Kawohl, Friedemann, Urheberrecht der Musik in Preußen
1820-1840 (= Quellen und Abhandlungen zur Geschichte des Musikverlagswesens 2).
Schneider, Tutzing 2002. IX, 324 S., Ill.
Mit dem Verlag und Vertrieb
der Arbeiten berühmter Komponisten war im Deutschland des frühen 19.
Jahrhunderts gutes Geld zu verdienen. Entsprechend groß war die Zahl
derjenigen, die an den autorisierten Herausgebern vorbei und ohne große eigene
Investitionen ins Geschäft kommen wollten. So wurden Originalmusikstücke ohne
Genehmigung auszugsweise oder gar vollständig nachgedruckt („nachgestochen“),
in Sammlungen aufgenommen, bearbeitet, aufgeführt. Die seinerzeit in
Deutschland herrschende Rechtszersplitterung wie das niedrige Schutzniveau der
Normen des Deutschen Bundes und der Gesetze der einzelnen Bundesstaaten gegen
den „Nachdruck“ begünstigten diese Entwicklung.
Der Musikwissenschaftler Friedemann
Kawohl behandelt in seiner an der Technischen Universität Berlin
verfertigten Dissertation den für die Entwicklung (auch) des Rechts an
Musikalien bzw. Werken der Musik interessanten Zeitraum der zwanziger und
dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts. Unter Nutzung einer Anzahl von
Ministerialakten aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv, aber auch unter
Verwendung anderweit lagernder Archivalien befasst er sich dabei nicht von
ungefähr mit einen Zeitabschnitt, der in etwa begrenzt wird durch die
Publikation des preußischen „Gesetzes zum Schutz des Eigenthums an Werken der
Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung“ vom 11. Juni 1837.
Diese Norm hob jedenfalls für Preußen das Schutzniveau erheblich an und
markiert gleichzeitig den Beginn der modernen deutschen
Urheberrechtsgesetzgebung im Wortsinne (so M. Rehbinder, 150 Jahre
Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland, in: Zeitschrift für Urheber- und
Medienrecht, Jg. 1987, S. 328f.).
Die mit einem umfangreichen
Anlagenteil versehene Arbeit setzt fünf Schwerpunkte: Kawohl schildert
zunächst den für die damalige Zeit typischen und auf allen denkbaren Ebenen
geführten Kampf eines (Musik-)Verlegers gegen den mitunter existenzbedrohenden
Nachdruck (die im Titel des Buches angesprochenen Musikautoren/„Urheber“
spielten in dieser Hinsicht keine große Rolle). Dazu beschreibt er die
vielfältigen Aktivitäten des in Berlin domizilierten, aber deutschlandweit und
auch international tätigen Adolf Martin Schlesinger (1769-1838), der sich wo
immer möglich vor Gericht und auf (verbands-)politischer Ebene um seine
vermeintlichen Rechte sorgte. Dargestellt wird aber auch, wie dieser
Geschäftsmann Angebot und Produktgestaltung von der Einschätzung des jeweiligen
Nachdruckrisikos abhängig machte. Sodann verfolgt der Autor die
deutschsprachige Diskussion der Jahre zwischen 1785 und 1840 um die
(rechts-)theoretische Begründung eines Urheberschutzes durch eigentums- oder
persönlichkeitsrechtliche Theorien, eine Auseinandersetzung, die allerdings
fast ausschließlich um Schrift- und allenfalls am Rande um Werke der Musik
kreiste (zu dieser bereits eingehend L. Gieseke, Vom Privileg zum
Urheberrecht. Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bis 1845,
Göttingen 1995, S.161ff., 183, 211ff.). Im dritten Teil der Arbeit befasst sich
Kawohl mit Ursachen und Bedeutung des nach seinem Befund im
Berichtszeitraum erfolgten Paradigmenwechsels vom Schutz (nur) der gedruckten
Musikalie zum Schutz des hinter den Notenzeichen festgestellten (abstrakten)
Werks. Das vierte Kapitel ist dem Entstehen von - um den besseren Schutz von
Werken der Musik besorgten - „Vereinen von Bürgern“ (Kawohl) gewidmet,
insbesondere der 1829 gegründeten Vereinigung von Musikalienhändlern. Das
Schlusskapitel wiederum stellt den 1838 durch staatlichen Akt eingesetzten
Königlich Preußischen Musikalischen Sachverständigenverein in den beiden ersten
Jahren seines im übrigen jahrzehntelangen Bestehens vor.
