Hexenprozesse und Gerichtspraxis, hg. v. Eiden, Herbert/Voltmer, Rita (= Trierer Hexenprozesse – Quellen und Darstellungen 6). Paulinus, Trier 2002. VII, 621 S. Ill.

 

Bei dem im wahrsten Sinne des Wortes „gewichtigen“ Sammelband des Sonderforschungsbereichs „Zwischen Maas und Rhein: Beziehungen, Begegnungen und Konflikte in einem europäischen Kernraum von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert“ handelt es sich erneut, nach vorausgegangenen 5 Bänden, um ein fundiertes, spannende Forschungszugänge referierendes Werk, das sowohl bekannte, schon in Buchform vorgestellte Ergebnisse referiert wie auch neue Zusammenhänge und Fragestellungen beinhaltet.

 

Auffallend ist die internationale Ausrichtung der Beiträge; der Bogen spannt sich von belgischen, niederländischen, englischen österreichischen über amerikanische bis zu deutschen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Der thematisch vorgestellte geographische Raum erstreckt sich von Kurtier, der Reichsabtei St. Maximin über die Herzogtümer Lothringen und Luxemburg, das Fürstbistum Lüttich, die Grafschaft Flandern, Holland und Brabant, die Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber bis nach Österreich. Durch die Untersuchung der Rolle einerseits übergeordneter weltlicher Instanzen kommen zudem das Parlament von Metz sowie das Reichskammergericht in den Blick, sowie andererseits die geistliche Institutionen im Hexereiverfahren durch die in Italien tätige Inquisition.

 

Die große Spannbreite der Beiträge wird rund um die Frage konzentriert, wie sich die Wechselwirkung zwischen Norm und Praxis, landesherrlich-staatlicher Rechtsdurchsetzung und willkürlich-gewohnheitsrechtlicher Verfahrensrealität in Hexenprozessen konkret gestaltete. Hierfür werden zunächst die Verfahrensebenen und ihre hierarchische Ordnung in den einzelnen geographischen Räumen aufgezeigt, um sodann die Auswirkungen dieser Normen auf die Praxis der Hexenprozesse zu untersuchen.

 

Nach einer kurzen, prägnanten Einleitung der beiden Herausgeber eröffnet den Reigen der Ausätze ein Beitrag von Rita Voltmer („Monopole, Ausschüsse, Formalparteien“ S. 5-68), die sich mit den Hexenverfolgungen in den Eifelterrritorien, Luxemburg und St. Maximin befasst, um Aspekte der „Vorbereitung, Finanzierung und Manipulation von Hexenprozesse durch private Klagekonsortien“ zu beleuchten. Die bekannte Erscheinung der Hexenausschüsse gewinnt damit noch einmal eine notwendige Klarstellung, die zeigt, dass Begriffe wie „Hexenverfolgung von unten“ nicht undifferenziert verwendet werden sollten, da sich dahinter auch durchaus die Interessen einer bestimmten Schicht entdecken lassen können, deren Vertreter oft genug als Rädelsführer einer scheinbar spontanen Aktion agierten. „Hexenverfolgung von unten“ konnte zudem nie gelingen, wenn die Obrigkeit nicht mitzog. Der wirtschaftliche Aspekt erweist sich zudem hier als ein konstitutives Element bei der Durchführung der Prozesse. Hierbei lassen gewisse Züge bei der Ausschussbildung, wie etwa das Schwurritual, von Ferne an die kirchliche Übung der Beeidung aller Bewohner und Bewohnerinnen einer ketzereiverdächtigten Gegend denken, die in die „inquisitio generalis“ einmündete.

 

