Hartmann-Polomski, Carola, Die Regelung der gerichtsinternen
Organisation und des Geschäftsgangs der Akten als Maßnahmen der
Prozessbeschleunigung am Reichshofrat. Cuvillier, Göttingen 2001. XXV, 174 S.,
Ill., graph. Darst.
Der 1498 von Kaiser Maximilian
geschaffene Reichshofrat (RHR) war zunächst zugleich für Regierungs-,
Verwaltungs- und Rechtsprechungsaufgaben zuständig, seit Mitte des 16.
Jahrhunderts aber auf gerichtliche Funktionen beschränkt. Er stand damit als
zweites oberstes Reichsgericht in Konkurrenz zum Reichskammergericht. Anders
als dem Reichskammergericht fehlte es dem Reichshofrat an einer das gesamte
Verfahrensrecht regelnden Ordnung. Der Reichshofrat bestand aus einem Präsidenten
und einer mehrmals geänderten Zahl von Reichshofräten (zwischen 18 und 30), die
sich in eine Gelehrten- und eine Herrenbank aufteilten. Das Verfahren vor dem
Reichshofrat lief streng schriftlich ab, indem die Parteien zur Vorbereitung
der Entscheidung Schriftsätze (Klage, Supplikation, Antragsschrift, Erwiderung,
Replik etc.) wechselten. Die Entscheidungen fielen in Plenarsitzungen aufgrund
von durch einen oder zwei Referenten vorgetragene Relationen.
Wie auch beim Reichskammergericht wurde
beim Reichshofrat von Anfang an eine möglichste Verfahrensbeschleunigung
angestrebt. Hartmann-Polomski untersucht in der zu besprechenden Arbeit,
wie im reichshofrätlichen Verfahren die Dauer der Prozesse außerhalb der
Prozessgrundsätze (wie etwa der Eventualmaxime) durch eine funktionierende
Gerichtsorganisation und eine geregelte geschäftsmäßige Erledigung der Akten
verkürzt wurde. Als Quellen dienten ihr in erster Linie die Reichshofratsordnungen
von 1559, 1617 und 1654, die Reichshofrats-Instruktion von 1594, mehrere
Dekrete, das so genannte Mainzer Konzept zur Reichshofratsordnung von 1617 und
andere vorbereitende Stellungnahmen, Erklärungen und Gutachten, weiterhin
Wahlkapitulationen und schließlich zeitgenössische Literatur des 18.
Jahrhunderts. Die Verfasserin schildert die einzelnen prozessbeschleunigenden
Maßnahmen in fünf Abschnitten, die sie im Wesentlichen nach dem gewöhnlichen
Verfahrensablauf ordnet.
Im ersten Abschnitt beschreibt sie die
Aktenordnung und findet dabei die Instrumente, durch die eine Unordnung und
Unvollständigkeit der Akten vermieden werden sollte. Dies waren Eingangs- und
Inhaltsvermerke (sogenannte Protonotate) sowie eine Nummerierung der in einer
Sache eingegangenen Schriftsätze. Ferner wurden Protokolle über die innerhalb
eines Jahres und die in jeder einzelnen Sache eingegangenen Schriftsätze
(Audienz- bzw. Nebenprotokoll) sowie über die ergangenen Entscheidungen
geführt. Die Entscheidungen wurden des besseren Überblicks wegen zusätzlich in
einem Entscheidungs- bzw. Resolutionsprotokoll festgehalten. Ein 1637 und
erneut 1766 angeordnetes Votantenprotokoll über die abgegebenen Voten der
Reichshofräte wurde in der Praxis tatsächlich nicht geführt. Überdies wurde
seit 1766 ein Prozessregister angelegt, aus dem die unerledigten Sachen hervorgingen,
so dass der Reichshofratspräsident eine Übersicht erhielt, welcher Bestand
abzubauen war. Die Vollständigkeit der Akten sollte seit 1670 durch die Pflicht
der Parteien zur Zusammenheftung der Schriftsätze nebst Beilagen erreicht
werden. Die Parteien hatten zudem das Recht, die Akten auf ihre Vollständigkeit
zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen. Die Reichhofkanzlei foliierte die
Schriftsätze und heftete sie auf Kosten der Parteien zur Akte. Bevor die
Reichshofräte mit der Bearbeitung der Akte begannen, hatten sie diese auf
Vollständigkeit zu überprüfen. Des Weiteren oblag ihnen die Pflicht, die Akten
sorgfältig zu behandeln. Um jederzeit einen Überblick zu bekommen, welcher
Reichshofrat eine Akte zur Bearbeitung erhalten hatte, wurde ein Aktenverzeichnis
geführt, das nach Referenten gegliedert war. So konnten auch nachträglich
eingegangene Schriftsätze leichter zugeteilt werden. Die Entscheidung der
Reichshofrats wurde in der Akte vermerkt und auf Gesuch der Parteien nach
Zahlung einer Gebühr unverzüglich bzw. innerhalb weniger Tage im kanzleimäßigen
Stil ausgefertigt, wovon den Parteien nach Entrichtung einer weiteren Gebühr
wiederum unverzüglich Abschriften erteilt wurden.
