Jordan,
Stefan Jens, Leben und Werk des Tübinger Rechtsprofessors
Wilhelm Gottlieb Tafinger 1760-1813 (=
Rechtshistorische Reihe 269). Lang, Frankfurt am Main 2003. XIII, 253 S.
In
seiner Tübinger Dissertation untersucht der Verfasser, ein Schüler Jan Schröders,
Leben und Werk des Professors der Rechte Wilhelm Gottlieb Tafinger
(1760-1813) in Tübingen[1].
Dessen Vater Friedrich Wilhelm Tafinger (1726 - 1777)
war gleichfalls Professor der Rechte in Tübingen gewesen und hatte
hauptsächlich Vorlesungen über römisches Zivilrecht (nach Heineccius)
und den Reichsprozess gehalten.
Der
erste Abschnitt (S. 1-15) ist der Biographie der Familie Tafinger
gewidmet. Wilhelm Gottlieb Tafinger studierte an der
Universität Tübingen die Rechte; unter seinen Lehrern ist Karl Christoph
Hofacker (1749-1793) hervorzuheben (S. 2f.). 1786, mit 26 Jahren, wurde Tafinger außerordentlicher Professor der Rechte in
Tübingen, 1788 ordentlicher Professor für bürgerliches Recht und
Reichsgeschichte in Erlangen und 1790 ordentlicher Professor in Tübingen (S.
8f.). Dort hielt er Vorlesungen über „Rechtsgelehrsamkeit“ (Enzyklopädie,
Rechtsgeschichte und Methodologie), Kirchenrecht (nach Georg Ludwig Böhmer),
Naturrecht und später deutsches Privatrecht (S. 8ff.).
Der
zweite Abschnitt (S. 17-141) befasst sich mit Tafingers
deutschem Privatrecht, insbesondere mit der analogischen Methode und der
Analogie. Tafinger nennt seine Methode zur Findung
eines gemeinen Rechts „analogische“ Methode (S. 17). Er zählt neben Johann
Stephan Pütter (1725 - 1807) und Justus Friedrich
Runde (1741 - 1807)[2] zu denjenigen Gelehrten,
welche die Grundsätze eines gemeinen deutschen Privatrechts auffinden wollten
(S. 20). In seiner Dissertatio „De methodo juris privati
Germanici“ (Tübingen 1786) und in dem Buch „Ueber die Bestimmung des Begriffs der Analogie des Teutschen Privatrechts und der Grundsätze, dasselbe zu
bearbeiten“ (I. Theil, Ulm 1787) versuchte Tafinger ein System des deutschen Privatrechts zu
entwickeln[3]. H.-U.
Stühler[4]
betrachtet Tafinger als einen Vertreter der
systematisch-deduktiven Methode; Tafinger[5]
kritisiert die Anwendung der induktiven Methode in der Rechtswissenschaft.
Seine „analogische“ Methode enthält allerdings auch induktive Elemente (Verf.
S. 26ff., 139f.); sie geht aus „von den durch geschichtliche Betrachtung zu
gewinnenden Grundsätzen eines Rechtsinstituts“ (S. 140). Eine exemplarische
Vorführung seiner Methode hat Tafinger nicht
geleistet (S. 30).
Der
Verfasser (S. 35ff.) zeigt einen dreifachen Gebrauch des Begriffs der Analogie
in den Schriften Tafingers, erstens Analogie als
Ähnlichkeit, zweitens Analogie als Auslegung und drittens Analogie als Methode
der Lückenfüllung. Tafinger lehnt die Rechtsanalogie
als unsichere Methode ab (S. 36f.)[6].
Einen Grund für diese Ablehnung sieht der Verfasser (S. 37) auch im Umstand,
dass Tafinger noch ein Anhänger des Naturrechts war[7].
In
umfassender Weise vergleicht Jordan (S. 42ff.) die Auffassung von
Vorgängern und Zeitgenossen Tafingers zur Analogie
und Findung eines gemeinen deutschen Privatrechts, so etwa bei Daniel Nettelbladt, J. St. Pütter, J. F.
Runde, Christian Friedrich Glück, Gottlieb Hufeland, W. A. F. Danz. Ebenso werden die Lehren und Anschauungen von
Nachfolgern Tafingers aufgezeigt (S. 84ff.).
Im
Folgenden unternimmt der Verfasser (S. 100ff.) eine Bewertung der Quellen des
gemeinen deutschen Privatrechts sowie der Methoden der Rechtsfindung anhand
dieser Quellen. Einhelligkeit bestand darin, dass mittels eines gemeinen
deutschen Privatrechts die Grenzen der Anwendung des römischen Rechts bestimmt
werden sollten. Tafinger will wie Pütter
und Hufeland nur ein hypothetisches gemeines Recht finden. Für ihn bedeutet der
Begriff des hypothetischen gemeinen Rechts, dass „dieses prinzipiell kein
tatsächlich direkt anwendbares Recht bildet und kein Recht ist, das allgemein
verbindliche Kraft hat, sondern dass es aus obersten Grundsätzen besteht, eine
allgemeine Theorie des Privatrechts ausmacht und nur der Erleuchtung dunkler
Gesetzesstellen dient“ (Verf. S. 113).
