Langbein, John H., The Origins of Adversary Criminal Trial (= Oxford Studies in Modern Legal History). Oxford University Press. Oxford 2003. XXII, 354 S.

 

Im 18. Jahrhundert wurde im anglo-amerikanischen Recht der Wandel von einem anwaltfreien zu einem von Anwälten dominierten Strafverfahren vollzogen. Warum es Beschuldigten nun erlaubt wurde, sich eines Anwalts (counsel) zu bedienen und welche Entwicklungen dazu führten, ist Thema des Buches, dessen Hauptquelle die Old Bailey Session Papers sind, auf deren Quellenwert in Kapitel 4 eingegangen wird. Ergebnis der Untersuchung ist, dass die „lawyerization of the criminal trial“ keineswegs gezielt herbeigeführt wurde, sondern vielmehr – ungewolltes - Ergebnis der Bemühungen um ein faires Verfahren war.

 

Seit die Geschworenen nicht mehr aus der unmittelbaren Umgebung des Tatortes kamen und somit nicht mehr aus eigenem Wissen urteilen konnten, waren sie auf den Angeklagten als Informationsquelle angewiesen. Dieser musste dazu gebracht werden, alles preiszugeben, was er über die Tat wusste. Deshalb sollte er sich keines Anwalts bedienen dürfen. Dieses Anwaltsverbot sah man als durchaus vorteilhaft für den Beschuldigten an, der seine Interessen selbst am besten vertreten konnte, wie man meinte. Die notwendigen Informationen erhielten die Geschworenen also durch den „Schlagabtausch“ (altercation), der zwischen dem Angeklagten (citizen accused) und dem Kläger (citizen accuser) vor Gericht stattfand.

 

Die Strafverfolgung lag vornehmlich in der Hand von Privatklägern, denen aber von öffentlicher Seite Unterstützung zuteil wurde durch die Justices of the Peace (Marian Committal Statute 1555), die unter anderem Verhaftungsbefehlen ausstellen, Voruntersuchungen durchführen, Untersuchungshaft oder die Vorladung von Belastungszeugen anordnen konnten.

 

Dass Strafverfahren keineswegs immer fair waren, zeigte sich in den Hochverratsprozessen des 17. Jahrhunderts. Hier wurde deutlich, dass die Richter nicht, wie eigentlich vorgesehen, „counsel for the accused“ waren. Auch wurde offenkundig, dass die Beschuldigten durch die Untersuchungshaft und das Anwaltsverbot benachteiligt wurden. Abhilfe sollte der Treason Trial Act von 1696 (unter anderem Zulassung von Anwälten) schaffen, der Anwälte für die Verteidigung zuließ - allerdings nur in Hochverratsprozessen.

 

Seit den 1730er Jahren war dies dann auch in „normalen“ Strafverfahren (Felonies) erlaubt, doch mussten sich die Anwälte hier zunächst auf Zeugenbefragungen beschränken. Diese Öffnung der Felony-Verfahren für Anwälte ging ebenso auf eine Initiative der Richter zurück wie die Herausbildung des „law of criminal evidence“, worunter die „character rule“ (es war der Anklage verboten, auf den schlechten Charakter des Angeklagten hinzuweisen, es sei denn, der Beschuldigte selbst berief sich auf seinen „guten Ruf“), die „corroboration rule“ (neben der Kronzeugenaussage mussten noch andere Beweise vorliegen für eine Verurteilung); die „confession rule“ (nur freiwillige Geständnisse wurden zugelassen, keine, die z. B. in der Hoffnung auf Strafmilderung abgelegt wurden) und die „hearsay rule“ (Informationen, die auf Hörensagen beruhten, durften nicht beachtet werden) verstanden werden.

 

Die Richter reagierten mit ihren Initiativen auf Veränderungen im Verfahrensrecht, nämlich auf den Einsatz von solicitors in Felony-Verfahren, die bei der Vorbereitung der Anklage halfen, sowie auf zwei Maßnahmen, die zu falschen Anschuldigungen geradezu einluden, und zwar auf die Zusage von Belohnungen bis zu £ 40 für die Überführung von Tätern, denen Eigentumsdelikte zur Last gelegt wurden und auf Kronzeugenaussagen.

 

Die Anwälte reklamierten jedoch eine immer größere Rolle für sich und machten so den Angeklagten letztlich stumm („silencing the accused“). Am Ende der Entwicklung stand das „adversary criminal trial“, in dem Anwälte die Beweismittel sammeln und präsentieren sowie Zeugenbefragungen im Gericht durchführen. Hier ging es nicht darum, ,die Wahrheit’ herauszufinden, sondern in erster Linie darum, die Jury für sich zu gewinnen (combat effect). Dabei war offensichtlich, dass begüterte Angeklagte, die sich einen guten Anwalt leisten können, im Vorteil waren (wealth effect). Trotz dieser auch schon im 18. Jahrhundert erkannten Defizite übernahm man nicht das kontinentale Rechtssystem, unter anderem weil der Einsatz von Folter zur Erzwingung von Geständnissen abschreckte.

 

Den ausschlaggebenden Grund für die Entwicklung des anglo-amerikanischen Prozessverfahrens sieht der Verfasser letztlich in Versäumnissen der Regierung: „Had English governments faced the need to devote thought and resources to the problems of criminal investigation and prosecution in the pretrial phase, the lawyers would not have had their opening into the eighteenth-century criminal trial. Adversary trial was the judges’ response at the trial level to the dangers of the pretrial process“ (S. 4-5).

 

Der Wandel vom „altercation trial“ zum „adversary trial“ vom Ende des 16. bis zum 18. Jahrhundert ist in diesem Buch überzeugend dargestellt. Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die These, dass das „altercation trial“ als Antwort auf den ,Verlust’ der „self-informing jury“ im Spätmittelalter Gestalt annahm (S. 64). Das hervorstechende Merkmal eben dieses „altercation trial“ war, wie immer wieder im Buch betont, das Anwaltsverbot für den Beschuldigten, weil dieser für sich selbst sprechen sollte. Während des 15. Jahrhunderts aber, als die Jury schon nicht mehr „self-informing“ war, durften Angeklagte in privaten Felonyverfahren (appeals), die man wohl als Vorläufer des „altercation trial“ bezeichnen kann, sich eines counsels bedienen (vgl. John B. Post, The Admissibility of Defence Counsel in English Criminal Procedure, in: Journal of Legal History 5 [1984] S. 23-32). Während also die Frage, was das Pendel in Gang setzte, noch offen ist, gibt das Buch über die folgenden Pendelausschläge bis zum 18. Jahrhundert eindrucksvoll Auskunft.

 

Fürth                                                                                      Susanne Jenks