Im zweiten Abschnitt geht die Verfasserin
auf die Leitungsaufgaben des Reichshofratspräsidenten ein, dem die Verteilung
der Prozesssachen auf die Reichshofräte zukam. Dabei hatte der Präsident auf
eine gleichmäßige Auslastung und auf besondere Qualifikationen wie Sach- und
Ortskenntnis zu achten. Damit die Sach- und Rechtslage eines Falles im Laufe
der Bearbeitung nicht von verschiedenen Referenten unterschiedlich beurteilt
wurde, blieb der einmal bestimmte Referent grundsätzlich bis zur Entscheidung
zuständig. Wie die Verfasserin zutreffend anmerkt, führte die Möglichkeit,
einen Korreferenten zu bestimmen, zwar zu gründlicherer Bearbeitung, zugleich
aber auch zur Verzögerung der Erledigung.
Die Sitzungen des Reichshofrats fanden je
nach Arbeitsanfall, durchaus aber auch unter Berücksichtigung genügender
Vorbereitungszeit für die Referenten an drei bis sechs Tagen in der Woche,
zumeist an vier Wochentagen statt und dauerten drei oder mehr Stunden.
Den dritten Abschnitt widmet
Hartmann-Polomski der Bearbeitungszeit, die den Reichshofräten zur Anfertigung
ihrer Relationen zustand. Sie stellt dabei fest, dass den Referenten in der
Regel drei Tage (ohne Sonntag) verblieben. Damit sich die Reichshofräte ihrer
Aufgabe uneingeschränkt zuwenden konnten, durften sie Dienstverpflichtungen
gegenüber Dritten nur mit kaiserlicher Genehmigung eingehen. Zudem gab es
Urlaubsregelungen, um die Anwesenheit der Räte zu sichern.
Im vierten Abschnitt geht die Verfasserin
auf die Verhaltenspflichten der Beteiligten ein. Den Parteivertretern oblag es
schon seit der Reichshofrats-Instruktion von 1594, sich in ihrem schriftlichen
und mündlichen Vortrag aller Weitläufigkeiten zu enthalten. Auch die Gestaltung
der Schriftsätze war eingehend geregelt. Die Verhaltenspflichten des referierenden
Reichshofrats bestanden vor allem darin, einen begonnenen Aktenvortrag ohne
Unterbrechung zu Ende zu führen, bevor er einen weiteren anfing. Ein etwaiges
Korreferat sollte dem Aktenvortrag des Referenten unmittelbar nachfolgen. Die
übrigen Reichshofräte durften den Referenten grundsätzlich nicht unterbrechen,
sondern konnten Verständnisfragen oder Anmerkungen erst nach Beendigung des
Vortrags äußern. Die Verfasserin weist auf eine seit der Reichshofratsordnung
von 1559 bestehende Möglichkeit hin, dass ein nicht referierender Rat die Akte umb pessers nachdencken willen nach dem
Aktenvortrag für einige Tage mit nach Hause nehmen durfte. Dies verzögerte zwar
die Prozesserledigung, trug aber zu einer richtigen Entscheidung bei, wenn
dabei entdeckt wurde, dass der Referent etwas Erhebliches übersehen hatte.
