Geschichtswissenschaft um 1950, hg. v. Duchhardt,
Heinz/May, Gerhard (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische
Geschichte Mainz, Beiheft 56). Zabern, Mainz 2002. 173 S.
Anlässlich seines fünfzigjährigen Bestehens blickt
das Institut für europäische Geschichte an der Universität Mainz auf die Zeit
seiner Anfänge zurück. Seine Gliederung in zwei Abteilungen legt dabei eine
doppelte Perspektive von selbst nahe. Als Fluchtpunkt für dieses ansprechende
Vorhaben wurde der diskutierende Vergleich zwischen allgemeiner bzw.
universaler Geschichte und spezieller bzw. Kirchengeschichte gewählt.
Im Kern ging es darum, zu prüfen, welche Wirkungen
die wichtigsten politischen Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
in Deutschland für die Geschichtswissenschaft zeitigten. Das betraf zum einen
den Nationalsozialismus, zum anderen die Teilung durch Besatzung. Mit ihren
Folgen für die wissenschaftliche Teilhabe an internationalen Entwicklungen
befasste sich das vom 3. bis zum 5. Mai 2000 abgehaltene Kolloquium, dessen
schriftliches Ergebnis der Sammelband allgemein zugänglich macht.
Nach Otto Gerhard Oexle lassen sich für
Westdeutschland bzw. die Bundesrepublik Deutschland spezifische Kontinuitäten
und Transformationen älterer Forschungsansätze und Fortsetzungen von
Paradigmenkämpfen der Vorkriegszeit feststellen. Nach Peter T. Walther schließt
dies zurückkehrende, mittelfristig durch neue Akzentsetzungen erfolgreiche
Emigranten (Hans Rothfels) ein. Ernst Schulin sieht als wichtigste Veränderung
die Wiederaufnahme universalgeschichtlicher Perspektiven zu Lasten
nationalistischer Verengungen. Nach Lutz Raphael begegnete dabei die in
Frankreich seit den frühen dreißiger Jahren entstandene, in Fernand Braudel
personifizierbare Schule der Annales zunächst vielen Vorbehalten. Auch die
hauptsächlich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus dienende Zeitgeschichte
erlangte, wie Horst Möller ausführlich dokumentiert, erst allmählich vollere
Blüte. In der sowjetischen Besatzungszone bzw. der Deutschen Demokratischen
Republik erfolgte demgegenüber nach Günther Heydemann unter politischem Druck sofort
ein radikaler Umbruch.
In der Kirchengeschichte kamen nach Dominique
Bertrand aus der großen Tradition des Faches Anstöße zu einem breiten Interesse
an Geschichte und Literatur des antiken Christentums. In Deutschland näherten
sich nach Victor Conzemius Katholiken und Protestanten einander an und trat die kirchliche Zeitgeschichte auf
den Plan. Nach Kurt-Victor Selge ist Heinrich Bornkamm der hervorragendste
Vertreter der damaligen kirchengeschichtlichen Strömungen.
Insgesamt zeigen die neun gelungenen Beiträge, dass
die geschichtswissenschaftliche Lage um 1950 offen und unentschieden war. Erst
nach den allmählich reifenden Entscheidungen lässt sich eine positive Bilanz
ziehen. Sie rechtfertigt den von beiden Herausgebern vorgelegten, durch ein
Personenregister erschlossenen Band nachdrücklich.
Innsbruck Gerhard
Köbler