Der nähere Blick auf die
Lebensgeschichte bedeutender Verleger im Staate Friedrich Wilhelm III. bewahrt
vor der Vorstellung, Verlags- bzw. Urheberrecht sei in Preußen ausschließlich
„von oben“ oktroyiert worden. Jedenfalls die wirtschaftlich erfolgreichen, zum
Berliner Establishment zählenden Geschäftsleute besaßen Mittel und Wege,
zumindest über die Jahre auch die staatliche Normsetzung in ihrem Sinne zu
beeinflussen. Schlesinger, der u. a. Carl Maria von Weber verlegte, war auf die
Herausgabe von Bearbeitungen der in Berlin gespielten Opern spezialisiert.
Diese Klavierauszüge oder Hausmusikbesetzungen erlaubten es dem gebildeten -
und zahlungskräftigen - Publikum, eingängige Musikstücke nach Lust und Laune
auch im eigenen Heim zu genießen. Problematisch war allerdings, dass schon das
bis 1837 in weiten Teilen Preußens geltende und den „Nachdruck“ grundsätzlich
verbietende Allgemeine Landrecht von 1794 einen Bearbeitungsschutz für
Musikalien nach damals wohl herrschender Meinung nicht vorsah; ein solcher war
allenfalls durch Privileg zu erhalten. Schon ein geringst verändertes Replikat
konnte damit nicht mehr als Nachdruck qualifiziert werden, eine völlig neue
Bearbeitung nach der Originalpartitur noch weniger. Gleichwohl hat Schlesinger
Konkurrenten, die etwa eigene Klavierbearbeitungen der bei ihm verlegten
Musikwerke herausbrachten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor Gericht
gezogen. Er war „der Musikverleger, der zwischen 1819 und 1838, nicht nur in
Preußen, sondern vermutlich in ganz Deutschland, die meisten Nachdruckprozesse
geführt hat“ (Kawohl). In diesen häufig durch Gutachter entschiedenen
Verfahren musste Schlesinger zwar manche Niederlage einstecken, das Problem war
damit aber öffentlich gemacht (näher hierzu bereits E. Wadle, Preußische
Privilegien für Werke der Musik. Ein Kapitel aus der Frühzeit des Urheberrechts
1794-1837, in: ders., Geistiges Eigentum. Bausteine zur
Rechtsgeschichte, Bd. 2, 2003, S. 185 ff.; Wiederabdruck aus: María Jesús
Montoro Chiner u. a. (Hg.), Musik und Recht, 1998, S. 85ff.). 1823 und 1833
wandte sich Schlesinger an den preußischen König und suchte um die Schließung
der von ihm erkannten Gesetzeslücke nach. Seine Eingaben wurden - so Kawohl
- selbst in den Beratungen der Bundesversammlung berücksichtigt; das bereits
erwähnte preußische Gesetz von 1837 verbot schließlich genehmigungslose
„Bearbeitungen, die nicht als eigenthümliche Kompositionen betrachtet werden
können“ (§ 20).
Die Mitwirkung Schlesingers
an der Gründung der Vereinigung der Musikalienhändler diente dem Ziel, dem
Musikaliennachdruck mit nichtstaatlichen Mitteln und vor allem bundesweit
beizukommen. Am 23. Mai 1829 verabredeten zunächst 15 Gewerbetreibende aus ganz
Deutschland - teilweise erste Adressen, die schon früher gemeinsam in der Öffentlichkeit
aufgetreten waren - das „Verlagseigenthum“ des jeweilig anderen unbedingt zu
respektieren und auf Nachdrucke, in welcher Form auch immer, zu verzichten
(Ziffer 1 der später so bezeichneten „Conventional-Acte”). Damit war z. B. auch
die - in Preußen zumindest nicht eindeutig geregelte - Aufnahme einzelner
Musikstücke in „gemischte Sammlungen” untersagt. Zur Vermeidung von
Unklarheiten waren die Partner weiterhin gehalten, „sich ihr Eigenthumsrecht
vom Componisten ... schriftlich bestätigen zu lassen“ und einen entsprechenden
Vermerk auf dem Druckwerk anzubringen (Ziffer 3). Schließlich wurde das so
genannte „geteilte Eigenthum“ anerkannt und damit die gängige Einrichtung
sanktioniert, dass bekanntere Komponisten ihre Stücke in Deutschland, Frankreich
