Handschriften, Historiographie und Recht.
Winfried Stelzer zum 60. Geburtstag, hg. v. Pfeifer, Gustav (=
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
Ergänzungsband 42). Oldenbourg, München 2002. 328 S.
Der Herausgeber Gustav Pfeifer
weist in der Einleitung zur Festschrift für den Professor für mittelalterliche
Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien darauf
hin, dass der Titel der Festgabe zugleich „für drei zentrale Wegmarken“ des
wissenschaftlichen Werdegangs in Forschung und Lehre des Gelehrten steht. Das
belegt auch das eindrucksvolle Schriftenverzeichnis Winfried Stelzers.
Der erste Teil des Buches ist
überschrieben mit dem Titel „Gelehrtes Recht“ und umfasst zwei Beiträge. Der
eine von Thomas Ertl behandelt „Kanonistik als angewandte Wissenschaft“,
in dem das Verhältnis von wissenschaftlichem Text und historischer Wirklichkeit
am Beispiel der Bischofswahl in Brandenburg mit all ihren Komplikationen
untersucht wird, und die Beziehung zwischen ius
commune und ius particulare,
zwischen allgemeiner Norm und gelebtem Rechtsalltag, in den Vordergrund rückt.
Der gelehrte Franziskaner Balduin von Brandenburg und seine Vorläufer spielten
dabei eine Rolle. Rainer Murauer befasst sich mit „Zwei Formen der
gütlichen Streitbeilegung im 12. und 13. Jahrhundert: transactio und amicabilis
compositio“ und verfolgt deren Rezeption in den Urkunden lokaler Aussteller
in Auswahl aus Urkundenbüchern östlicher Alpenländer und in Regionen, die in
jüngerer Zeit für die Fragestellung maßgeblich bearbeitet wurden. Die beiden
Begriffe werden meist an Beispielen päpstlicher Entscheide in individuellen
Rechtsstreitigkeiten, die aber durch Aufnahme in den Liber extra Gregors IX
allgemein gültig wurden, im klassisch-kanonischen Recht untersucht, worauf die
Frage gestellt und beantwortet wird, in welchem Ausmass und wie rasch die
päpstliche Rechtsprechung zu dieser Problematik rezipiert wurde. Dabei ergibt
sich, dass in der Urkundenpraxis im Gegensatz zum Dekretalenrecht die Trennung
der Begriffe unscharf ist, ja sich auch bei der römischen Kurie nicht immer
streng durchsetzte.
Der zweite, umfangreichere Teil der
Festschrift befasst sich weniger mit dem Recht als vielmehr mit „Handschriften
und Historiographie“. Der Codex 782 der Stiftsbibliothek Admont enthält eine
anonyme Göttergenealogie, die Christoph Egger ediert und interpretiert
und mit einschlägigen Texten vergleicht („Heidnische Götter in Admont“). Margit
Kamptner macht in bedeutender Kleinarbeit „Philologische Bemerkungen zu
Johann von Viktring“ und betrachtet sprachliche und stilistische Eigenheiten
des von diesem Zisterzienserabt verfassten „Liber certarum historiarum“. Im
Beitrag „Horaz, die Chronik von 95 Herrschaften und Friedrich III.“ stellt Martin Wagendorfer Überlegungen zum vielschichtigen
Widmungsbrief der „Historia Austrialis“ des Aeneas Silvius de Piccolomini
(Papst Pius II. 1458-1464) an, sowie zu dessen Arbeitstechnik und Verhältnis zu
Friedrich III. und dessen Hof. Karel Hruza wendet sich dem „Liber Pauli
de Slawikowicz“ zu, dem hussitischen Codex 4937 der Österreichischen
Nationalbibliothek in Wien und seinem ursprünglichen Besitzer, der 1395 an der
Universität Prag den Titel eines Baccalaureus
Artium erwarb, und dessen Bibliothek. „Studien zur Buchmalerei für das
Wiener Dominikanerkloster während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts“
betreibt Martin Roland, wobei er feststellt, dass die Wiener Dominikaner
intellektuell in dieser Epoche sowohl auf der Höhe der Zeit waren als auch
prunkvoll ausgestattete Handschriften besassen und diese Ausstattung wohl kaum
gegen den Willen des sonst streng ausgerichteten Konvents erfolgte. Peter
Wiesflecker äußert sich kritisch und zu den Quellen „Zur Adelsliste in Jakob
Unrests Kärntner Chronik“. Deren Verfasser war in der 2. Hälfte des 15.
