Howe,
Marcus, Karl Polak. Parteijurist unter Ulbricht (= Ius Commune
Sonderheft 149). Klostermann, Frankfurt am Main 2002. XII, 332 S.
Karl
Polak war der „Kronjurist“ der SED, war maßgeblich an der Entwicklung der
Staatslehre der SED beteiligt und verfaßte die berüchtigte Rede Walter
Ulbrichts auf der Babelsberger Konferenz von 1958, die zur völligen
Gleichschaltung der Staats- und Rechtswissenschaft der DDR führte. Die Anregung
zu dieser interessanten Biographie verdanken wir Uwe Wesel, der schon so oft
erfolgreich über die Grenzen seines Ausgangsfachs, der römischen Rechtsgeschichte,
hinausgegangen ist. Die Arbeit stützt sich auf das SED-Parteiarchiv, das Universitätsarchiv
Leipzig und andere Quellen. Bedauerlicherweise leidet die Biographie an einer
Lücke: Der Nachlaß Polaks wurde von dessen Familie dem früheren Direktor des
Instituts für Theorie des Staates und Rechts an der Deutschen Akademie für
Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in Potsdam-Babelsberg zur ausschließlichen
Auswertung anvertraut. So kann Howe den Grund für die überraschende Emigration
des Sohnes wohlhabender jüdischer Eltern, der eben noch bei Erik Wolf mit
„Studien zu einer existenzialen Rechtslehre“ promoviert hatte, 1933 in die
Sowjetunion nur vermuten, und zwar in der Liebe zu einer Kommunistin, die er
kurz darauf in Moskau heiratete. Auch die Jahre in der Sowjetunion bleiben
weitgehend im Dunkeln. Überraschend fand Polak, obwohl noch ohne russische Sprachkenntnisse,
Anstellung bei zwei führenden juristischen Instituten[1]. In
einem panegyrischen Nachruf auf Wyschinski, den unmenschlichen Generalstaatsanwalt
in den Schauprozessen der dreißiger Jahre[2],
erklärte er diesen 1954 nicht nur zum „größten Rechts- und Staatstheoretiker
unserer Epoche“, sondern auch, er habe an Diskussionen mit Wyschinski
teilgenommen. Daß er von den Verfolgungen der deutschen kommunistischen
Emigranten in der Sowjetunion ausgenommen blieb, erweckt Argwohn. In der
Evakuierung nach Taschkent verfaßte er eine zweite Dissertation „Kritik der
klassischen und soziologischen Richtung im deutschen Strafrecht“[3].
Erst im
März 1946 wurde er, vermutlich auf Anraten des inzwischen als politischer
Berater bei der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland tätigen
Wyschinski, von der KPD nach Deutschland geholt. Hier baute er die Abteilung
Justiz beim Zentralkomitee der KPD auf und entwickelte bald enge Beziehungen zu
seinem Vorgesetzten Walter Ulbricht und wurde zum Mittelsmann bei der SMAD.
Nach Kräften half er mit bei der Lancierung von SED-Leuten auf wichtige Posten,
beschönigend „Personalpolitik“ genannt. Die folgende Darstellung wird im wesentlichen zu einer Wiederholung der in der letzten Zeit
häufig dargestellten Entwicklung der Justizverwaltung und der Verfassung der
DDR von 1949 unter Herausstellung der Beteiligung Polaks.
1949
wurde Polak, wie lange ersehnt, trotz fehlender Habilitationsschrift Ordinarius
an der Universität Leipzig. Doch schon anderthalb Jahre später geriet er in die
im Gefolge des Prozesses gegen Noel Field auch in der DDR einsetzende
versteckte Antizionismuskampagne. Ein 100 Seiten langes Dossier warf ihm
Idealismus, völlige Ignorierung der Bedeutung von Stalin und Engels für die
Staatstheorie, sozialdemokratische Einstellung, Kosmopolitismus, Zersetzung und
Geldgier vor. Polak brach psychisch zusammen, verbrachte Monate in einer
Nervenheilanstalt und nahm seine Vorlesungstätigkeit nicht wieder auf.
