Herbers, Klaus, Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer
unterwegs nach Santiago de Compostela, 7. Aufl. Narr, Tübingen 2001. 232 S.
Der Liber Sancti Jacobi ist
ein aus dem 12. Jahrhundert stammendes Sammelwerk, das Predigten, eine
Kollektion von Wundergeschichten, die Jakobuslegende und einen Bericht über den
Zug Karls des Großen nach Spanien enthält. Der fünfte Teil dieses Buches gilt
schließlich der praktischen Anleitung und wird deshalb nicht zu unrecht als „Pilgerführer“ bezeichnet. Er ist nicht nur
religions- und kulturhistorisches Dokument, sondern gleichermaßen für den
Rechtshistoriker von Interesse, da er Buß- und Strafvorschriften enthält. Zum
Beispiel kann ein Priester jemand wegen seiner Vergehen auf Pilgerschaft
schicken und ihn somit gleichsam ins Exil verbannen. Hintergrund ist, dass der
Pilger durch die Gnade Christi gerettet werden kann, wenn er seine Sünden
aufrichtig bekannt hat und die auferlegte Buße durchführt. Der Verfasser des
Pilgerführers berichtet über verschiedene einschlägige Laster, die er sehr
deutlich verdammt. Hier stehen insbesondere die Wirte im Vordergrund; solche,
die den Bürgern beste Betten versprechen und ihnen schlechte geben oder ihren
Gästen besten Wein ausschenken, um sie betrunken zu machen, um dann während
ihres Schlafes von ihnen Geldbeutel, Taschen und andere mitgeführte Gegenstände
zu entwenden. Der ganz schlechte Wirt reicht den Pilgern todbringende Getränke,
um sich ihrer Habe zu bemächtigen. Ebenso sollen jene bestraft werden, die ein
Fass unterteilen und es mit zwei verschiedenen Weinen füllen, von denen sie
zunächst den besseren den Pilgern zur Probe anbieten, dann jedoch nach dem
Essen den schlechteren Wein aus dem zweiten Teil des Fasses servieren. An
anderer Stelle verdammt der Pilgerführer die Wirtsmägde, die sich aus Hurerei
und Geldgier auf teuflisches Geheiß nachts den Pilgerbetten zu nähern pflegen.
Diese Dirnen werden nicht nur exkommuniziert, sondern von allen geplündert und
durch Rümpfen der Nase öffentlich geächtet. Der Pilgerführer verurteilt auch
das heuchlerische Betteln, und zwar von solchen, die mit Leidensminen auf ihre
Beine und Arme hinweisen, die sie entweder mit dem Blut eines Hasen bestrichen
oder durch die Asche einer Pappel gefärbt haben, um den Vorbeigehenden ein
Almosen zu entlocken. Andere färben einen Arm oder ein Bein, das ihnen
einstmals bei einem Raub zur Strafe abgeschnitten wurde, mit dem Blut eines
Tieres, so als ob sie ihre Gliedmaßen durch Krankheit verloren hätten, und
zeigen dies den Vorüberziehenden. Zum Schluss erwähnt der Pilgerführer noch die
Zöllner von Ostabat, von Saint-Jean-Pied-de-Port und Saint-Michel-Pied-de-Port,
die dafür bekannt waren, einen überhöhten und ungerechten Zoll zu verlangen. Über
diese Personen verhängt man sogar eine hundertmalige Exkommunikation und
schließt sie vom Paradies aus. Die anderen Missetäter, nämlich Wirte, Wechsler,
Händler und Zöllner sollen zur Reue ermahnt werden.
Von wichtigem Interesse sind ferner
die Strafwunder. Eines führt in die Stadt Poitiers, wo der Leichnam des
heiligen Bischofs und Bekenners Hilarius von den Pilgern besucht werden muss.
Das Strafwunder berichtet, dass zwei französische Herren, die einst ohne jede
Habe von Santiago de Compostela zurückkehrten, vom Hause des Johannes Gautier
bis zur Kirche St. Porchaire um Gastfreundschaft baten, jedoch keine fanden.
