Jansen, Nils, Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz (= Jus privatum 76). Mohr (Siebeck), Tübingen 2003. XXI, 703 S.

 

I. Wenn einer aus der Zimmermannsschule stammt, erwartet man Großes von ihm. Reinhard Zimmermann, grand seigneur und enfant terrible des modernen Zivilrechts, prägt mit vielfältigen Überlegungen zum europäischen Zivilrecht sowohl stilistisch wie auch inhaltlich einmal die Diskussion um eine Reform des bürgerlichen Rechts im Lichte der Rechtsgeschichte und der europäischen Rechtsangleichung. Und nun legt Nils Jansen, ein ebenso brillanter Schüler Zimmermanns, seine Habilitationsschrift vor, die die eigenwillige Handschrift ihres Autors und dessen Mentors sofort erkennen lässt. Jansen hat sich dem deutschen Haftungsrecht angenommen. Und damit sich auch eines der umstrittensten und gefürchtetsten Gebiete des Zivilrechts ausgesucht, dessen Strukturen seit Jahrhunderten im Dunkeln liegen. Das Ziel der Untersuchung ist anspruchsvoll formuliert: „Das deutsche Haftungsrecht stellt sich heute zersplittert und wertungsmäßig inkohärent dar. Angesichts dieser Tatsache erstellt Nils Jansen eine historisch und theoretisch angelegte Grundlagenuntersuchung zum geltenden Haftungsrecht. Auf Grund dieser Untersuchung erfolgt schließlich eine dogmatische Grundlegung des Haftungsrechts, die zu einem zusammenfassenden, regelförmig formulierten „Restatement“ des tatsächlichen heutigen Rechtszustandes führt und eine Auseinandersetzung mit den Projekten zur Formulierung eines künftigen europäischen Haftungsrechts enthält“. Soweit der Klappentext des Buches. Und was hält die Arbeit von diesem hohen Anspruch?

 

II. Der Verfasser beginnt seine Untersuchung mit einem zunächst allgemein gehaltenen Hinweis darauf, dass es an einer adäquaten Dogmatik des Haftungsrechts fehle (S. 27ff.). Im ersten größeren Abschnitt folgt dann eine Überlegung zu drei verschiedenen normtheoretischen Modellen. Zunächst wird das Sanktionsmodell dargestellt, das den Schadensersatz als die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung ansieht (S. 42). Demgegenüber steht das Modell der strikten Haftung sowie ein allgemeines Verhaltensstandardmodell, das die beiden anderen Modelle umfasst (S. 43f. und S. 45f.). Interessanterweise unterlegt der Verfasser alle Modellaussagen mit logischen Formalisierungen, die allerdings im Späteren nicht mehr genutzt und insofern redundant sind. Jansen zerpflückt die Auffassung, insbesondere skandinavischer Kreise innerhalb der Rechtstheorie, wonach Rechtspflichten irrelevant und verhaltensbezogener Haftungsnormen nur nach dem allgemeinen Verhaltensstandardmodell zu verstehen seien (S. 52ff.). Aber auch das Sanktionsmodell sei für sich genommen ein wenig hilfreiches Modell für die Erklärung des gegenwärtigen Haftungsrechts. Die Zuweisung von Schadensrisiken sei vielmehr ein zweiseitiges Problem, das der Gewährleistung gegenständlich und wirtschaftlicher Integrität des Interesses an einem Rechtsgut dienen könne. Im nächsten Abschnitt wird dann die Struktur haftungsrechtlichen Wertens beschrieben (S. 76ff.). Nach anfänglichen Hinweisen auf die aristotelische Unterscheidung zwischen austeilender und distributiver Gerechtigkeit sowie Überlegungen zur modernen Theorie subjektiver Rechte (insbesondere Epstein und Weinrib) kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass das Haftungsrecht sich zentral dem Ausgleich zwischen Geschädigten und Schädigern zuwende und hier ein verantwortungsbezogene Verteilung von Schadensrisiken bewirken wolle. Dabei seien die Grundsätze der ausgleichenden Gerechtigkeit vor distributiven Prinzipien vorrangig. Ein Schadensersatzanspruch setze in diesem Rahmen eine Erfolgsverantwortlichkeit des Verpflichteten für den Schaden voraus; ein Ersatzanspruch bestehe bei Erfolgsverantwortlichkeit prinzipiell, sofern kein besonderer Ausschlusstatbestand eingreife. Diese normativ-abstrakte Überlegung bringt den Verfasser dann zu den Wirkungen der Haftung, insbesondere aus der Sicht der ökonomischen Analyse (S. 146ff.). Hier stellt der Verfasser die (durchaus gewagte) These auf, dass konkrete ökonomische Überlegungen für die Ausgestaltung des Haftungsrechts schlichtweg irrelevant seien. Denn eine Veränderung des Haftungssystems führe im Normalfall (was immer das auch sein mag) nicht zu beobachtbaren Verhaltensänderungen. Allenfalls versicherungsrechtlich lasse sich nachweisen, dass ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Haftungssystem und der Höhe der Prämie bestehe und bestehen solle.