und England von jeweils anderen Verlegern verbreiten ließen (Ziff. 2). Nach dem
mehr oder minder freiwilligen Beitritt weiterer deutscher Verlagshäuser und in
Erwartung der Aufnahme sämtlicher Wiener Verlagshäuser kam der Kreis, der sich
nun als „Verein“ bezeichnete, am 12. Mai 1830 überein, in Leipzig einen
„Centralpunkt“ zu errichten und den dortigen Verleger Friedrich Hofmeister zum
„Secretair“ zu bestellen. Das Büro diente fortan auch der Einzeichnung der von
„den Original-Verlegern eingesandten Exemplare ihres rechtmäßigen
Verlagseigenthums“ (§ 8 der Zusatzvereinbarung). In materieller Hinsicht wurde
ausdrücklich „die Melodie ... als ausschließliches Eigentum des Verlegers“
bestimmt (die in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen erläutert sehr instruktiv
schon J. Vesque von Püttlingen, Das musikalische Autorrecht, Wien 1864,
wiederabgedruckt in: UFITA 2001, Bd. 1, S. 151ff.). Während die Einrichtung des
„Bureau d’Enregistrement“ ein voller Erfolg wurde - bis zum 20. Juni 1903
konnten 101.140 Eintragungen vorgenommen werden -, verfehlte der Verein nach
dem Befund Kawohls das ursprüngliche Ziel, Streitigkeiten um das
Verlagsrecht ohne staatliche Hilfe zu lösen. Allerdings entstand aus der
Verlegerinitiative über die Jahre ein moderner Berufsverband.
Das bereits erwähnte
preußische Urheberrechtsgesetz von 1837 enthielt auch eine noch heute
verblüffende, damals einmalige prozessrechtliche Vorgabe: Die §§ 17, 31 der
Norm verpflichteten den Richter in Nachdruckssachen, neben den üblichen
Beteiligten „im Zweifel“ auch so genannte Sachverständigen-Vereine in das vor
ihm ablaufende Verfahren einzubinden und deren „Gutachten“ einzuholen. Das neue
Recht verschaffte damit einer Oberschicht der eigentlichen Normadressaten
direkten Einfluss auf die Behandlung zahlreicher in Preußen ausgefochtener
Urheberrechtsstreitigkeiten. Die Besetzung dieser schließlich nur in Berlin,
aber für ganz Preußen gebildeten Gremien („literarischer“, „artistischer“ und
„musikalischer“ Sachverständigen-Verein) oblag gemäß staatsministerialer
Instruktion vom 15. Mai 1838 dem Kultusminister, „nach vorgängiger
Communication mit dem ... Justiz=Ministerium“ (Ziff. 7). Die drei Kollegien
sollten sich als äußerst zählebig erweisen: In mehr oder minder unveränderter
Form existierten sie bis mindestens 1939 fort. Der (erst später so bezeichnete)
„Königlich Preußische Musikalische Sachverständigen-Verein“ war dabei für die
Hebung von Zweifeln zuständig, „ob ... ein Musikstück als eigenthümliche
Komposition oder als Nachdruck“ anzusehen „oder wie hoch die dem Verletzten
zustehenden Entschädigung zu bestimmen“ sei und hatte „vorzugsweise aus
Kunstverständigen und geachteten Künstlern“ zu bestehen (§ 31 des Gesetzes von
1837), die Instruktion von 1838 bestimmte schließlich, dass unter diesen sich
mindestens zwei Musikhändler zu befinden hätten (Ziff. 4). Während der
Literarische Sachverständigen-Verein allerdings bis 1870 in über 140 meist
publizierten Fällen aktiv wurde, gab sein musikalisches Pendant im gleichen
Zeitraum nur etwa 30 - äußerst vereinzelt veröffentlichte - Gutachten ab
(hierzu L. E. Heydemann, Über die Bedeutung der Sachverständigen-Vereine
in Nachdrucks-Angelegenheiten und die Stellung dieser Vereine zu den
Gerichtsbehörden, in: Behrend (Hg.), Zeitschrift für Gesetzgebung und
Rechtspflege in Preußen, 4. Bd. (1870), S. 1ff.), für die Zeit von 1838 bis
1844 lag das Verhältnis entsprechend bei 20 zu 3 (vgl. R. Nomine, Der
Königlich Preußische Literarische Sachverständigen-Verein in den Jahren 1838
bis 1870, Berlin 2001, S. 18). Im Berichtszeitraum ist ein Gutachten (vom 04. 12.