Als sie im letzten Haus jener Straße neben der Basilika von St. Porchaire
schließlich bei einem Armen Aufnahme fanden, trat die Strafe Gottes ein: Ein
rasendes Feuer brannte die ganze Straße in jener Nacht nieder, beginnend bei
jenem Hause, in dem sie zuerst um Gastfreundschaft gebeten hatten bis zu jenem
Haus, in dem sie bewirtet worden waren, was ungefähr 1000 Häuser betraf. Das
Haus, in dem die Diener Gottes aber aufgenommen worden waren, blieb durch
Gottes Gnade unversehrt, berichtet der Pilgerführer weiter. Durch dieses
Strafwunder sollten die Pilger nicht nur ermuntert werden, die Gastfreundschaft
der Einheimischen in Anspruch zu nehmen, sondern umgekehrt auch die jeweils
Einheimischen ermahnt werden, die Jakobspilger, seien sie nun arm oder reich,
aufzunehmen und gewissenhaft zu umsorgen[1]. Aus
den überlieferten Wundergeschichten - abwechslungsweise miraculum oder exemplum
genannt - ragt noch das sehr bekannte Galgen- oder Hühnerwunder hervor, das
Ende des 11. Jahrhunderts in der Stadt Toulouse spielt. Ein Gastgeber
versteckte einen silbernen Becher im Gepäck von schlafenden Pilgern, um diese
am nächsten Tag des Diebstahls zu überführen und sich ihres Geldes zu
bemächtigen. Nach dem Hahnenschrei folgte ihnen der feindliche Gastgeber mit
bewaffneten Leuten und forderte sie auf, das Geld zurückzugeben. Obwohl die
Pilger ihre Unschuld beteuerten, konnten sie natürlich des Diebstahls angezeigt
werden, da sich der Becher in ihrem Gepäck ohne ihr Wissen befand. Vor Gericht
sollten einer (der Vater) freigelassen und der andere (sein Sohn) zur
Hinrichtung gebracht werden. Während der Sohn also alsbald gehängt wurde, zog
sein Vater weiter nach Santiago de Compostela. Als der Vater nach Toulouse
zurückkam, fand er seinen Sohn lebendig und erfuhr, dass der schlechte
Gastgeber in einem öffentlichen Prozess verurteilt und aufgehängt worden war[2]. Das
Galgen- oder Hühnerwunder wird durch das gesamte Mittelalter hindurch in
Mirakel- und Pilgererzählungen immer wieder verwandt und abgewandelt und ist
daher als Paradebeispiel eines Strafwunders für die Geschichte des Strafrechts
sehr forschungsergiebig[3].
Auch in der bildenden Kunst sind
Strafwunder und deren Ergebnisse sichtbar. Menschliche Laster und Sünden sind
in unterschiedlicher Umsetzung teils als bestrafte oder noch zu strafende exempla sichtbar. Thomas Igor C.
Becker zeigt in seiner eindrucksvollen Untersuchung über Eunate (Navarra): Zwischen Santiago und Jerusalem.
Eine spätromanische Marienkirche am Jakobsweg[4], dass es in vielen nordspanischen Kirchen Lasterkanones gab,
bei denen Habgier und mit Sexualität verbundene Laster im Vordergrund des
Geschehens standen. Auf ikonografische Weise wurde also das durchzusetzen
versucht, was zum großen Teil der Liber
Sancti Jacobi in Schriftform pönalisierte.
Saarbrücken Thomas
Gergen
[1] Vgl. die Besprechung zu: Der Jakobuskult in Kunst und Literatur – Zeugnisse in Bild, Monument, Schrift und Ton, hg. v. Klaus Herbers/Robert Plötz (Jakobus-Studien 9), Tübingen 1998, in: ZRG Germ. Abt. 119 (2002), S. 556-559.
[2] Mit den Quellen dieses Wunders setzt sich intensiv auseinander: Luís M. Calvo Salgado, Die Wunder der Bettlerinnen. Krankheits- und Heilungsgeschichten in Burgos und Santo Domingo de la Calzada (1554-1559), Tübingen, Narr 2000 (Jakobusstudien 11), S. 139-173.
[3] Vgl. in diesem Band die Besprechung zum Beitrag von Ignacio Cremades Ugarte über „Das Recht des Jakobsweges: Der Fall des gehenkten Pilgers“.
[4] Narr, Tübingen 1995 (Jakobusstudien 6), S. 51-54.