 

Dann folgt ein rechtshistorisches Kapitel, das allerdings von seiner Bedeutung für die weiteren Überlegungen eher fragwürdig ist. Der Verfasser springt – hier ganz seinem Meister folgend – zum römischen Recht (S. 181ff.) und von hier aus über die Glosse hin in die frühe Neuzeit (insbesondere zu Samuel Pufendorf und Christian Thomasius). Die rechtshistorischen Überlegungen enden dann mit Hinweisen auf die Pandektistik und die Diskussion um das Haftungsrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Verfasser führt hier den Nachweis, dass die Begriffe Rechtswidrigkeit und Verschulden dem römischen Deliktsrecht entstammen und dort ursprünglich der privaten Sanktionierung von Unrecht dienen sollten. Erst später sei die öffentliche Strafverfolgung hinzugekommen. Das römische Recht habe jedenfalls keine Chance gehabt, eine Rechtsterminologie zu entwickeln, die auf einen sachgerechten Schadensausgleich bezogen gewesen sei. Schadensersatz sei vielmehr zentral als Strafe, das heißt als Sanktionierung von Unrecht, verstanden worden. Erst im usus modernus sei die enge Verzahnung von Unrechtssanktion und Schadensausgleich in einem Rechtsinstitut auseinander gebrochen. Bis zur Pandektistik und zu den Frühzeiten des Bürgerlichen Gesetzbuchs sei das sanktionsorientierte Verständnis des Deliktsrechts niemals in Frage gestellt worden. Es sei daher in der Moderne an der Zeit, diese römisch-rechtlichen Bindungen zu hinterfragen und sich auf die Suche nach den Möglichkeiten eines modernen Haftungssystems zu machen (S. 389ff.). Einen Ansatz zu dieser Reform sieht der Verfasser in der Verkehrspflichtenlehre, die sich insbesondere im Rahmen des BGB entwickelt habe (S. 39ff.). Lobenswert spricht sich der Verfasser auch im Hinblick auf die moderne Diskussion etwa um den Schutz von Persönlichkeitsrechten aus (S. 466ff., insbesondere S. 487ff.). Die Rechtsgutorientierung in der Moderne hat einen überzeugenden Ansatz für die Beschreibung der Möglichkeiten und Grenzen des Haftungssystems mit sich gebracht. Als problematisch habe sich aber innerhalb des rechtsgutorientierten Systems die Frage nach der Haftung für primäre Vermögensschäden erwiesen (S. 524ff.).

 

Von besonderer Spannung und Innovativität geprägt sind dann die Überlegungen des Verfassers zur Struktur des Haftungsrechts im Rahmen einer eigenen Modellbildung (S. 545ff.). Es bedarf aus seiner Sicht einer weiten übergreifenden Formulierung für die Haftungsbegründung. Die Mehrspurigkeit des Haftungsrechts, wie sie bislang bestehe, sei zu überwinden. Die Rechtswidrigkeit scheide als haftungsbegründender Einheitstatbestand aus. Stattdessen sei auf das Konzept der Erfolgsverantwortlichkeit abzustellen. Es solle daher für die Haftungsbegründung auf moralische Vorgriffe oder rechtliche Unwerturteile gänzlich verzichtet werden. Das Haftungsrecht basiere allein auf der Erfolgsverantwortlichkeit für einen Schaden. Unter diesem „Dach“ bestehe die Möglichkeit, häufig gegenläufige Wertungen miteinander zu verbinden. In diesem Zusammenhang lehnt der Verfasser den Hang des deliktsrechtlichen Gesetzgebers zur Nutzung von Generalklauseln ab und plädiert für ein angemessenes Verhältnis von fester Struktur des Haftungsrechts mit beweglichen Elementen (S. 593ff.).

