Juristische Buchproduktion im Mittelalter, hg. v. Colli, Vincenzo (= Studien zur europäischen
Rechtsgeschichte 155). Klostermann, Frankfurt am Main 2002. X, 821 S.
Das Recht ist nicht sichtbar. Es kann aber in
Wörtern, Sätzen und Büchern zum Ausdruck gebracht werden. Deswegen ist
Rechtswissenschaft seit langem Buchwissenschaft.
Der vorliegende Sammelband will die juristische
Buchproduktion im Mittelalter, und damit im Wesentlichen vor der Erfindung des
gedruckten Buchs, als zusätzlichen Schlüssel zum Verständnis der Geschichte der
juristischen Literatur darstellen. Dabei sollen die materiellen Aspekte im
Vordergrund stehen. Von der Abfassung der Texte bis zu ihrer Verbreitung soll
das Werk verfolgt werden, ohne dass eine gleichmäßige Verwirklichung dieses
Anspruchs tatsächlich auch erreicht werden konnte.
Dem Band vorausging ein vom Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschichte vom 25.-28. Oktober 1998 veranstaltetes Kolloquium.
Es vereinte Wissenschaftler unterschiedlicher Fächer und verschiedener Länder
in vorbildlicher Weise. Sie machen ihre Erkenntnisse nunmehr allgemein
zugänglich.
Im ersten Teil geht es dabei um Forschungstendenzen
und Forschungsperspektiven. Dabei befasst sich Mario Ascheri
mit den spätmittelalterlichen juristischen Handschriften. Bernd Michael stellt
juristische Handschriften aus der Sicht des Handschriftenbeschreibers
dar und gelangt dabei zu dem Schluss, dass wichtige Hilfsmittel wie ein
umfassendes Verfasserlexikon der kommentierenden Rechtsliteratur oder ein
Initienregister noch fehlen und dass erst die analytische Verknüpfung aller
Aspekte auch in der juristischen Handschriftenforschung zu sinnvollen
Ergebnissen führen kann.
Mit der Handschriftenarchäologie befassen sich die
Beiträge Antonio Ciarallis (Produzione
manoscritta e trasmissione dei testi di natura giuridica fra XI e XII secolo), Giovanna Muranos (Tipologia degli exemplaria giuridici), Robbert Gibbs’ (The Development
of the Illustration of Legal Manuscripts
by Bolognese Illuminators between 1241 und 1298) und Susan L’Engle
(Trends in Bolognese Legal Illustration). Demgegenüber ist die Produktion
juristischer Handschriften Gegenstand der Beiträge Ludwig Burgmanns
(Juristische Buchproduktion in Byzanz), Peter Landaus (Typen von Dekretalensammlungen), Christoph H. F. Meyers (Gratian in
Westfalen), Gero R. Dolezaleks (Libri
magistrorum and the
Transmission of Glosses in Legal Textbooks),
Emanuelle Contes (I diversi volti di un testo del XII secolo), Orazio Condorellis (Note su formazione e diffusione delle raccolte di quaestiones disputatae in diritto canonico), Martin Bertrams (Zwei vorläufige Textstufen des Dekretalenapparats Papst Innozenz’ IV.), Frank Soetermeers (Exemplar und Pecia),
Vincenzo Collis (Lo Speculum iudiciale di Guillaume Durand: codice d’autore ed edizione
universitaria) und Antonio Pérez Martíns
(La producción de códices jurídicos en España). Von der
Handschrift zum gedruckten Buch führen Diego Quaglione
(Dal manoscritto alla stampa)
und Uwe Neddermeyer (Juristische Werke auf dem
spätmittelalterlichen Buchmarkt). Juristische Bibliotheken als Sammelbecken der
Bucherzeugung erfassen schließlich Donatella Nebbiai (Leges de voluntariis),
Ingrid Baumgärtner (Messbares Wissen) und Helmut G. Walther (Die Bibliothek des
gelehrten juristischen Praktikers).
Durch die insgesamt 21, durch eine Reihe von
schwarz-weißen Abbildungen veranschaulichten Beiträge werden zahlreiche neue
Einsichten gewonnen, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann.
Insgesamt zeigt sich, dass die bisher bekannte Gesamtheit der juristischen
Texte des Mittelalters als Ergebnis von Selektionsvorgängen durch den Buchmarkt
entstanden ist. Dabei erscheint die Erfindung des Buchdruckes nicht als echte
Zäsur. Zu Recht als (noch) wenig befriedigend wird der gegenwärtige Zustand der
Erschließung juristischer Handschriften durch Kataloge und Repertorien
empfunden. Vielleicht bessert sich durch den Sammelband die Lage in der
Zukunft. Dem wäre sicherlich auch ein leider fehlendes Register des wichtigen
und interessanten Werkes dienlich gewesen.
Innsbruck Gerhard
Köbler