seiner Arbeit. Unverschuldet setzt Naas damit die Gefahr, dass preußenbezogene Erkenntnisse „wieder einmal“ verallgemeinert auch in polizeihistorische Arbeiten für andere Länder Eingang finden. Es gibt jedoch nicht eine deutsche Polizeigeschichte, sondern allenfalls eine Geschichte von Polizeien in Deutschland. Zeitlich wird die Untersuchung mit dem Inkrafttreten des Polizeiverwaltungsgesetzes am 1. Oktober 1931 abgeschlossen und nur ein ganz kurzer Blick auf die fortdauernde Geltung nach 1933 geworfen. Die Bedeutung des Polizeiverwaltungsgesetzes für die Gesetzgebung nach dem 2. Weltkrieg bleibt außen vor. Mit der Einbettung seiner Untersuchung in den Prozess der Verwaltungsreformen hat Naas zu Recht und immer wieder pointiert das Polizeiverwaltungsgesetz in einen größeren Rahmen gestellt. Ziel der Arbeit war die Rekonstruktion der Gesetzgebungsgeschichte des Polizeiverwaltungsgesetzes als Teil und Abschluss einer nur teilverwirklichten Gesamtreform der preußischen Verwaltung.

 

Die Arbeit folgt einer chronologischen Gliederung. Im ersten Hauptteil beschreibt sie die gescheiterten Bemühungen von Bill Drews bei den direkten Vorarbeiten für das spätere Polizeiverwaltungsgesetz. Der zweite Hauptteil untersucht die Entwicklung seit 1924. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei die Beschreibung der Wechselwirkung von Rechtsprechung, Lehre, Politik und Ministerialbürokratie. In beiden Hauptteilen wird jeweils neben der äußeren Gesetzgebungsgeschichte auf die Ausarbeitung der Inhalte des Polizeiverwaltungsgesetzes eingegangen. Es geht um fundamentale Bauprinzipien des materiellen Polizeirechts. In so weit dient die Arbeit in hervorragender Weise der Untermauerung von Entwicklungslinien des heutigen Polizeirechts. Neben dem materiellen Polizeirecht wird aber auch die Darstellung der Reform des formellen Polizeirechts in den Blick genommen – ein Aspekt, der für den dem geltenden Polizeirecht Verpflichteten weniger bedeutsam erscheint, jedoch in einer Geschichte eines Reformwerks nicht unbehandelt bleiben darf. Vor dem Erkenntnishintergrund des Polizeiverwaltungsgesetzes als Reformgesetz wirft Naas so zentrale Fragen auf wie „geht es bei dieser Polizeirechtsreform um mehr Rechtsstaat oder nur um die Steigerung polizeilicher Effektivität?“ Wurde die partielle Umgestaltung des Polizeirechts wirklich durch die „ökonomisch-gesellschaftliche Krisensituation“ hervorgerufen oder war sie „durch die Folgen des verlorenen Krieges 1914-1918, durch die Ablösung der monarchischen durch die republikanisch-demokratische Staatsverfassung … und schließlich durch die veränderte Stellung der Polizei im Volke“ notwendig geworden?“ – Fragestellungen wie sie u. a. aus dem Zusammenhang mit den Stein/Hardenbergschen Reformen nicht unbekannt sind -.

 

Gerade die Sicht der Entstehungsgeschichte als Reformprozess und die Verfolgung dieses Prozesses unter den angesprochenen Fragestellungen lässt die vorliegende Arbeit zu einem bedeutsamen „Beitrag zur Polizeigeschichte in der Weimarer Republik“ werden. Die selbst gestellte Aufgabe (S. 16) hat Naas in ausgezeichneter Weise bewältigt.

 

Würzburg                                                                                           Franz-Ludwig Knemeyer