 

Diese Überlegungen münden dann am Ende in ein integratives Konzept des Haftungsrechts (S. 634ff.), eine Art allgemeiner Prinzipien des Haftungsrechts – formuliert als Normenkatalog (S. 634ff.). Spätestens hier werden jedoch Fragen wach, die der Rezensent bei allem Wohlwollen gegenüber der Arbeit auch aussprechen muss. Nach der oft mühevollen Lektüre der anspruchsvollen Arbeit taucht z. B. sofort die Frage auf, wie der Verfasser mit Schadensersatzkonzeptionen in anderen Staaten umgeht. So verstehen sich die Amerikaner mit ihrem punitive damage-Ansatz haftungsrechtlich doch sehr unterschiedlich, wenn man dies mit dem europäischen Modell des kompensatorischen Schadensersatzes vergleicht. Jansen schließt dieses Alternativmodell weitgehend aus seinen Überlegungen aus und verweist z. B. auf S. 635 darauf, dass bei seiner Studie „ein ausschließliches kompensatorisches Verständnis des Schadensersatzes“ vorausgesetzt sei. Damit wird man die vorliegende Arbeit für die derzeit spannende Diskussion um den Abschreckungscharakter des Deliktsrechts nicht nutzen können, obwohl gerade diese Diskussion durch den jüngsten Entwurf einer EU-Richtlinie über Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte im geistigen Eigentum neuen Auftrieb bekommen hat.

 

Auch im Detail finden sich in dem Haftungsmodell des Verfassers Eigenwilligkeiten. So verweist § 3 Abs. 2 der von ihm formulierten Haftungsmaßstäbe (S. 637) darauf, dass eine ideale Sorgfalt für die Gewährleistung der Mangelfreiheit der schädigenden Sache erforderlich sei „bei der Datenverarbeitung“. Diese Auffassung überrascht und wird im gesamten Buch in keinster Weise begründet. So wie sich die Haftungsmaßstäbe hier formulierungsmäßig lesen, wäre damit eine Gefährdungshaftung für jedwede Datenverarbeitung eingeführt. Offensichtlich meint der Verfasser aber damit etwas ganz anderes. Auf S. 672 seiner Arbeit wird die „Datenverarbeitung“ als allgemeiner Grund für eine Gefährdungshaftung aufgeführt und ohne weitere Begründung auf § 7 Abs. 1 BDSG verwiesen (Fn. 73). Einen § 7 Abs. 1 BDSG gibt es aber nicht. Was der Verfasser wohl meint, ist § 8 Abs. 1 BDSG, der die Haftung öffentlicher Stellen für Schadensersatz und einer unzulässigen Verarbeitung personenbezogener Daten regelt. Diese Norm ist aber nur auf öffentliche Stellen bezogen und gilt nicht im Zivilrecht. Für den privatrechtlichen Bereich gilt § 7 Satz 1 BDSG, der eine Haftung für vermutetes Verschulden vorsieht. Eine allgemeine Gefährdungshaftung für jedweden Schaden durch eine Datenverarbeitung ist dem Zivilrecht gänzlich fremd.

 

Eigenartig ist auch die Gleichstellung des Verfassers hinsichtlich des Betriebs eines Kraftfahrzeugs und der „Verwendung fremder Persönlichkeitsrechte“ (S. 637). Zunächst einmal ist die Formulierung unglücklich, da „Persönlichkeitsrechte“ nicht verwendet werden können. Man kann allenfalls von einer Einwilligung hinsichtlich des Eingriffs in Persönlichkeitsrechte sprechen. Im Übrigen ist eine verschärfte Haftung für diesen Bereich der Rechtsordnung fremd, wie der Verfasser auf S. 639 Fn. 496 zugibt („Inwieweit dies dem geltenden Recht entspricht, ist zweifelhaft“). Auch zu Schutzrechtsverwarnungen finden sich merkwürdige Hinweise, wenn der Verfasser etwa die Auffassung vertritt, dass die Haftung bei Schutzrechtsverwarnungen einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht voraussetze (S. 639). Auch ist die Tatsache, dass der Bundesgerichtshof vereinzelt einmal die Haftung für Schutzrechtsverwarnungen der Gefährdungshaftung angenähert hat, noch kein Grund dafür, hier von einer Gefährdungshaftung auszugehen. Und so weiter und so fort: Die Arbeit von Jansen ist brillant, philosophisch, rechtshistorisch und dogmatisch spannend – jedoch vom praktischen Ertrag eher enttäuschend. Dieses Manko ist jedoch nicht dem Verfasser zuzuschreiben. Es würde einen Savigny voraussetzen, all die verschiedenen Facetten des Haftungsrechts durch alle Gebiete des Zivilrechts hindurch im Griff zu haben und zu strukturieren. Für Habilitanden der Postmoderne ist ein solches Unterfangen jedenfalls eine Überforderung. Jansen ist mit dieser Überforderung brillant umgegangen und hat aus ihr heraus einen wichtigen Beitrag für die weitere Diskussion im europäischen Haftungsrecht entwickelt.

 

Münster                                                                                                         Thomas Hoeren