Ländliche Rechtsquellen aus dem Kurmainzer Rheingau, bearb. v. Jeschke, Peter (= Geschichtliche Landeskunde 54). Steiner, Stuttgart 2003. XLII, 604 S.
Ländliche Rechtsquellen bilden seit mehreren Jahren einen Arbeitsschwerpunkt des Mainzer Instituts für geschichtliche Landeskunde. Bisher liegen Bände für das kurtrierische Amt Cochem (1986) und die kurmainzischen Ämter Olm und Algesheim (1996) vor. Der von Peter Jeschke bearbeitete Band über den kurmainzischen Rheingau bildet den Kern der 2002 angenommenen Dissertation des Verfassers. Für die Veröffentlichung wurde die Auswertung zugunsten der Edition auf eine knappe Einleitung gekürzt.
Der Rheingau umfaßt in der Definition Jeschkes die 20 Orte im Geltungsraum des Rheingauer Weistums von 1324. Damit ist zugleich eine historische Grenze bezeichnet, nämlich das sog. Gebück, eine befestigte Grenzhecke, die den Rheingau nach außen umschloß. Innerhalb dieser Einfriedung gab es eine seit dem 19. Jahrhundert so bezeichnete Rheingauer Freiheit, es existierte keine Leibeigenschaft. Als erstes geschlossenes Herrschaftsgebiet des Erzstifts Mainz verfügte der Rheingau über einen eigenen Landtag (seit 1324 belegt) mit einer Repräsentation der Landbürger. Diese außergewöhnliche Sonderstellung endete bereits 1527 weitgehend, als nach dem gescheiterten Bauernkrieg der Landesherr zahlreiche Vorrechte der Rheingauer Bevölkerung beseitigte und das Gebiet straffer in seinen Herrschaftsverband eingliederte. Über die verfassungsgeschichtliche Situation informiert die Einleitung Jeschkes ebenso zuverlässig wie vor allem über die Besetzung und Kompetenzen der zahlreichen Gemeindeämter. Auch die Abgrenzung zwischen einem aus Schultheiß und Schöffen bestehenden Ortsgericht und dem vom Adel mitgetragenen Haingericht zur Klärung von Aufsichtsaufgaben und Allmendefragen wird gut herausgearbeitet.
Die Edition enthält über 250 Rechtsquellen aus 20 Orten vom 14. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches. Der zeitliche Schwerpunkt liegt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Beschränkung auf ländliche Quellen wird flexibel gehandhabt. So fand Eltville Aufnahme in den Band, obwohl es seit 1332 Stadtrecht besaß. Das Argument, dort habe sich keine städtische Struktur nachweisen lassen, außerdem unterschiede sich das Recht kaum von den umliegenden Ortschaften, mag aus praktischen Gründen akzeptabel sein. In prinzipieller Hinsicht ist die Einebnung des Stadt-Land-Unterschieds aber problematisch, wenn man bedenkt, daß Eltville mit 49 Rechtsquellen allein fast ein Fünftel des Bandes einnimmt. Zumindest einen quantitativen Unterschied zwischen städtischer und ländlicher Rechtssetzung scheint es also auch im Rheingau gegeben zu haben.
Jeschke ordnet innerhalb der Ortskapitel die Quellen chronologisch, grenzt in der Einleitung aber drei Sachtypen voneinander ab: 1. Weistümer und herrschaftliche Ordnungen, 2. gemeindeinterne Ordnungen, 3. Vereinbarungen von Gemeinden untereinander. Rechtsquellen für Kurmainz im ganzen oder den gesamten Rheingau werden also nicht dokumentiert. Teilweise erhalten die edierten Quellen knappe Hinweise des Herausgebers zu ihrer Entstehung und Überlieferungsgeschichte. Einige Punkte bleiben freilich offen, so etwa die Frage, weshalb das Eltviller Oberamtsbuch 38 Rechtsquellen umfaßt, aber zwischen 1559 und 1775 eine über zweihundertjährige Lücke klafft. Inhaltlich sind für die Rechtsquellengeschichte vor allem Ortsbeschreibungen zur Beantwortung kurfürstlicher Fragebögen aufschlußreich. Die mehrfach auftretenden Jahreszahlen 1671 und 1691/92 zeigen, daß man es mit einer planmäßigen Bestandsaufnahme zu tun hat, mit einer sog. Enquête. Leider stößt gerade hier die Quellenedition an ihre Grenzen, weil die zu beantwortenden Fragen in den handschriftlichen Vorlagen häufig nicht wiederholt wurden.
Die Konzentration auf gemeindespezifische Rechtssetzungen läßt den Trend zur strafferen Territorialisierung seit der Mitte des 16. Jahrhunderts kaum erkennen. Der Bearbeiter weist hierauf ebenso hin wie auf einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt: Sämtliche Quellen normieren Sollzustände. Ob das Ortsleben im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rheingau tatsächlich so aussah, wie die Ordnungen dies vorsahen, kann eine Beschäftigung allein mit dieser Quellengruppe nicht klären. Dennoch ist die Erschließung eines abstrakt-generellen Normenbestandes eine wichtige Hilfe für künftige Forschungen. Die Akribie bei der buchstabengetreuen Umsetzung der Handschriften ist besonders bemerkenswert. Ein ausführliches Personen- und Ortsregister richtet sich vorwiegend an Regionalhistoriker, das detaillierte Sachregister erschließt die ländlichen Quellen aber auch für rechtshistorisch interessierte Benutzer.
Bern Peter Oestmann