Dem westlichen Reichsgebiet bleiben auch die folgenden Beiträge, die sich weniger grundsätzlich, dafür mehr beispielhaft dem Allgemeinthema nähern, verhaftet: Nach einem exemplarischen luxemburgischen Hexereiprozeß vor dem Großen Rat von Mecheln, der sich vor allem durch seine unklare Rechtssituation auszeichnete (Bors Fuge, Le roi des sorciers, S. 69-122), bindet Elisabeth Biesel in ihrem Beitrag („Hexerei und andere Verbrechen . Gerichtspraxis in der Stadt Toul“, S. 123-170) das Delikt der Hexerei in den zeitgenössischen Verbrechenskatalog ein und kann dadurch die speziellen Züge des Hexereidelikts deutlicher konturieren. Anhand des Strafprozessregisters von Toul kann nachgewiesen werden, dass zwar die Bestrafung der Hexerei deliktintern, mit anderen Regionen verglichen, relativ milde ausfiel, dass aber Hexerei deliktübergreifend gesehen in Toul relativ schwer geahndet wurde. Das gleiche kann für die Anwendung und Durchführung der Folter festgestellt werden. Die Autorin stellt an das Ende ihres Beitrags Auszüge des Registers, die besonders markante Fälle betreffen. Robin Briggs (La preuve d’Iceluy crime estante tres difficile, S. 171-227) beschäftigt sich mit der Durchführung von Hexenprozessen in Lothringen, wo eine Vielfalt miteinander konkurrierender Amtsgewalten festzustellen ist, wobei die Übernahme des französischen Prozessrechts ohne gleichzeitige Bereitstellung der hierfür nötigen juristischen Infrastruktur sicher den für diese Konkurrenz nötigen Boden bereitete. Insgesamt verfolgten die lothringischen Amtsträger in der Hexereifrage einen harten Kurs, bis hin zur gezielten Instrumentalisierung von Hexereianklagen. In einem kleinen Anhang sind Texte aufgeführt, die sich mit dem Wirken des procureur-general des Vosges, Dumenil d. J., befassen. Der Rolle des Parlaments von Metz ist der Beitrag von Christine Petry gewidmet (S. 227-252), die das politische Interesse, das hinter der dortigen Rechtssprechung lag, herausstellt: Kontrolle über die Strafgerichtsbarkeit in Lothringen zu erhalten war wichtige Voraussetzung für die Festigung der französischen Herrschaft. Exemplarisch kann die Autorin an zwei Fällen festmachen, wie durch das Parlament die Umdeutung des Hexereivorwurfs in die strafwürdigen Delikte der Vergiftung und des Sakrilegs vor sich ging, wobei die üblichen magischen Praktiken als Verführung und angebliche Magie qualifiziert werden. Ulrich Seibert untersucht „Gerichtsverfassung und Gerichtspraxis im Fürstbistum Lüttich“ (S. 253-278), wobei er sein Augenmerk auf die Herrschaft der Wittelsbacher Ernst und Ferdinand von Bayern richtet. Konträr zu seiner Linie in Köln konnte Ferdinand in Lüttich keine ausgebreiteten Hexenjagden veranstalten, so dass hier von einer eher unauffälligen Entwicklung gesprochen werden kann, die sich vor allem dem Wirken der ihre Unabhängigkeit wahrenden Schöffen der Obergerichte verdankt. Jos Monbally und Hans de Waardt beschäftigen sich mit den Verfolgungen in den damaligen Niederlanden. Montbally untersucht dabei die Grafschaft Flandern (Die Hexenprozesse in der Grafschaft Flandern, S. 279-315) und kann die These, dass in den ganzen südlichen Niederlanden Hexen stark verfolgt wurden, gerade rücken. Die von ihm erwähnten Fälle der Hinrichtung von Männern wegen Wahrsagens und Nigromantie als Rückfällige lässt noch die Nähe zu den Prinzipien des Ketzerverfahrens deutlich erkennen. Im Anhang bietet er eine Übersicht der von ihm zitierten Zauberei- und Hexenprozesse sowie ein hilfreiches Schema zum Verfahren im Hexenprozeß, wie es in Flandern angewandt wurde. De Waardt kann in seinem Beitrag (Verlöschen und Entfachen der Scheiterhaufen. Holland und Brabant in den 1590er Jahren, S. 317-331) eine Erklärung für die erstaunliche Tatsache bieten, dass zeitgleich in Holland die Scheiterhaufen verlöschen und in Brabant entfacht werden: Der wirtschaftliche Schwerpunkt Europas verlagerte sich von Antwerpen nach Amsterdam, so dass in Holland ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, während in Brabant die Kaufkraft schwand. Alison Rowlands eröffnet mit Rotheburg ob der Tauber den Blick auf die südlicheren Gegenden (Eine Stadt ohne Hexenwahn. Hexenprozesse, Gerichtspraxis