Hense, Thomas, Konrad Beyerle. Sein Wirken
für Wissenschaft und Politik in Kaiserreich und Weimarer Republik (=
Rechthistorische Reihe 256). Lang, Frankfurt am Main 2002. 273 S.
Das wissenschaftliche Werk des Rechtshistorikers,
Politikers der Bayerischen Volkspartei und Staatsrechtlers Konrad Beyerle
(1872-1933) dürfte den Lesern dieser Zeitschrift noch bekannt sein: die
rechtshistorischen Arbeiten zur Konstanzer und Kölner Stadtgeschichte, die
kulturgeschichtlich wertvollen Reichenau-Forschungen, die Edition der Lex
Baiuvariorum, die Herausgabe der Deutschrechtlichen Beiträge. (Die umfängliche
Bibliographie im Anhang). Der 1899 in Freiburg im Breisgau habilitierte, 1902
nach Breslau, 1905 nach Göttingen und 1918 nach München berufene
Rechtshistoriker hat als maßvoller Mann der Mitte in der verfassunggebenden deutschen
Nationalversammlung und - 1920 bis 1924 - als Mitglied des Reichstages
politisch gewirkt. Einen festen Platz im Gedächtnis der Verfassungshistoriker
hat er sich durch seine maßgebende Mitarbeit am zweiten Hauptteil der Weimarer
Verfassungsurkunde mit den Grundrechten und Grundpflichten erworben. Eine
umfassende und erschöpfende Biographie hat der verdienstvolle Mann freilich
noch nicht erfahren. Die Darstellung des Rezensenten (Konrad Beyerle - Leben
und Werk, in: Gestalten und Probleme katholischer Rechts- und Soziallehre.
Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft,
1977) konnte nicht alle Zeugnisse heranziehen und auswerten. Um so
begrüßenswerter erscheint nun die von Hermann Nehlsen angeregte und geförderte
Münchener juristische Dissertation, die eine Fülle neuer Quellen erschließt.
Auch der Anhang bietet eine ganze Reihe interessanter archivalischer Dokumente.
Der Autor liefert eine Biographie Konrad Beyerles, „die seine mittlere
Schaffensperiode als politischer Professor und christlich-katholischer
Politiker in den Jahren des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik,
insbesondere seine Mitarbeit an der Weimarer Reichsverfassung in den
Vordergrund stellt" (S. 13). Dahinter tritt das umfangreiche und vielfältige
rechtswissenschaftliche Oeuvre indessen zurück.
Der Autor
portraitiert seinen Helden auf überzeugende Weise. Beyerle, monarchisch
gesonnen, hatte die Revolution nicht begrüßt, erwies sich danach aber nicht nur
als „Vernunftrepublikaner", sondern als überzeugter Demokrat. Als Christ
dachte er naturrechtlich. „Der Staat hatte die Grundrechte nicht erst zu
gewähren, sondern seine Aufgabe bestand darin, sie möglichst wirksam zur
Geltung zu bringen“ (S. 88). Beyerle sah in der „überragenden
Allgemeingültigkeit“ der Grundrechte ein einigendes Band. Der Staat sollte
seine Wirksamkeit nicht auf die allgemeine Wohlfahrt beschränken, sondern auch
geistige Werte vermitteln im Wege staatsbürgerlicher Bildung. „Der immer wieder
betonte Erziehungsgedanke beinhalte ein dynamisches Element als Basis einer
inneren und äußerlichen Entwicklung zur Demokratie, die er sich in der Färbung
eines christlich-katholisch geprägten Gemeinwesens wünschte“ (S. 89).
Beyerles Ausschuß-Arbeit und redaktionelle Federführung im Dienste der „Grundrechte
und Grundpflichten der Deutschen“ fanden zwar in der
Öffentlichkeit nicht den Widerhall wie Friedrich Naumanns Versuch,
„volksverständliche Grundrechte“ zu formulieren,
erfuhren jedoch durchaus Anerkennung unter Fachleuten und in der Literatur. Der
Abgeordnete Dr. Albert Düringer erklärte im Plenum der Nationalversammlung :
„Es ist das Verdienst des Abgeordneten Beyerle, daß er einen Weg fand, der es
ermöglichte, den Leitgedanken des Abgeordneten Naumann beizubehalten, auch einige seiner Leitsätze zu
verwerten, den Abschnitt aber so auszugestalten, daß er einen juristisch
faßbaren Inhalt bekam, ja ihn so auszubauen, daß er in der gegenwärtigen Form
und Fassung als der Niederschlag der gegenwärtigen deutschen Rechtskultur und
zugleich in mehrfacher Hinsicht als ein Programm künftiger Rechtsentwicklung
angesehen werden kann“ (S. 113f.). Hense bestätigt dieses Urteil und zeichnet
die Leistungen Beyerles in allen Einzelheiten nach. Dabei ergeben sich
reizvolle Initiativen des gelehrten Parlamentariers, wie diejenigen, Gutachten
einzuholen etwa bei keinen geringeren als von Amira und von Gierke.
Mit seinem Vorschlag, den Grundrechtsteil
der Verfassung dem staatsorganisatorischen Abschnitt voranzustellen, vermochte
sich Beyerle nicht durchzusetzen. Und wenngleich er „für die gerichtliche
Sanktion der Grundrechte eingetreten war, dürfte er die Nichterreichung dieses
Teilzieles nicht als allzu schmerzlich empfunden haben, lag für ihn doch der
Hauptwert der Grundrechte in deren volkserzieherischer Wirkung" (S. 166).
Als Vertreter der BVP, der Vorkämpferin des Föderalismus, gehörte Beyerle zum
strengeren föderalistischen Lager, was ihm teils heftige Kritik eintrug. Hense
übergeht die negativen Urteile, etwa von Ulrich Stutz und Victor Klemperer (S.
191) nicht, die dem konservativen, gelegentlich pathetisch und gravitätisch
auftretenden politischen Professor galten. Immerhin gehörte Beyerle zum linken
Flügel seiner Partei, und sein Verhältnis zur offiziellen Politik der wenig
verfassungsbegeisterten BVP war gespannt. Die Partei hat ihn dann auch 1924
nicht mehr als Reichstagskandidaten aufgestellt.
Die ihm verbleibenden bemessenen Jahre hat
der gesundheitlich geschwächte Mann als Rechtslehrer und Publizist genutzt -
auf seinem Münchener Lehrstuhl und jenseits der Politik. Zu seinen Verdiensten
in dieser Zeit gehört nicht zuletzt die Gründung des Instituts für bayerische
und deutsche Rechtsgeschichte 1927. Nationalsozialistische Anfeindungen blieben
dem aufrechten Verteidiger der Weimarer rechtsstaatlichen Ordnung nicht
erspart. Sein Tod im April 1933 bewahrte ihn vor Schlimmerem.
Die Dissertation Thomas Henses bietet eine
Fülle von Details und Aufschlüssen zur Rechts- und Verfassungsgeschichte
vornehmlich der jungen Weimarer Republik. Der politische Professor Konrad
Beyerle erfährt dabei eine ausgewogene, gerechte und verständnisvolle
Würdigung. Der Leser erfährt über dessen politisches Denken und Handeln mehr
als aus den bisherigen Publikationen. Das Werk dient dem Gedächtnis eines
Juristen, das nicht verloren gehen soll.
Heidelberg Adolf
Laufs