Laeverenz, Judith, Märchen und Recht. Eine Darstellung
verschiedener Ansätze zur Erfassung des rechtlichen Gehalts der Märchen (=
Rechtshistorische Reihe 247). Lang, Frankfurt am Main 2001. 236 S.
Die Arbeit von Judith
Laeverenz ist als juristische Dissertation an der
Universität München an der Schnittstelle zwischen Rechtsphilosophie und
Rechtsgeschichte entstanden. Wie die Autorin im Untertitel klarstellt, handelt
es sich nicht um einen weiteren Versuch, Beziehungen zwischen Märchen und Recht
aufzudecken bzw. herzustellen. Vielmehr gibt die Arbeit einen Überblick über
verschiedene methodische Ansätze zur Erfassung des rechtlichen Gehalts von
Märchen, die aus so unterschiedlichen Disziplinen wie der Rechtsgeschichte, der
Rechtsethnologie, der Rechtsphilosophie sowie der Kriminalpsychologie stammen.
Das Spektrum reicht dabei von den romantischen Vorstellungen Jacob Grimms
über die Verwandtschaft zwischen Poesie und Recht bis zu
kriminalpsychologischen Überlegungen Klaus Lüderssens
oder der Gerechtigkeitstheorie John Rawls‘.
Diese Ansätze rechtlicher Märchenanalysen will die Autorin einer methodischen
Kritik unterziehen, um ihre Tragfähigkeit bzw. ihre Schwächen aufzuzeigen.
Bereits in der Literatur formulierte methodische Anforderungen sollen
systematisch dargestellt, außerdem neue Anforderungen entwickelt werden. Die
vielfältigen Bemühungen um die Erkenntnis eines Zusammenhangs zwischen Märchen
und Recht kontrastiert Laeverenz mit einer
Darstellung von „Konfrontationen zwischen Märchen und Recht in verspottenden
Nachahmungen und Anspielungen (Parodie, Travestie, Karikatur, Cartoon)“ (S.
175ff.), die ihre Wirkung gerade aus der modernen Trennung beider
Lebensbereiche beziehen.
Das Buch bietet
einen Überblick über wissenschaftliche Thesen, die streckenweise kaum weniger
phantasievoll anmuten als die Märchen selbst. Allerdings gelingt dabei die
angestrebte kritische Bewertung der vorgestellten Methoden nicht immer.
Erforderlich wäre ein konkreteres Eingehen auf historische Position und
Zeitgebundenheit der vorgestellten Forscher und ihrer Ansätze. Gerade bei der
Diskussion um die deutschen, europäischen oder orientalischen Wurzeln von
Märchen und Märchenmotiven sind solche Hintergründe unverzichtbar, um beispielsweise
die vordergründig gleichlautenden Thesen der Brüder Grimm,
Karl Friedrichs‘ und Jens Christian Jessens
von der deutschen Herkunft der Märchen und ihrer Motive in ihren
zeitgeschichtlichen und ideologischen Prämissen einzuordnen und zu würdigen. In
ihrem Fazit weist Laeverenz auf eine Falle in
der Beschäftigung mit gerade den deutschen Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
hin, gestellt vom Altvater der Germanistik
Jacob Grimm persönlich. Durch seine Doppelrolle als
Märchensammler und Märchenredaktor wie auch zugleich als Interpretator
des Märchenstoffes unter dem Blickwinkel der „Rechtsalterthümer“
läßt er einen circulus
vitiosus aus Gestaltung und Auslegung entstehen, der nur durch eine
detaillierte Quellen- und Motivkritik zu durchbrechen ist. Dagegen hinterlassen
als „methodische Anforderungen“ (S. 200) deklarierte Untersuchungsergebnisse
wie „Das Märchen unterliegt als unterhaltende Erzählung gewissen Einflüssen der
Phantasie und epischen Gesetzmäßigkeiten“ oder „Besondere Vorsicht ist geboten,
wenn versucht wird, Märchenhandlungen oder -motive mit Hilfe
rechtsgeschichtlicher Gegebenheiten zu interpretieren, ohne daß
sich auf der Textebene eine deutliche Stütze findet“ (beide Zitate S. 201), einen
eher schalen Nachgeschmack.
So führt die
Autorin anhand ihrer Untersuchung von Methoden und methodischen Mängeln
deutlich vor Augen, vor welch nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten jeder
Versuch steht, in Märchen bzw. ihren „entwirklichten“
und sublimierten Motiven Spiegelungen historischen Rechtsdenkens zu finden.
Zugleich aber fühlt sich der Leser angespornt, selbst wieder zu den Märchen der
Brüder Grimm zu greifen und sie, methodisch gleichermaßen vorgewarnt wie
gewappnet, gegen den – rechtshistorischen – Strich zu lesen.
Würzburg Christiane
Birr