Jahrhunderts Pfarrer und später Chorherr des Kapitels zu Maria Saal. In seiner
1490 abschließenden Chronik stellt er erloschene Geschlechter des Kärtner Adels
auf, beginnend mit 11 angeblichen Grafenfamilien und ihrem Bezug zu einzelnen
Klöstern und fortgeführt mit dem Verzeichnis von 134 Familien des niederen
Adels.
Der letzte Teil der Festschrift ist
überschrieben „Historische Hilfswissenschaften, Religions- und
Landesgeschichte“ und wird eingeleitet durch den Beitrag von Karl Ubl
über „Die österreichischen Ketzer aus der Sicht zeitgenössischer Theologen“.
Neben Ausführungen zur Häresie und Scholastik im allgemeinen und in Österreich,
wo die Scholastik erst allmählich Fuß fasste, und über Häresie in Österreich,
untersucht Ubl, welche Rolle die Häresie in den Schriften der führenden
Theologen Österreichs spielte, wobei er feststellt: „die theologische
Auseinandersetzung mit Häretikern fand ... insgesamt nur selten statt“. Unter
dem Titel „Advocati und defensores“ verfolgt Roman Zehermayer die
adeligen Neben- und Untervögte der steirischen Klöster im 12. und 13.
Jahrhundert. Ab der Wende zum 13. Jahrhundert bemühten sich die Klöster mit
Hilfe der Landesfürsten, die davon profitierten, die lästigen adeligen
Untervogteien einzuschränken und die Bestimmungen der Privilegien wirksam zu
machen, was zu heftigen Konflikten mit dem Adel führte, der aber meist den
Kürzeren zog, wobei die tatsächlichen finanziellen Verluste des Adels durch das
Dahinfallen der Vogtei und
Gerichtsabgaben schwer abzuschätzen sind. Erst gegen Ende des
Jahrhunderts flauten die Kämpfe allmählich, wenn auch nicht ganz, ab. Einen
Beitrag zur Geschichte des habsburgischen Hausarchivs in Baden im Aargau
leistet Christian Lackner („Archivordnung im 14. Jahrhundert“). Dieses
Archiv war auf der Burg Stein oberhalb der aargauischen Stadt Baden in den
habsburgischen Stammlanden, wo auch die österreichischen Landvögte residierten,
und zählte am Ende des 14. Jahrhunderts 1500 Urkunden. 1415 eroberten die
Eidgenossen die Burg und das Archiv, das verstreut wurde. Erst seit 1477 gelang
es Österreich, wieder in den Besitz einzelner Archivalien zu gelangen. Es gibt
zwei Archivverzeichnisse der Feste Baden, die Lackner genauer untersucht.
„Staufische Kaiserurkunde und normannische Urkundentradition“ nennt sich der
Aufsatz von Andrea Rzihacek-Bedö, in dem nach den Trägern der
Kanzleiarbeit im Königreich Sizilien gefragt wird. Während des zweiten
Aufenthaltes Heinrichs VI. im Königreich (1194-1195) sind vor allem
einheimische Schreiber tätig, traf ja Heinrich VI. bei der Übernahme der
Regierung im Königreich Sizilien auf eine hochentwickelte Verwaltung und
Bürokratie, was sich auch im Urkundenwesen widerspiegelt. Die Einflüsse aus dem
normannisch-sizilischen Urkundenwesen sind stärker spürbar, und auffallend ist,
wie von den Kanzleigewohnheiten abgewichen wird. Das ändert sich während des
letzten Aufenthaltes von Heinrich VI., als der Einfluss des den Kaiser
begleitenden Notars die Kanzleigewohnheiten stärkte und die einheimischen
Kräfte zurückgedrängt wurden. Im letzten Beitrag des Bandes macht dessen
Herausgeber Gustav Pfeifer unter der Überschrift „Sigillum boni burgi
Bolzani“ „Überlegungen zu den mittelalterlichen Siegeln der Stadt Bozen“, wobei
er auf einem reichen allgemeinen und speziellen Literatur- und
Quellenhintergrund aufbaut. Er weist darauf hin: „Stadtsiegel bilden
hervorragende, von der Landesgeschichte aber noch zu wenig genutzte Quellen zur
Stadtgeschichte. Sie geben in der Kombination von Text und Bild unmittelbare
Auskunft über die Verfassungsverhältnisse, Stadtherr, führende städtische
Gruppen und ihr jeweiliges Selbstverständnis“. Das wird am Beispiel der Siegel
der Stadt Bozen und im Vergleich zu anderen Städten eindrücklich gezeigt.
Die Mitarbeiter der Festschrift sind
ehemalige Schüler von Winfried Stelzer. Ihre Beiträge sind durchaus von bester
Qualität und spiegeln die grosse Kompetenz ihres Universitätslehrers wieder.
Brig Louis
Carlen