Klinger, Andreas, Der Gothaer Fürstenstaat.
Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen (=
Historische Studien 469). Matthiesen, Husum 2002. 399 S.
Als „hervorragendsten
Vertreter einer Fürstengeneration“ hat Fritz Hartung Ernst den Frommen
(1601-1675) bezeichnet, der „in altväterischer Frömmigkeit und pflichtgetreuer
Arbeit (...) nach den Verheerungen des Krieges auf die Wiederherstellung von
bürgerlichem Wohlstand und christlicher Zucht wirkte“ (Deutsche
Verfassungsgeschichte, 5. Aufl., 1950, S. 138). Entsprechend große
Aufmerksamkeit hat die Person des Fürsten bis hin zur hagiographischen
Verklärung im Schrifttum erfahren (vgl. S. 16f.). Anders verhält es sich mit
dem von Ernst beherrschtem Herzogtum Sachsen-Gotha, das bislang nur unter dem
Gesichtspunkt des - angesichts der Einführung einer allgemeinen Schulpflicht,
der Herausgabe einer neuen, ernestinischen Lutherbibel und eines bald weit
verbreiteten Gesangbuchs, sowie großer Bemühungen um die Erwachsenenkatechese -
musterhaften „Kirchen- und Schulenstaats“ erschöpfend untersucht wurde.
Die von Georg
Schmidt betreute Jenaer Dissertation schließt diese Lücke jedenfalls
teilweise. Sie bietet ein durch die umfassende Auswertung einschlägigen
Archivmaterials quellenmäßig solide erarbeitetes Bild einer frühneuzeitlichen
Territorialstaatsbildung. Seine Darstellung konzentriert Klinger dabei
allerdings auf die Anfangsphase der Regierung Ernst des Frommen, d. h. auf die
Zeit von der nach Erlöschen der Coburger und der Eisenacher Linie erfolgten
ernestinischen Landesteilung von 1640/41, bei der das Herzogtum Sachsen-Gotha
neu gebildet wurde, bis etwa zur Testamentsniederschrift durch den Herzog im
Jahre 1654. Die Konsolidierungsphase des neuen Staatsgebildes bis zum Tode
Ernsts 1675, nach dem das Herzogtum, einem spezifisch protestantischem Denken
über die Gleichheit der Nachkommenschaft entsprechend, unter seinen sieben
überlebenden Söhnen aufgeteilt wurde, bleibt demgemäß unterbelichtet. Klinger
sieht übrigens durchaus die Problematik einer fehlenden Primogeniturregelung
und der damit verbundenen fehlenden Absicherung territorialer Integrität für
eine an der Idee der Staatsräson orientierte Staatlichkeit, unterscheidet
hiervon jedoch die auch in diesem Falle mögliche Ausbildung staatlicher
Strukturen und Herrschaftstechniken (S. 14f.). Thematisch liegt der Schwerpunkt
der Arbeit dann auch im Aufzeigen eines solchen inneren
Staatsbildungsprozesses, dessen Schilderung aber ein eigenes Kapitel über die
Außenverhältnisse Sachsen-Gothas vorgeschaltet ist.
Zur
Etablierung staatlicher Strukturen in einem aus thüringischen und fränkischen
Landesteilen bestehenden weitgehend künstlichen territorialen Gebilde, das
zudem im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges buchstäblich „ausgeblutet“ war, war
der administrativ geschulte Herzog bereits unmittelbar nach Herrschaftsantritt
gezwungen. Klinger befaßt sich demzufolge zunächst mit dem Aufbau eines
funktionierenden Verwaltungsapparats aus Regierungskollegien, die für die
Integration eines Territorialstaats „von oben“ sorgen sollten (S. 80), und aus
lokaler Verwaltung in Ämtern und Gemeinden, in denen im Zuge der intensivierten
administrativen Durchdringung des Landes der staatliche Einfluß bis in die „alltäglich
erfahrbare politische Organisationsform der Bauern und Bürger“ hinein
institutionalisiert werden sollte (S. 103). Dabei zeigen die zum Zwecke der
Festigung des ordnungspolitischen Programms implementierten policeylichen
Maßnahmen zur disziplinierenden Verhaltenssteuerung der Untertanen etwa die
Wiedereinführung der für Vergehen gegen die göttliche, herrschaftliche,
dörfliche und häusliche Ordnung zuständigen Rügegerichte (S. 272ff.) deutlich
die Schattenseiten paternalistischen Staatsverständnisses.
In seinem
Verwaltungsapparat blieb der Fürst zwar seinem Selbstverständnis als
fürsorglicher Landesvater gemäß zentraler Bezugspunkt und mischte sich nach dem
Zeugnis seines Kanzlers Veit Ludwig von Seckendorff in selbstherrlicher
Allzuständigkeit zum Teil massiv und auf die unförderlichste Weise in die
unwichtigsten laufenden Verwaltungsangelegenheiten ein (S. 95f.), zeigte jedoch
- so Klinger – „noch kaum absolutistische Neigungen“ (S. 93). Den
Landständen gegenüber vermied Ernst der Fromme „schroffe Vorstöße“ und verbarg
„die unnachgiebige Durchsetzung eigener bzw. öffentlicher Interessen des
landesstaatlichen Herrschaftsapparates hinter einem betont moderaten Umgang“
(S. 184). Durch geschicktes Taktieren gelang ihm die schleichende Entmachtung
der Stände und deren Fernhaltung vom laufenden Staatsbildungsprozeß, ohne daß
es zu größeren Auseinandersetzungen gekommen wäre. Klinger resümiert,
daß der Gothaer Fürstenstaat unter diesem Gesichtspunkt „geradezu als Antithese
zum Ständestaat“ aufgefaßt werden könne (S. 185). Nach einer zentralen These
der Arbeit erscheine Ernst der Fromme insgesamt als ein Herrscher des
Übergangs, dessen politisches Denken in den traditionellen Vorstellungen vom
Fürsten als landesväterlicher Obrigkeit wurzelte (S. 337), während
der Staatsgedanke „gegenüber patriarchalisch- dynastischen Werthaltungen (...)
noch längst keine permanent handlungsleitende politische Kategorie“ für den
Herzog gewesen sei (S. 339).
Ausführlich
behandelt die vorliegende Arbeit in eigenen Kapiteln die finanziellen und
wirtschaftlichen Grundlagen des Fürstenstaats, die Kirchen- und Schulpolitik
und die Sozialpolitik, die in Gotha eine bedeutende Rolle spielte und
innovative Strategien einschlug. Die Behandlung der fürstenstaatlichen
Festkultur rundet den Band ab. Die in einem angenehm unprätentiös gehaltenem
Stil verfaßte Dissertation ist nicht zuletzt deshalb zu begrüßen, weil mit ihr
der realgeschichtliche Hintergrund des „zur Zeit des Großen Kurfürsten
beliebtesten Handbuchs der deutschen Politik“ (Leopold v. Ranke) ausgeleuchtet
wird. Der „Teutsche Fürstenstaat“ (1. Ausgabe 1656, danach noch elf weitere
Auflagen) von Veit Ludwig von Seckendorff, der als Rat und später dann als
Kanzler maßgeblich an den Reformen Ernsts des Frommen beteiligt war, hat die
Regierungsweise des Herzogs zum Vorbild und abstrahiert und systematisiert
alles praktische Verwaltungswissen über die Zustände in Sachsen-Gotha. Nebenbei
bemerkt hätte angesichts der äußerst komplexen ernestinischen Verhältnisse die
Beigabe von Stammtafeln und Karten dem Verständnis des Buches zum Vorteil
gereicht.
Jena Martin
Siebinger