1840) im Börsenblatt von 1840 abgedruckt worden, Kawohl teilt es in
seiner vollen Länge mit. Es betrifft - wie sollte es anders sein - eine
offensichtlich auf Anzeige der Fa. Schlesinger hin eingeleitete Untersuchung gegen
die bekannten Musikhändler Bote & Bock, die ungenehmigt fünf Solfeggien
Marco Bordognis in eine nur sieben Stücke umfassende Sammlung aufgenommen
hatten. Das durchsichtige Argument der Beschuldigten, es handele sich um die
nach § 4 Ziff. 2 Gesetz von 1837 erlaubte Aufnahme „einzelner Aufsätze ... usw.
... in Sammlungen zum Schulgebrauche“, bürstete der Verein seinerzeit mit
kurzer Begründung ab und stellte Nachdruck fest.
Aus dem Haus Schlesinger war
allerdings niemand in den Musikalischen Sachverständigenverein berufen worden.
Der umstrittene Senior hatte kurz vor Errichtung des Gremiums einen
Schlaganfall erlitten und war im November 1838 verstorben, sein einzig in Frage
kommender dritter Sohn, Heinrich, scheint sich nicht für (verbands-)politische
Fragen interessiert und kaum über persönliche Kontakte verfügt zu haben. Auf
die Zugehörigkeit zur Hauptstadt-Szene kam es aber - betrachtet man die von
Kawohl vorgelegte und bis in die Einzelheiten erläuterte „Besetzungsliste“ des
Kultusministeriums - offensichtlich an: Berufen wurde nämlich u. a. der Geheime
Medizinalrat Heinrich Lichtenstein (Vorsitzender), seit 1813 nicht nur Leiter
des zoologischen Museums, sondern, als Mitglied der Zelterschen Liedertafel und
Vorsteher der noch heute berühmten Sing-Akademie, auch eine „der
einflußreichsten Persönlichkeiten des Berliner Musiklebens“ (Kawohl).
Carl von Winterfeld, Geheimer Obertribunalrat, war bereits mit einer
zweibändigen musikwissenschaftlichen Arbeit hervorgetreten und ebenfalls
Mitglied der Liedertafel und der Singakademie, Carl Friedrich Rungenhagen gar
deren Direktor. August Bach arbeitete als Direktor des Berliner Instituts für
Kirchenmusik, Angehöriger der Singakademie auch er. Georg Schneider wirkte als
Kapellmeister an der Hofoper. Der Musikalienhändler Ferdinand Mendheim wiederum
stand mit der Singakademie in Kontakt, sein Kollege Karl Klage war ein
bekannter Klavierlehrer. Kawohl resümiert: „Der musikalische
Sachverständigenverein war geprägt durch die Tradition der in Preußen staatlich
organisierten Kirchenmusik und durch den Vereinsgeist der Liedertafel“.
Die Arbeit Friedemann
Kawohls profitiert von einer unorthodoxen, fachübergreifenden Sicht des
Autors, zeigt interessante Zusammenhänge auf und bringt insbesondere im
Abschnitt über die Vereinigung der Musikalienhändler eine Fülle bis dahin
unveröffentlichter Details ans Licht. Auch der in der Anlage erfolgte
(Wieder-)Abdruck zahlreicher wichtiger Texte wie der Konventionalakte von 1829
erweist sich als sehr hilfreich. Der geschmeidige Umgang mit dem Generalthema
verführt Kawohl aber ab und an dazu, plakative Aussagen zu machen, die
sich so zugespitzt kaum halten lassen. So sagt er einmal lapidar,
Kammergerichtsrat Hoffmann (sc.: der Dichter und Komponist E. T. A. Hoffmann),
der 1822 als Sachverständiger in einem Verfahren wegen Nachdrucks eines Klavierauszuges
des „Freischütz“ vernommen wurde, sei damals „nicht als Musiker oder
Musikästhetiker, sondern als Jurist gefragt“ worden, ein Schluss, gegen den z.
B. spricht, dass das ausgefeilte preußische (Straf-)Prozessrecht die
Hinzuziehung externen juristischen Sachverstandes - jedenfalls in einem Fall
wie dem geschilderten - überhaupt nicht vorsah. Dessen ungeachtet legt Kawohl
ein erfreuliches und notwendiges Werk vor, das den Blick lenkt auf die bis
dahin so gut wie nicht dargestellte Vor- und Frühgeschichte des Musikurheberrechts
in Deutschland.
Lübben Rainer
Nomine