Erst
seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wird zwischen Rechtsanalogie und
Gesetzesanalogie unterschieden (S. 117, 133f.)[8]. Der
Begriff „analogisch“ taucht in der juristischen Literatur bereits im 16./17.
Jahrhundert auf (S. 123). Unter der „analogischen Interpretation“ verstand man
die Beseitigung von Antinomien im Recht[9].
Der
dritte Abschnitt (S. 143-175) ist Tafingers
„Staatsrechtslehre“ gewidmet. Es erscheinen als drei Themenschwerpunkte: a) die
Abgrenzung des Staatsrechts vom Privatrecht, b) Ausführungen zum Staat als
solchem und c) Lehren vom Polizeirecht (S. 143). Die Systematik des Rechts
findet sich in Tafingers „Encyclopädie
und Geschichte der Rechte in Teutschland zum Gebrauch
bey Vorlesungen“ (Erlangen 1789; 2. Aufl. Tübingen
1800). Das Verhältnis zu anderen Enzyklopädien, so etwa zu der von Johann
Friedrich Reitemeier[10] von
1785, wird eingehend und anschaulich dargestellt (S. 146ff.).
Der
vierte Abschnitt (S. 177-223) ist Tafingers
Staatsrechtslehre (S. 181ff.) sowie seinem Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für
Württemberg (S. 207ff.) gewidmet. Als Anhang I (S. 225-233) findet sich eine
detaillierte Übersicht über den Aufbau dieses Entwurfs einer Criminalordnung (vom 9. 3. 1813). Diesem Entwurf kam
allerdings keine entscheidende Rolle in der Entstehungsgeschichte des württembergischen
Strafgesetzbuches zu (S. 223).
Ein
umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 235-253) beschließt die
Arbeit.
Tafinger
bekennt sich zu einem pragmatischen Geschichtsverständnis. Er teilt die
Rechtsgeschichte in eine „innere“ und „äußere“ und ist deshalb einer der ersten
Juristen, die Quellengeschichte und Dogmengeschichte eindeutig trennen[11].
Das
Buch ist nicht ganz leicht lesbar. Dies liegt aber nicht am Verfasser, sondern
an der spröden Materie, an der komplexen Methode Tafingers
und dessen Auffassungen, die wohl einem gewissen Wandel unterworfen waren (vgl.
S. 139ff.). Es ist verdienstvoll, dem Werk dieses wenig bekannten Juristen eine
gründliche Untersuchung gewidmet zu haben.
Graz Gunter Wesener
[1]Vgl. zu diesem H.-U. Stühler, Die Diskussion um die Erneuerung der
Rechtswissenschaft von 1780-1815 (Berlin 1978) 104ff.
[2]Zu diesem vgl. K. Luig,
Schäfchen zählen - mit gesundem Menschenverstand, in: Wirkungen europäischer
Rechtskultur. Festschrift für K. Kroeschell zum 70.
Geburtstag (1997) 687ff., bes. 690ff.
[3]Vgl. K. Luig,
Die Anfänge der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht, Ius
Commune I (1967) 195ff. (nun bei Luig,
Römisches Recht, Naturrecht, nationales Recht, Goldbach 1998, 395*ff); K. Kroeschell, Zielsetzung und Arbeitsweise der
Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht, in: Wissenschaft und
Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, I, hg. v. H. Coing/W. Wilhelm (1974) 249ff.
[4]Die Diskussion um die Erneuerung der
Rechtswissenschaft (o. Anm. 1) 108ff.
[5]Die Rechtswissenschaft nach den
Verhältnissen und Bedürfnissen der neuesten Zeit (Tübingen 1808) 61ff.
[6]Zur analogia iuris eingehend J. Schröder,
Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis
zur historischen Schule (1500-1850), München 2001, 176ff.
[7]Vgl. seine „Lehrsätze des Naturrechts“
(Tübingen 1794).
[8]Zur historischen Entwicklung Verf.
120ff.
[9]Vgl. J. Schröder, Recht als
Wissenschaft (o. Anm. 6) 92f., 176f.
[10]Vgl. zu diesem Stühler,
Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft (o. Anm. 1) 119ff.
[11]Tafinger, Die Rechtswissenschaft (o. Anm. 5) 77;
vgl. Stühler, Die Diskussion um die Erneuerung
der Rechtswissenschaft (o. Anm. 1) 107.