Ulbricht
holte ihn in den Parteiapparat zurück, und Polak versuchte, das Vertrauen durch
wütende Polemik gegen die Bundesrepublik und Verherrlichung von Stalin,
Wyschinski und Ulbricht zu rechtfertigen. Mitte 1955 half er Ulbricht bei einer
ersten Kampagne gegen die Rechtswissenschaft, der dann 1958 die berüchtigte Babelsberger
Konferenz folgte.
Auf
einer Besprechung in der Abteilung Staats- und Rechtsfragen beim Zentralkomitee
der SED hieß es 1960: „Es hat sich ein richtiger Polak-Kult“ entwickelt. Kurz
darauf führte allerdings ein Referat über das Thema „Die Entwicklung der
Staatsfrage unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Frage“ zu scharfer
Kritik an Polak. Dieser brach wieder zusammen und mußte ein Krankenhaus
aufsuchen. Kurz darauf wurde er allerdings von Ulbricht zum Mitglied des
neugeschaffenen Staatsrats ernannt. Howe widerlegt die herrschende Meinung von
der maßgeblichen Beteiligung Polaks an dem Rechtspflegererlaß von 1963 mit dem
Hinweis auf dessen schwere, lang andauernde Erkrankung. Howe deutet den Artikel
von Heinz Such „Für eine schöpferische Staats- und Rechtswissenschaft, gegen
Dogmatismus und Rechtsnihilismus“ vom Frühjahr 1962 sachkundig als zwar
verdeckten, aber deutlichen Angriff auf Polak. Die für den Außenstehenden
schwer durchschaubaren Auseinandersetzungen um das Schlagwort von der „Spezifik
des Rechts“ und die „Erbe-Thesen“ werden von Howe überzeugend erläutert. Die
Leitung eines ihm auf den Leib geschneiderten Forschungsinstituts konnte Polak
nicht mehr antreten; er starb im Oktober 1963 im Alter von 57 Jahren.
Abschließend
befaßt sich Howe mit dem postumen Umgang mit Polak. Es erschienen umfangreiche
Ausgaben seiner Reden und Aufsätze, die jedoch teilweise im Sinne des neuen
Zeitgeistes geschönt waren. Mitte der achtziger Jahre sei „ein regelrechter
„Polak-Boom“ ausgebrochen.
Marcus
Howe hat es verstanden, ein Leben mit wenigen spannenden Momenten fesselnd
darzustellen. Von seinem Lehrer Uwe Wesel hat er die kurzen Sätze und die
legere Ausdrucksweise übernommen. Wenn die Biographie auch vielfach auf eine
Darstellung der Staats- und Rechtsgeschichte der SBZ/DDR bis zum Jahr 1963
hinausläuft, so erhält diese Darstellung doch durch die Beziehung auf einen
ihrer Hauptakteure eine in vielem neuartige Betrachtungsweise. Ob Polak eine
Gestalt der „Europäischen Rechtsgeschichte“ ist, darf man nach der Lektüre des
Buches bezweifeln. Immerhin paßt es in das Forschungsprojekt „Normdurchsetzung
in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften“, das das Max-Planck-Institut für Europäische
Rechtsgeschichte betrieben hat.
Regensburg Friedrich-Christian
Schroeder
[1] Unzutreffend die Behauptung, daß das
Volkskommissariat für Justiz, bei dem das Unionsinstitut für juristische
Wissenschaften angesiedelt war, „zur Unionsprokuratur, der Staatsanwaltschaft
gehörte“ (S. 13). Das Institut stand bis 1936 unter gemeinsamer Leitung
des Volkskommissariats der Justiz der RSFSR und der Staatsanwaltschaft und des
Obersten Gerichts der UdSSR (Schroeder, Osteuropa-Recht 1969,
S. 48).
[2] A. Waksberg, Gnadenlos. Andrei
Wyschinski – Mörder im Dienste Stalins, 1991.
[3] Unzutreffend die Ansicht Howes, eine Kandidatendissertation sei mit einer Habilitationsschrift vergleichbar. Dies gilt nur für die russische „Doktordissertation“.