und Herrschaft im frühneuzeitlichen Rothenburg ob der Tauber, S. 331-348). Deutlich wird die Wechselwirkung zwischen Mitgliedern der oberen Schicht in der Stadt und den ‚einfachen’ Leuten, die die Zurückhaltung bei den Prozessen begründet. Gerard Mülleder (Unterschiedliche Deliktvorstellungen bei Ober- und Unterbehörden am Beispiel der Salzburger Zauberer-Jackl-Prozesse, S. 349-394) rollt die bekannten Zauberer-Jackl-Prozesse nochmals auf, um gezielt die Aktionen der Behörden zu untersuchen, und Martin Scheutz enthüllt die auch bei weltlichen Prozessen mitspielende sakrale Seite der Gerichtspraxis (solle Gott die ehre geben. Zur Wertung von Aussagen vor Gericht in Kriminal- und Magieprozessen in Niederösterreich während des 18. Jahrhunderts, S. 395-422). Peter Oestmann (Die Rechtsprechung des Reichkammergerichts zum Hexenprozeß und ihre Resonanz, S. 423-454) und Rainer Decker (Gerichtsorganisation und Hexenprozessrecht der römischen Inquisition, S. 455-474) befassen sich mit der Gerichtspraxis übergeordneter Instanzen. Oestmann legt dar, dass durch die strenge Einhaltung der Verfahrensgrundsätze des processus ordinarius, bzw. der Carolina besonders enge Maßstäbe für die Folterindizien gesetzt wurden, man Besagungen restriktiv handhabte und eine ungehinderte Verteidigung der Angeklagten zuließ. Dies waren wirksame Beiträge der Juristen am Reichkammergericht um die Scheiterhaufen zum Verlöschen zu bringen. Decker kann nochmals, in Verlängerung der Forschungen John Tedeschis, unter Beweis stellen, dass der Einfluß der römischen Inquisition sich mäßigend auf die Verfolgungen in Italien und Spanien auswirkte und dass es zum großen Teil der protestantischen und liberalen Propaganda zu verdanken ist, dass noch immer ein Zerrbild des blutrünstigen Inquisitors in den Köpfen vieler herumspukt, welches dem historischen Befund nicht standhält. In ihrem zweiten Beitrag nimmt Rita Voltmer (Hexenprozesse und Hochgerichte. Zur herrschaftlich-politischen Nutzung und Instrumentalisierung von Hexenverfolgungen, S. 475-526) das Thema der Folgetagung zur Instrumentalisierung der Hexenprozesse im Oktober 2001 vorweg. Sie zeigt, welche Kämpfe der frühmoderne Staat bei der Durchsetzung seines Anspruchs, alle hoheitlichen Funktionen in einer Hand zusammenzufassen, bezüglich der Gerichtskompetenzen zu bestehen hatte. Hexenprozesse waren hierbei eine der Möglichkeiten, um Herrschaft zu festigen und durchzusetzen. Im thematischen Anschluß an Winfried Trusen, diesen aber nicht erwähnend, bindet Thomas Robisheaux (Zur Rezeption Benedict Carpzovs im 17. Jahrhundert, S. 527-544) die Wirkung von Bendict Carpzov in die protestantische Rechtskultur des 17. Jahrhunderts ein und versucht durch das Aufzeigen seiner Rezeptionsgeschichte die Widersprüche in seinen Rechtspositionen zu lösen - was (noch) nicht ganz zufrieden stellend gelungen ist. Den Abschluß bildet der Beitrag von Johannes Dillinger (Das magische Gericht. Religion, Magie und Ideologie), in dem der Autor versucht, die Rolle der Magie aus den unterschiedlichen Blickwinkeln von Anthropologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft aufzuzeigen. Diese auf den Punkt gebrachte Zusammenfassung der Standpunkte kann, vor allem was die Absetzung Magie und Ideologie anbelangt, sicher bei der Erhellung des Verständnishorizonts hilfreich sein.

 

Ein ausführliches Orts- und Personenregister, ein Siglen- und Autorenverzeichnis sowie drei Farbkarten beschließen den informativen Band.

 

Die wissenschaftliche Güte der Beitrage ist über die Maßen gewährleistet. Wie es bei einem so umfassenden Thema nicht anders sein kann, vermischen sich dabei in den einzelnen Beiträgen die bereits gut untersuchten Aspekte mit durchaus neuen Erkenntnissen, die sich vor allem der Feinanalyse der lokalen Besonderheiten verdanken. Damit wird erneut die Disparität und Komplexität der Hexenverfolgungen deutlich, die längst aus ihrem Schattendasein ins Zentrum des Interesses der Frühneuzeithistoriker und Frühneuzeithistorikerinnen gerückt sind. Auf weitere Vertiefungen darf man gespannt sein.

 

Utrecht                                                                                               Daniela Müller