Dem Aktenvortrag hatte der Referent eine
– außer bei Zwischenentscheidungen, unwichtigen oder eilbedürftigen Sachen –
schriftliche Relation zugrunde zu legen. Sie begann mit einem Aktenauszug, der
zur Zeitersparnis weitschweifigen Vortrag der Parteien kürzen sowie auf die
Wiedergabe ihrer Rechtsansichten verzichten sollte. Nach einer Bestimmung des
Streitgegenstandes folgte die eigentliche Geschichtserzählung, das heißt die
chronologische Schilderung der unstreitigen Tatsachen. Daran schloss sich das
Votum, in dem der Referent die Zulässigkeit der Klage und die
materiell-rechtliche Lage beurteilte, wobei aus praktischen Gründen
überflüssige Argumentationen wegzulassen waren. Schließlich gab der Referent
einen Entscheidungsvorschlag ab. Im Anschluss daran votierten die übrigen
Reichshofräte, wobei sie sich kurz fassen und Ausführungen vorheriger Votanten
nicht wiederholen sollten, um die Umfrage nicht unnötig zu verlängern. Die
Verfasserin weist hier darauf hin, dass der votierende Reichshofrat vermeiden
sollte, abwegige Rechtspositionen zu vertreten oder auf einer Mindermeinung zu
beharren, jedoch bezieht sich diese Darstellung der von ihr herangezogenen
Quelle offenbar allein auf den Referenten, während den Votanten vor allem die
Wiederholung früherer Ausführungen versagt wurde. Der Votant durfte nicht
unterbrochen oder gestört werden; den übrigen Reichshofräten war es untersagt,
sich derweil mit anderen Dingen zu beschäftigen, um sich auf das vorgetragene
Votum zu konzentrieren. Wiederum zu einer Verfahrensverzögerung kam es dadurch,
dass sich ein Reichshofrat vor Abgabe seines Votums eine Bedenkzeit von einem
(Reichshofratsordnung von 1626) bis zu vier Tagen (Reichshofratsordnungen von
1617, 1654) erbitten konnte.
Wie die
Autorin im fünften Abschnitt beschreibt, hatte der Reichshofratspräsident nach
der Umfrage gemäß dem einstimmigen oder mehrheitlichen Votum der Reichshofräte
die Entscheidung (das Konklusum) zu fällen. Ein eigenes Stimmecht stand ihm
jedoch zu, falls sich zwei Ansichten in gleicher Votenzahl gegenüberstanden.
Diese Abweichung vom mittelalterlichen Grundsatz der Trennung von Richter und
Urteilern führte dann zur schnelleren Erledigung der Prozesssachen.
In ihrer Zusammenfassung kommt Hartmann-Polomski
zu dem Ergebnis, dass ungefähr vier Fünftel aller reichshofrätlichen
Bestimmungen darauf abzielten, eine schnellere Prozessabwicklung zu erreichen.
Ergänzt wird ihre Darstellung durch einige anschauliche Textbeispiele sowie
eine Synopse der Rechtsquellen zu den abgehandelten Punkten.
Insgesamt zeichnet sich die Arbeit durch
eine sorgfältige Quellenauswertung aus. Zwar waren viele Einzelheiten des
Verfahrens vor dem Reichshofrat bereits in vorausgegangenen Arbeiten (vor allem
von Wolfgang Sellert) herausgestellt worden, neu ist demgegenüber die
Betrachtung der Befunde unter der gewählten Themenstellung. Wünschenswert wäre
eine ergänzende Untersuchung gewesen, ob die von der Verfasserin beschriebenen
Maßnahmen der Prozessbeschleunigung schon früher anderweitig praktiziert worden
waren oder erstmals am RHR entwickelt wurden.
Bad Nauheim Reinhard
Schartl